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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

den Baron in seiner Wohnung auf dem Gutshöfe als Gast zu sehen. Georg
Riffelshausen war seiner Lahmheit wegen bequem geworden und verließ sein
Zimmer nicht ohne triftigen Grund. An jenem Abend aber hatte Cäcilie die
sämtlichen jungen Mädchen des Dorfes zu sich geladen, um, nachdem man sich
an unglaublichen Portionen Kaffee und Kuchen gelabt hatte, ein tüchtiges Stück
Arbeit fertig zu bringen. Den vielen bereitwilligen Händen gelang es denn
auch über Erwarten. Der Ausdruck "stilles Wirken" würde freilich für das
Treiben der jungen Schonen nicht ganz bezeichnend gewesen sein.




Drittes Aapitel.

Ein lustiges Feuer brannte in dem neugeschwärztcu Ofen des Eßzimmers.
Die uralten, rätselhaften Ölbilder, die in plumpen Barockrahmen die Wände
zierten, hatten sich zwar nach ganz besonders erprobter Vorschrift einer Reinigung
unterziehen müssen, doch machten die hierdurch zum Vorschein gekommenen
helleren Stellen die Verschwommenheit des Ganzen nur bemerkbarer. Dennoch
saß Fräulein Cäcilie mit gerechtem Stolz hinter dem über einer Spiritusflamme
singenden Theekessel und strickte. Ihr Bruder las aufmerksam den Leitartikel
der heutigen Zeitung; sie aber lauschte dem draußen fallenden Regen und dem
im Getäfel klopfenden Holzwurm. Dabei vermeinte sie beständig das Rollen
des erwarteten Wagens zu vernehmen.

Hörst du noch nichts, Georg?

Er strengte gehorsam seine Gehörorgane an und glaubte wirklich von dem
Lärmen des Sturmes ein Rollen von Wagenrädern zu unterscheiden.

Da kommeu sie, sagte er, und beide lauschten atemlos. Der sich in der
That nähernde Wagen fuhr aber am Thore vorüber.

Ich möchte doch wissen, wer hente Nacht hier vorbeizufahren hat! rief
Cäcilie seufzend.

Ich will dir einstweilen etwas ans der Zeitung vorlesen. Da ist ein wirk¬
lich interessanter Fall aus Merseburg.

Aber Cäcilie erfuhr nie den Merseburger Fall. Da sind sie! da sind sie
nnn aber wirklich! rief sie aus, sprang auf und eilte in den Flur hinaus. Auch
der Schmiedt trat, die Lampe in der Hand, aus der Gesindestube. Als sie die
schwere Hausthür öffneten, trieb ein Windstoß kalte Tropfen in ihre Gesichter.
Hundewetter! bemerkte der Schmiedt beiläufig, doch blieben beide in der offnen
Thüre stehen und zitterten vor Erwartung, wie die Kinder zu Weihnachten.

Nein, wenn ich mir so denke! begann der Schmiedt wieder. Doch da rum¬
pelte die große Familienkutsche über die Brücke und hielt im nächsten Augen¬
blicke vor der Thür.

Schade, daß der Regen nicht ein wenig innehielt, bis die gesamten An¬
kömmlinge das schlitzende Hans erreicht hatten. Weder Cäcilie noch der Schmiedt


Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

den Baron in seiner Wohnung auf dem Gutshöfe als Gast zu sehen. Georg
Riffelshausen war seiner Lahmheit wegen bequem geworden und verließ sein
Zimmer nicht ohne triftigen Grund. An jenem Abend aber hatte Cäcilie die
sämtlichen jungen Mädchen des Dorfes zu sich geladen, um, nachdem man sich
an unglaublichen Portionen Kaffee und Kuchen gelabt hatte, ein tüchtiges Stück
Arbeit fertig zu bringen. Den vielen bereitwilligen Händen gelang es denn
auch über Erwarten. Der Ausdruck „stilles Wirken" würde freilich für das
Treiben der jungen Schonen nicht ganz bezeichnend gewesen sein.




Drittes Aapitel.

Ein lustiges Feuer brannte in dem neugeschwärztcu Ofen des Eßzimmers.
Die uralten, rätselhaften Ölbilder, die in plumpen Barockrahmen die Wände
zierten, hatten sich zwar nach ganz besonders erprobter Vorschrift einer Reinigung
unterziehen müssen, doch machten die hierdurch zum Vorschein gekommenen
helleren Stellen die Verschwommenheit des Ganzen nur bemerkbarer. Dennoch
saß Fräulein Cäcilie mit gerechtem Stolz hinter dem über einer Spiritusflamme
singenden Theekessel und strickte. Ihr Bruder las aufmerksam den Leitartikel
der heutigen Zeitung; sie aber lauschte dem draußen fallenden Regen und dem
im Getäfel klopfenden Holzwurm. Dabei vermeinte sie beständig das Rollen
des erwarteten Wagens zu vernehmen.

Hörst du noch nichts, Georg?

Er strengte gehorsam seine Gehörorgane an und glaubte wirklich von dem
Lärmen des Sturmes ein Rollen von Wagenrädern zu unterscheiden.

Da kommeu sie, sagte er, und beide lauschten atemlos. Der sich in der
That nähernde Wagen fuhr aber am Thore vorüber.

Ich möchte doch wissen, wer hente Nacht hier vorbeizufahren hat! rief
Cäcilie seufzend.

Ich will dir einstweilen etwas ans der Zeitung vorlesen. Da ist ein wirk¬
lich interessanter Fall aus Merseburg.

Aber Cäcilie erfuhr nie den Merseburger Fall. Da sind sie! da sind sie
nnn aber wirklich! rief sie aus, sprang auf und eilte in den Flur hinaus. Auch
der Schmiedt trat, die Lampe in der Hand, aus der Gesindestube. Als sie die
schwere Hausthür öffneten, trieb ein Windstoß kalte Tropfen in ihre Gesichter.
Hundewetter! bemerkte der Schmiedt beiläufig, doch blieben beide in der offnen
Thüre stehen und zitterten vor Erwartung, wie die Kinder zu Weihnachten.

Nein, wenn ich mir so denke! begann der Schmiedt wieder. Doch da rum¬
pelte die große Familienkutsche über die Brücke und hielt im nächsten Augen¬
blicke vor der Thür.

Schade, daß der Regen nicht ein wenig innehielt, bis die gesamten An¬
kömmlinge das schlitzende Hans erreicht hatten. Weder Cäcilie noch der Schmiedt


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[0338] Aus der Lhronik derer von Riffelshausen. den Baron in seiner Wohnung auf dem Gutshöfe als Gast zu sehen. Georg Riffelshausen war seiner Lahmheit wegen bequem geworden und verließ sein Zimmer nicht ohne triftigen Grund. An jenem Abend aber hatte Cäcilie die sämtlichen jungen Mädchen des Dorfes zu sich geladen, um, nachdem man sich an unglaublichen Portionen Kaffee und Kuchen gelabt hatte, ein tüchtiges Stück Arbeit fertig zu bringen. Den vielen bereitwilligen Händen gelang es denn auch über Erwarten. Der Ausdruck „stilles Wirken" würde freilich für das Treiben der jungen Schonen nicht ganz bezeichnend gewesen sein. Drittes Aapitel. Ein lustiges Feuer brannte in dem neugeschwärztcu Ofen des Eßzimmers. Die uralten, rätselhaften Ölbilder, die in plumpen Barockrahmen die Wände zierten, hatten sich zwar nach ganz besonders erprobter Vorschrift einer Reinigung unterziehen müssen, doch machten die hierdurch zum Vorschein gekommenen helleren Stellen die Verschwommenheit des Ganzen nur bemerkbarer. Dennoch saß Fräulein Cäcilie mit gerechtem Stolz hinter dem über einer Spiritusflamme singenden Theekessel und strickte. Ihr Bruder las aufmerksam den Leitartikel der heutigen Zeitung; sie aber lauschte dem draußen fallenden Regen und dem im Getäfel klopfenden Holzwurm. Dabei vermeinte sie beständig das Rollen des erwarteten Wagens zu vernehmen. Hörst du noch nichts, Georg? Er strengte gehorsam seine Gehörorgane an und glaubte wirklich von dem Lärmen des Sturmes ein Rollen von Wagenrädern zu unterscheiden. Da kommeu sie, sagte er, und beide lauschten atemlos. Der sich in der That nähernde Wagen fuhr aber am Thore vorüber. Ich möchte doch wissen, wer hente Nacht hier vorbeizufahren hat! rief Cäcilie seufzend. Ich will dir einstweilen etwas ans der Zeitung vorlesen. Da ist ein wirk¬ lich interessanter Fall aus Merseburg. Aber Cäcilie erfuhr nie den Merseburger Fall. Da sind sie! da sind sie nnn aber wirklich! rief sie aus, sprang auf und eilte in den Flur hinaus. Auch der Schmiedt trat, die Lampe in der Hand, aus der Gesindestube. Als sie die schwere Hausthür öffneten, trieb ein Windstoß kalte Tropfen in ihre Gesichter. Hundewetter! bemerkte der Schmiedt beiläufig, doch blieben beide in der offnen Thüre stehen und zitterten vor Erwartung, wie die Kinder zu Weihnachten. Nein, wenn ich mir so denke! begann der Schmiedt wieder. Doch da rum¬ pelte die große Familienkutsche über die Brücke und hielt im nächsten Augen¬ blicke vor der Thür. Schade, daß der Regen nicht ein wenig innehielt, bis die gesamten An¬ kömmlinge das schlitzende Hans erreicht hatten. Weder Cäcilie noch der Schmiedt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/338>, abgerufen am 03.07.2024.