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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die religiöse Malerei der Gegenwart.
2.
Munkacsy und Abbe. Naturalismus und Stil.

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e breite Heerstraße, welche sich dein Ansturme der neuen, ans
Natur und Geschichte gegründeten Richtung geöffnet hat, ist wie
jeder neue Weg staubig, holprig und dornenvoll. Die Bahn¬
brecher -- wir nennen nur die Namen Mnnkaesy und Abbe --
sind große Talente. Aber sie könnten noch viel größer sein, ohne
daß es ihm gelingen würde, die klassisch gewordnen Andachtsbilder von Rasfael,
Correggio, Tizian, den Carracci, Guido Reni, Dolce und Murillo aus dem
ästhetischen Katechismus der Gebildeten zu verdrängen. Es ist weder die Ab¬
sicht dieser Artikel, religiöse Gefühle, konfessionelle Überzeugungen, mögen sie so
beschränkt sein, wie sie wollen, zu bekämpfen oder gar zu verletzen, noch für den
Naturalismus in der Malerei Propaganda zu machen. Der besonnene Kritiker
wird nur dann eine dominirende Stellung behaupten können, wenn er sich un¬
abhängig von den Parteien erhält und keinem Parteiprogramm seine Freiheit
opfert. Das undankbarste schriftstellerische Amt muß zugleich das freieste sein.
Es muß uns deshalb gestattet sein, das Recht historischer Kritik ungehindert zu
üben und zu erklären, daß der künstlerische Wert der religiösen Schöpfungen
jener oben genannten Meister ebensowenig der christlichen Religion förderlich ist,
als ihr der mehr oder weniger krasse Naturalismus der modernen Malerei an
ihrem Ausehen schadet.

Die historische Entwicklung der religiösen Malerei beruht eben darin, daß
aus dein Andachtsbilde das Geschichtsbild geworden ist. An die Stelle der
idealen Auffassung ist die geschichtliche getreten, und wenn letztere vorzugsweise
von Protestanten kultivirt und mit energischen Händen zu weiterer Entwicklung
gebracht wird, so hat nicht der Ketzcrgeist diesen Umschwung hervorgerufen,
sondern die Lässigkeit der katholische" Kirche, welche, trotz ihrer Kunstfreundlichkeit,
sich damit begnügt, Altarbilder, Madonnen- und Hciligenstatncn, Kalvarienberge,
Glasfenster u. s. w. nach alter Schablone fabriziren zu lassen. Es ist allgemein
bekannt, daß die religiöse Kunst in Süddeutschland nnter diesem fabrikmäßigen
Betriebe vollständig zu Grunde gegangen oder zum ordinären Handwerk hernb-
gesunken ist.

Der protestantische Norden hat sich deshalb ein sehr großes Verdienst er¬
worben, indem er der religiösen Malerei einen neuen Impuls gab. Es ist
auch eine Art von Reformationswerk, auf einem engern Gebiete nicht minder


Die religiöse Malerei der Gegenwart.
2.
Munkacsy und Abbe. Naturalismus und Stil.

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e breite Heerstraße, welche sich dein Ansturme der neuen, ans
Natur und Geschichte gegründeten Richtung geöffnet hat, ist wie
jeder neue Weg staubig, holprig und dornenvoll. Die Bahn¬
brecher — wir nennen nur die Namen Mnnkaesy und Abbe —
sind große Talente. Aber sie könnten noch viel größer sein, ohne
daß es ihm gelingen würde, die klassisch gewordnen Andachtsbilder von Rasfael,
Correggio, Tizian, den Carracci, Guido Reni, Dolce und Murillo aus dem
ästhetischen Katechismus der Gebildeten zu verdrängen. Es ist weder die Ab¬
sicht dieser Artikel, religiöse Gefühle, konfessionelle Überzeugungen, mögen sie so
beschränkt sein, wie sie wollen, zu bekämpfen oder gar zu verletzen, noch für den
Naturalismus in der Malerei Propaganda zu machen. Der besonnene Kritiker
wird nur dann eine dominirende Stellung behaupten können, wenn er sich un¬
abhängig von den Parteien erhält und keinem Parteiprogramm seine Freiheit
opfert. Das undankbarste schriftstellerische Amt muß zugleich das freieste sein.
Es muß uns deshalb gestattet sein, das Recht historischer Kritik ungehindert zu
üben und zu erklären, daß der künstlerische Wert der religiösen Schöpfungen
jener oben genannten Meister ebensowenig der christlichen Religion förderlich ist,
als ihr der mehr oder weniger krasse Naturalismus der modernen Malerei an
ihrem Ausehen schadet.

Die historische Entwicklung der religiösen Malerei beruht eben darin, daß
aus dein Andachtsbilde das Geschichtsbild geworden ist. An die Stelle der
idealen Auffassung ist die geschichtliche getreten, und wenn letztere vorzugsweise
von Protestanten kultivirt und mit energischen Händen zu weiterer Entwicklung
gebracht wird, so hat nicht der Ketzcrgeist diesen Umschwung hervorgerufen,
sondern die Lässigkeit der katholische» Kirche, welche, trotz ihrer Kunstfreundlichkeit,
sich damit begnügt, Altarbilder, Madonnen- und Hciligenstatncn, Kalvarienberge,
Glasfenster u. s. w. nach alter Schablone fabriziren zu lassen. Es ist allgemein
bekannt, daß die religiöse Kunst in Süddeutschland nnter diesem fabrikmäßigen
Betriebe vollständig zu Grunde gegangen oder zum ordinären Handwerk hernb-
gesunken ist.

Der protestantische Norden hat sich deshalb ein sehr großes Verdienst er¬
worben, indem er der religiösen Malerei einen neuen Impuls gab. Es ist
auch eine Art von Reformationswerk, auf einem engern Gebiete nicht minder


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[0567] Die religiöse Malerei der Gegenwart. 2. Munkacsy und Abbe. Naturalismus und Stil. l e breite Heerstraße, welche sich dein Ansturme der neuen, ans Natur und Geschichte gegründeten Richtung geöffnet hat, ist wie jeder neue Weg staubig, holprig und dornenvoll. Die Bahn¬ brecher — wir nennen nur die Namen Mnnkaesy und Abbe — sind große Talente. Aber sie könnten noch viel größer sein, ohne daß es ihm gelingen würde, die klassisch gewordnen Andachtsbilder von Rasfael, Correggio, Tizian, den Carracci, Guido Reni, Dolce und Murillo aus dem ästhetischen Katechismus der Gebildeten zu verdrängen. Es ist weder die Ab¬ sicht dieser Artikel, religiöse Gefühle, konfessionelle Überzeugungen, mögen sie so beschränkt sein, wie sie wollen, zu bekämpfen oder gar zu verletzen, noch für den Naturalismus in der Malerei Propaganda zu machen. Der besonnene Kritiker wird nur dann eine dominirende Stellung behaupten können, wenn er sich un¬ abhängig von den Parteien erhält und keinem Parteiprogramm seine Freiheit opfert. Das undankbarste schriftstellerische Amt muß zugleich das freieste sein. Es muß uns deshalb gestattet sein, das Recht historischer Kritik ungehindert zu üben und zu erklären, daß der künstlerische Wert der religiösen Schöpfungen jener oben genannten Meister ebensowenig der christlichen Religion förderlich ist, als ihr der mehr oder weniger krasse Naturalismus der modernen Malerei an ihrem Ausehen schadet. Die historische Entwicklung der religiösen Malerei beruht eben darin, daß aus dein Andachtsbilde das Geschichtsbild geworden ist. An die Stelle der idealen Auffassung ist die geschichtliche getreten, und wenn letztere vorzugsweise von Protestanten kultivirt und mit energischen Händen zu weiterer Entwicklung gebracht wird, so hat nicht der Ketzcrgeist diesen Umschwung hervorgerufen, sondern die Lässigkeit der katholische» Kirche, welche, trotz ihrer Kunstfreundlichkeit, sich damit begnügt, Altarbilder, Madonnen- und Hciligenstatncn, Kalvarienberge, Glasfenster u. s. w. nach alter Schablone fabriziren zu lassen. Es ist allgemein bekannt, daß die religiöse Kunst in Süddeutschland nnter diesem fabrikmäßigen Betriebe vollständig zu Grunde gegangen oder zum ordinären Handwerk hernb- gesunken ist. Der protestantische Norden hat sich deshalb ein sehr großes Verdienst er¬ worben, indem er der religiösen Malerei einen neuen Impuls gab. Es ist auch eine Art von Reformationswerk, auf einem engern Gebiete nicht minder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/567>, abgerufen am 27.06.2024.