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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Musikalische Bünden.

er die musikalische;? Sünden, die in unsrer Zeit begangen werden,
erschöpfend behandeln wollte, der dürfte sich nicht auf den Raum
eines Aufsatzes beschränken: er hätte Stoff zu einem ganzen Buche.
Da müßte zuerst von dem in vielen sogenannten musikalischen
Großstädten geradezu kläglichen Zustande der musikalischen Kritik
gesprochen werden, die nachgerade eine Anstalt sür gegenseitige Beweihräucherung
zu werden droht, von dem erschreckenden Cliquenunwcseu, das in diesen Kreisen
herrscht, von dem traurigen Klatsch, mit dem die Musikblcittcr ihre Spalten
füllen. Weiter müßte die Rede sein von den Übelständen des heutigen Vir-
tuvscntums, von seinen widerlichen Sclbstanprcisuugen, von dem geringen Kunst-
werte halsbrecherischer Technik einerseits und roher Kraft der Fäuste ander¬
seits, von der Allmacht der jüdischen Agenten, von dem Überwuchern der faden
Operette mit ihren seichten oder frechen Tiugcltangclmelodien. Sodann kämen
etwa die entsetzlichen Früchte der Arrangirwnt an die Reihe, die sich bereits
zu unglaublichen Leistungen versteigt; Kinderlieder von Karl Reinecke, arrangirt
für vierstimmigen Männerchor von Pfeiffer, oder ein Kavalleriemarsch für
sechzehn Schlagzithern -- das ist doch, um an den Wänden hinauszulaufen! In
dasselbe Kapitel gehörte" die wahnsinnigen Potpourris, Quodlibets, Schlachten-
gemälde und was derlei Kram mehr ist, nieist Fabrikate von ruhmsüchtigen
Militärmusikmeistern, die allesamt (ich meine die Fabrikate) nicht mehr wert
sind als eingestampft zu werden, Strafantrag gegen die Urheber auf Grund
eines Gesetzes gegen Verfälschung geistiger Nahrung vorbehalten. Ferner könnte
nicht übergangen werden die sträfliche Vergötterung Wagners, die übrigens seit
seinem Tode doch merklich nachgelassen hat, und vor allem Liszts, dieses un¬
glückseligen Komponisten, auf den sich nach dem Tode von Berlioz, Cornelius
und Wagner die Verehrung der ganzen musikalischen Fortschrittspartei --
sie selber nennen sich Neurvmantiker -- zusammengehäuft hat und dessen
Schöpfungen doch zum größten Teile den nüchternen Hörer, der seinem gefunden
Trommelfelle mehr vertraut als der Lärmtrvmpete des Lisztvereins, mit auf¬
richtigem Mitleid erfüllen müssen. Es müßte auf das furchtbare Umsichgreifen
der Klavierseuche und das ungesunde Anwachsen der Znchtanstalten für Pianisten
und Pianistinnen von neuem hingewiesen, es müßte das zahllose Mustklehrcr-
Proletariat ordentlich ins Licht gerückt, der grüßliche Schund der alljährlich er¬
scheinenden Salonmusik gehörig gebrandmarkt werden. Die beklagenswerte Ver¬
nachlässigung des gemischten Gesanges gegenüber dem Mcinncrgesang, der sich
über Gebühr breit macht, müßte Erwähnung finden. Schaden könnte es auch


Musikalische Bünden.

er die musikalische;? Sünden, die in unsrer Zeit begangen werden,
erschöpfend behandeln wollte, der dürfte sich nicht auf den Raum
eines Aufsatzes beschränken: er hätte Stoff zu einem ganzen Buche.
Da müßte zuerst von dem in vielen sogenannten musikalischen
Großstädten geradezu kläglichen Zustande der musikalischen Kritik
gesprochen werden, die nachgerade eine Anstalt sür gegenseitige Beweihräucherung
zu werden droht, von dem erschreckenden Cliquenunwcseu, das in diesen Kreisen
herrscht, von dem traurigen Klatsch, mit dem die Musikblcittcr ihre Spalten
füllen. Weiter müßte die Rede sein von den Übelständen des heutigen Vir-
tuvscntums, von seinen widerlichen Sclbstanprcisuugen, von dem geringen Kunst-
werte halsbrecherischer Technik einerseits und roher Kraft der Fäuste ander¬
seits, von der Allmacht der jüdischen Agenten, von dem Überwuchern der faden
Operette mit ihren seichten oder frechen Tiugcltangclmelodien. Sodann kämen
etwa die entsetzlichen Früchte der Arrangirwnt an die Reihe, die sich bereits
zu unglaublichen Leistungen versteigt; Kinderlieder von Karl Reinecke, arrangirt
für vierstimmigen Männerchor von Pfeiffer, oder ein Kavalleriemarsch für
sechzehn Schlagzithern — das ist doch, um an den Wänden hinauszulaufen! In
dasselbe Kapitel gehörte» die wahnsinnigen Potpourris, Quodlibets, Schlachten-
gemälde und was derlei Kram mehr ist, nieist Fabrikate von ruhmsüchtigen
Militärmusikmeistern, die allesamt (ich meine die Fabrikate) nicht mehr wert
sind als eingestampft zu werden, Strafantrag gegen die Urheber auf Grund
eines Gesetzes gegen Verfälschung geistiger Nahrung vorbehalten. Ferner könnte
nicht übergangen werden die sträfliche Vergötterung Wagners, die übrigens seit
seinem Tode doch merklich nachgelassen hat, und vor allem Liszts, dieses un¬
glückseligen Komponisten, auf den sich nach dem Tode von Berlioz, Cornelius
und Wagner die Verehrung der ganzen musikalischen Fortschrittspartei —
sie selber nennen sich Neurvmantiker — zusammengehäuft hat und dessen
Schöpfungen doch zum größten Teile den nüchternen Hörer, der seinem gefunden
Trommelfelle mehr vertraut als der Lärmtrvmpete des Lisztvereins, mit auf¬
richtigem Mitleid erfüllen müssen. Es müßte auf das furchtbare Umsichgreifen
der Klavierseuche und das ungesunde Anwachsen der Znchtanstalten für Pianisten
und Pianistinnen von neuem hingewiesen, es müßte das zahllose Mustklehrcr-
Proletariat ordentlich ins Licht gerückt, der grüßliche Schund der alljährlich er¬
scheinenden Salonmusik gehörig gebrandmarkt werden. Die beklagenswerte Ver¬
nachlässigung des gemischten Gesanges gegenüber dem Mcinncrgesang, der sich
über Gebühr breit macht, müßte Erwähnung finden. Schaden könnte es auch


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[0575] Musikalische Bünden. er die musikalische;? Sünden, die in unsrer Zeit begangen werden, erschöpfend behandeln wollte, der dürfte sich nicht auf den Raum eines Aufsatzes beschränken: er hätte Stoff zu einem ganzen Buche. Da müßte zuerst von dem in vielen sogenannten musikalischen Großstädten geradezu kläglichen Zustande der musikalischen Kritik gesprochen werden, die nachgerade eine Anstalt sür gegenseitige Beweihräucherung zu werden droht, von dem erschreckenden Cliquenunwcseu, das in diesen Kreisen herrscht, von dem traurigen Klatsch, mit dem die Musikblcittcr ihre Spalten füllen. Weiter müßte die Rede sein von den Übelständen des heutigen Vir- tuvscntums, von seinen widerlichen Sclbstanprcisuugen, von dem geringen Kunst- werte halsbrecherischer Technik einerseits und roher Kraft der Fäuste ander¬ seits, von der Allmacht der jüdischen Agenten, von dem Überwuchern der faden Operette mit ihren seichten oder frechen Tiugcltangclmelodien. Sodann kämen etwa die entsetzlichen Früchte der Arrangirwnt an die Reihe, die sich bereits zu unglaublichen Leistungen versteigt; Kinderlieder von Karl Reinecke, arrangirt für vierstimmigen Männerchor von Pfeiffer, oder ein Kavalleriemarsch für sechzehn Schlagzithern — das ist doch, um an den Wänden hinauszulaufen! In dasselbe Kapitel gehörte» die wahnsinnigen Potpourris, Quodlibets, Schlachten- gemälde und was derlei Kram mehr ist, nieist Fabrikate von ruhmsüchtigen Militärmusikmeistern, die allesamt (ich meine die Fabrikate) nicht mehr wert sind als eingestampft zu werden, Strafantrag gegen die Urheber auf Grund eines Gesetzes gegen Verfälschung geistiger Nahrung vorbehalten. Ferner könnte nicht übergangen werden die sträfliche Vergötterung Wagners, die übrigens seit seinem Tode doch merklich nachgelassen hat, und vor allem Liszts, dieses un¬ glückseligen Komponisten, auf den sich nach dem Tode von Berlioz, Cornelius und Wagner die Verehrung der ganzen musikalischen Fortschrittspartei — sie selber nennen sich Neurvmantiker — zusammengehäuft hat und dessen Schöpfungen doch zum größten Teile den nüchternen Hörer, der seinem gefunden Trommelfelle mehr vertraut als der Lärmtrvmpete des Lisztvereins, mit auf¬ richtigem Mitleid erfüllen müssen. Es müßte auf das furchtbare Umsichgreifen der Klavierseuche und das ungesunde Anwachsen der Znchtanstalten für Pianisten und Pianistinnen von neuem hingewiesen, es müßte das zahllose Mustklehrcr- Proletariat ordentlich ins Licht gerückt, der grüßliche Schund der alljährlich er¬ scheinenden Salonmusik gehörig gebrandmarkt werden. Die beklagenswerte Ver¬ nachlässigung des gemischten Gesanges gegenüber dem Mcinncrgesang, der sich über Gebühr breit macht, müßte Erwähnung finden. Schaden könnte es auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/575>, abgerufen am 27.12.2024.