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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Minister Brühl in Schlafrock und Pantoffeln.

gebildeten Klassen sind indifferent, die untern fühlen keinen Zusammenhang ihres
Lebens mit dem Evangelium. Glaubt man diesen bedauerlichen Erscheinungen
dadurch abzuhelfen, daß man die evangelische Kirche vom Staate ganz löst und
ihr dieselbe Freiheit und straffe Organisation giebt, wie sie die katholische Kirche
besitzt, so übersieht man, daß man damit dem Wesen des Protestantismus zu
Leibe geht und ihn zu einem Krhvtokatholizismus umwandelt. Im Wesen der
protestantischen Kirche liegt die freie Forschung auf dem Boden des Evangeliums;
stellt man hier starre Sätze auf oder begründet man eine Herrschaft des Priester-
tums, so nimmt man der evangelischen Konfession den Boden, auf dem sie
allein gedeihen kann. Der Protestantismus muß seine innere Kraft wiederge¬
winnen; er muß den Gebildeten das Bekenntnis nicht zu erschweren suchen und
sich mehr mit den niedern Klassen der Bevölkerung in ihrem sozialen Leben ab¬
geben. Letzteres ist im letzten Jahrzehnt nur von der Orthodoxie versucht
worden, aber in einer Weise, die sie noch mehr von den Klassen trennt, welche
vermöge ihrer Bildung zur Führerschaft berufen sind.

Es ist zuzugeben, daß die Gefahr für den Protestantismus eine große ist;
aber diese Gefahr liegt sicher uicht in dem Frieden mit Rom. Der Protestan¬
tismus kann allein mit geistigen Waffen siegen, für diese muß Haus, Schule
und Kirche in gleicher Weise sorgen, indem der Wert der lutherischen Refor¬
mation als treuer Schatz behütet wird.

Deshalb geht die Mahnung an alle protestantischen Kreise, nicht fort¬
während das zu suchen, was uns trennt, sondern das, was uns verbindet.




Minister Vrühl in ^"chlafrock und Pantoffeln.

er Minister, dessen Name mit einem der freundlichsten Aussichts¬
punkte Deutschlands, mit der Brühlschen Terrasse in Dresden,
wie es scheint für alle Zeit, verknüpft bleiben wird, dem aber
im übrigen seit mehr als einem Jahrhundert recht viel Unfreund¬
liches nachgesagt worden ist und sicherlich nachgesagt werden
mußte, ist bis heute merkwürdigerweise noch nicht der Gegenstand einer er¬
schöpfenden biographischen Studie gewesen. Warum? Sind die Quellen, welche
über ihn berichten könnten, so völlig verschüttet? Heute, wo der ernsten Forschung


Grenzlwten II, 1386. 70
Minister Brühl in Schlafrock und Pantoffeln.

gebildeten Klassen sind indifferent, die untern fühlen keinen Zusammenhang ihres
Lebens mit dem Evangelium. Glaubt man diesen bedauerlichen Erscheinungen
dadurch abzuhelfen, daß man die evangelische Kirche vom Staate ganz löst und
ihr dieselbe Freiheit und straffe Organisation giebt, wie sie die katholische Kirche
besitzt, so übersieht man, daß man damit dem Wesen des Protestantismus zu
Leibe geht und ihn zu einem Krhvtokatholizismus umwandelt. Im Wesen der
protestantischen Kirche liegt die freie Forschung auf dem Boden des Evangeliums;
stellt man hier starre Sätze auf oder begründet man eine Herrschaft des Priester-
tums, so nimmt man der evangelischen Konfession den Boden, auf dem sie
allein gedeihen kann. Der Protestantismus muß seine innere Kraft wiederge¬
winnen; er muß den Gebildeten das Bekenntnis nicht zu erschweren suchen und
sich mehr mit den niedern Klassen der Bevölkerung in ihrem sozialen Leben ab¬
geben. Letzteres ist im letzten Jahrzehnt nur von der Orthodoxie versucht
worden, aber in einer Weise, die sie noch mehr von den Klassen trennt, welche
vermöge ihrer Bildung zur Führerschaft berufen sind.

Es ist zuzugeben, daß die Gefahr für den Protestantismus eine große ist;
aber diese Gefahr liegt sicher uicht in dem Frieden mit Rom. Der Protestan¬
tismus kann allein mit geistigen Waffen siegen, für diese muß Haus, Schule
und Kirche in gleicher Weise sorgen, indem der Wert der lutherischen Refor¬
mation als treuer Schatz behütet wird.

Deshalb geht die Mahnung an alle protestantischen Kreise, nicht fort¬
während das zu suchen, was uns trennt, sondern das, was uns verbindet.




Minister Vrühl in ^»chlafrock und Pantoffeln.

er Minister, dessen Name mit einem der freundlichsten Aussichts¬
punkte Deutschlands, mit der Brühlschen Terrasse in Dresden,
wie es scheint für alle Zeit, verknüpft bleiben wird, dem aber
im übrigen seit mehr als einem Jahrhundert recht viel Unfreund¬
liches nachgesagt worden ist und sicherlich nachgesagt werden
mußte, ist bis heute merkwürdigerweise noch nicht der Gegenstand einer er¬
schöpfenden biographischen Studie gewesen. Warum? Sind die Quellen, welche
über ihn berichten könnten, so völlig verschüttet? Heute, wo der ernsten Forschung


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[0561] Minister Brühl in Schlafrock und Pantoffeln. gebildeten Klassen sind indifferent, die untern fühlen keinen Zusammenhang ihres Lebens mit dem Evangelium. Glaubt man diesen bedauerlichen Erscheinungen dadurch abzuhelfen, daß man die evangelische Kirche vom Staate ganz löst und ihr dieselbe Freiheit und straffe Organisation giebt, wie sie die katholische Kirche besitzt, so übersieht man, daß man damit dem Wesen des Protestantismus zu Leibe geht und ihn zu einem Krhvtokatholizismus umwandelt. Im Wesen der protestantischen Kirche liegt die freie Forschung auf dem Boden des Evangeliums; stellt man hier starre Sätze auf oder begründet man eine Herrschaft des Priester- tums, so nimmt man der evangelischen Konfession den Boden, auf dem sie allein gedeihen kann. Der Protestantismus muß seine innere Kraft wiederge¬ winnen; er muß den Gebildeten das Bekenntnis nicht zu erschweren suchen und sich mehr mit den niedern Klassen der Bevölkerung in ihrem sozialen Leben ab¬ geben. Letzteres ist im letzten Jahrzehnt nur von der Orthodoxie versucht worden, aber in einer Weise, die sie noch mehr von den Klassen trennt, welche vermöge ihrer Bildung zur Führerschaft berufen sind. Es ist zuzugeben, daß die Gefahr für den Protestantismus eine große ist; aber diese Gefahr liegt sicher uicht in dem Frieden mit Rom. Der Protestan¬ tismus kann allein mit geistigen Waffen siegen, für diese muß Haus, Schule und Kirche in gleicher Weise sorgen, indem der Wert der lutherischen Refor¬ mation als treuer Schatz behütet wird. Deshalb geht die Mahnung an alle protestantischen Kreise, nicht fort¬ während das zu suchen, was uns trennt, sondern das, was uns verbindet. Minister Vrühl in ^»chlafrock und Pantoffeln. er Minister, dessen Name mit einem der freundlichsten Aussichts¬ punkte Deutschlands, mit der Brühlschen Terrasse in Dresden, wie es scheint für alle Zeit, verknüpft bleiben wird, dem aber im übrigen seit mehr als einem Jahrhundert recht viel Unfreund¬ liches nachgesagt worden ist und sicherlich nachgesagt werden mußte, ist bis heute merkwürdigerweise noch nicht der Gegenstand einer er¬ schöpfenden biographischen Studie gewesen. Warum? Sind die Quellen, welche über ihn berichten könnten, so völlig verschüttet? Heute, wo der ernsten Forschung Grenzlwten II, 1386. 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/561>, abgerufen am 27.06.2024.