Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.Notizen. Maximen! Sie macht allen Parteien ohne Unterschied den Vorwurf, daß sie aus Neue Grimmbriefe. " Bei Herausgabe der "Freundcsbriefe von Wilhelm Notizen. Maximen! Sie macht allen Parteien ohne Unterschied den Vorwurf, daß sie aus Neue Grimmbriefe. " Bei Herausgabe der „Freundcsbriefe von Wilhelm <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0053" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198119"/> <fw type="header" place="top"> Notizen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_155" prev="#ID_154"> Maximen! Sie macht allen Parteien ohne Unterschied den Vorwurf, daß sie aus<lb/> Parteirücksichten beide Augen zuzudrücken pflegten, vertuschten oder schnell vergäßen,<lb/> Personen, auf bereu Charakter Flecken haften oder deren Unwissenheit und Un¬<lb/> fähigkeit offenbar ist, nicht fallen ließen, weil sie über eine gewisse Redegewandtheit<lb/> verfügen oder weil der betreffende „Sitz" für die Partei nicht ganz sicher ist und<lb/> dergleichen wehr. Die „Gesinnung" soll vielfach ihren festen Preis haben, ebenso<lb/> das kritische Urteil, die Ansicht von der Ersprießlichkeit einer Maßregel, dem Vor¬<lb/> teile einer Bahnlinie u, s, w. Wie viel daran übertrieben sein mag, kann ich nicht<lb/> beurteilen, ich berichte nur Vernommenes. Und stets schlossen die jüngern Leute:<lb/> Das ist in Deutschland anders, da ist ein „zielbewußtes," festes, ehrliches Regiment,<lb/> dn fürchtet man sich nicht vor jedem Schreier im Parlamente und noch weniger<lb/> vor einer korrupten Presse; da existiren die Gesetze nicht nur auf dem Papiere,<lb/> da werden die Verordnungen nicht nur erlassen, sondern auch durchgeführt, mit<lb/> Strenge, vielleicht mit Härte; aber man weiß doch, was Rechtens und was Ordnung<lb/> ist, mau hat das Bewußtsein, einem kräftigen Staatswesen anzugehören. — Ich<lb/> glaube mich nicht zu irren, wenn ich die Meinung ausspreche, daß dasjenige, was<lb/> die Tschechen die „Prenßenseuchc" und die „Korublumeusucht" nenneu sollen, durch¬<lb/> aus nichts landesverräterisches an sich hat, sonder« gerade der Ausfluß eiues ge¬<lb/> sunden, patriotischen Gefühls ist, und daß Oesterreich diesen seinen Söhnen am<lb/> allerwenigsten Mißtrauen entgegenbringen sollte. Der tschechische „Radau" fällt<lb/> glücklicherweise schon der Lächerlichkeit anheim; so wurde in der Gründung eiues<lb/> geselligen Vereins der Deutschen („Reichsdeutschen") in Wien eine Beleidigung und<lb/> Bedrohung der böhmischen Nation erkannt. Wie traurig muß es um diese Nation<lb/> bestellt sein, wenn die Absingung der „Wacht am Rhein" sie schon erschüttert!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> <head> Neue Grimmbriefe.<lb/> "</head> <p xml:id="ID_156" next="#ID_157"> Bei Herausgabe der „Freundcsbriefe von Wilhelm<lb/> und Jnkob Grimm konnte A. Reifferscheid 1378 die Klage erheben, daß so wenige<lb/> Briefe der Brüder bekannt geworden seien. Seitdem ist eine stattliche Reihe von Brief¬<lb/> sammlungen und sind zahlreich einzelne Briefe der Brüder veröffentlicht worden. Den<lb/> neun, an Umfang freilich sehr verschiednen Bänden der Korrespondenz, welche Hera.<lb/> Fischer, Wendcler, Sijmvns n. ni. herausgegeben haben, sind „als Festschrift zum<lb/> hundertsten Geburtstag Wilhelm Grimms den 24. Februar 1336" zwei weitere<lb/> Bände gefolgt, die wir E. Stengels Entdeckcrglück und Sammlerfleiß verdanken:<lb/> „Private und amtliche Beziehungen der Brüder Grimm zu Hessen. Eine Sammlung<lb/> von Briefen und Aktenstücken" (Marburg i. H., N. G. Elwertsche Verlagsbuchhand¬<lb/> lung, 1386. VIII, 420 u. 443 S. Oktav). Wenn der Herausgeber auch das Juter-<lb/> esse der engeren Heimat in den Vordergrund stellt, so darf der Inhalt der beiden<lb/> Bände doch die allgemeinste Teilnahme in Anspruch nehmen, ja es ist nicht zu viel<lb/> behauptet, wenn wir diese Sammlung als die inhaltreichste Publikation bezeichne!?,<lb/> deren sich die Grimmliteratur neben dein „Briefwechsel zwischen Jakob und Wil¬<lb/> helm Grimm aus der Jugendzeit" (Weimar 1881) überhaupt rühmen kann. Für<lb/> Jakobs diplomatische Thätigkeit, von der man bisher so gut wie nichts wußte, siud<lb/> hier zum erstenmale umfassende, akteumäßige Mitteilungen erfolgt, sodaß dieser Ab¬<lb/> schnitt seiner Biographie künstig viel mehr hervortreten wird. Die unglaublich<lb/> schlechte Behandlung, welche beide Brüder während ihrer bibliothekarischen Thätig¬<lb/> keit in Kassel erdulden mußten, wird durch eine Reihe von Eingaben und Ver¬<lb/> weisen illustrirt. Jakob Grimm mußte einmal Beschwerde führen, weil das Hof¬<lb/> sekretariat ihm beharrlich die Titulatur „Herr" verweigerte. Namentlich durch<lb/> diese Beziehungen zur Bibliothek erhält der hier mitgeteilte Briefwechsel besondre</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
Notizen.
Maximen! Sie macht allen Parteien ohne Unterschied den Vorwurf, daß sie aus
Parteirücksichten beide Augen zuzudrücken pflegten, vertuschten oder schnell vergäßen,
Personen, auf bereu Charakter Flecken haften oder deren Unwissenheit und Un¬
fähigkeit offenbar ist, nicht fallen ließen, weil sie über eine gewisse Redegewandtheit
verfügen oder weil der betreffende „Sitz" für die Partei nicht ganz sicher ist und
dergleichen wehr. Die „Gesinnung" soll vielfach ihren festen Preis haben, ebenso
das kritische Urteil, die Ansicht von der Ersprießlichkeit einer Maßregel, dem Vor¬
teile einer Bahnlinie u, s, w. Wie viel daran übertrieben sein mag, kann ich nicht
beurteilen, ich berichte nur Vernommenes. Und stets schlossen die jüngern Leute:
Das ist in Deutschland anders, da ist ein „zielbewußtes," festes, ehrliches Regiment,
dn fürchtet man sich nicht vor jedem Schreier im Parlamente und noch weniger
vor einer korrupten Presse; da existiren die Gesetze nicht nur auf dem Papiere,
da werden die Verordnungen nicht nur erlassen, sondern auch durchgeführt, mit
Strenge, vielleicht mit Härte; aber man weiß doch, was Rechtens und was Ordnung
ist, mau hat das Bewußtsein, einem kräftigen Staatswesen anzugehören. — Ich
glaube mich nicht zu irren, wenn ich die Meinung ausspreche, daß dasjenige, was
die Tschechen die „Prenßenseuchc" und die „Korublumeusucht" nenneu sollen, durch¬
aus nichts landesverräterisches an sich hat, sonder« gerade der Ausfluß eiues ge¬
sunden, patriotischen Gefühls ist, und daß Oesterreich diesen seinen Söhnen am
allerwenigsten Mißtrauen entgegenbringen sollte. Der tschechische „Radau" fällt
glücklicherweise schon der Lächerlichkeit anheim; so wurde in der Gründung eiues
geselligen Vereins der Deutschen („Reichsdeutschen") in Wien eine Beleidigung und
Bedrohung der böhmischen Nation erkannt. Wie traurig muß es um diese Nation
bestellt sein, wenn die Absingung der „Wacht am Rhein" sie schon erschüttert!
Neue Grimmbriefe.
" Bei Herausgabe der „Freundcsbriefe von Wilhelm
und Jnkob Grimm konnte A. Reifferscheid 1378 die Klage erheben, daß so wenige
Briefe der Brüder bekannt geworden seien. Seitdem ist eine stattliche Reihe von Brief¬
sammlungen und sind zahlreich einzelne Briefe der Brüder veröffentlicht worden. Den
neun, an Umfang freilich sehr verschiednen Bänden der Korrespondenz, welche Hera.
Fischer, Wendcler, Sijmvns n. ni. herausgegeben haben, sind „als Festschrift zum
hundertsten Geburtstag Wilhelm Grimms den 24. Februar 1336" zwei weitere
Bände gefolgt, die wir E. Stengels Entdeckcrglück und Sammlerfleiß verdanken:
„Private und amtliche Beziehungen der Brüder Grimm zu Hessen. Eine Sammlung
von Briefen und Aktenstücken" (Marburg i. H., N. G. Elwertsche Verlagsbuchhand¬
lung, 1386. VIII, 420 u. 443 S. Oktav). Wenn der Herausgeber auch das Juter-
esse der engeren Heimat in den Vordergrund stellt, so darf der Inhalt der beiden
Bände doch die allgemeinste Teilnahme in Anspruch nehmen, ja es ist nicht zu viel
behauptet, wenn wir diese Sammlung als die inhaltreichste Publikation bezeichne!?,
deren sich die Grimmliteratur neben dein „Briefwechsel zwischen Jakob und Wil¬
helm Grimm aus der Jugendzeit" (Weimar 1881) überhaupt rühmen kann. Für
Jakobs diplomatische Thätigkeit, von der man bisher so gut wie nichts wußte, siud
hier zum erstenmale umfassende, akteumäßige Mitteilungen erfolgt, sodaß dieser Ab¬
schnitt seiner Biographie künstig viel mehr hervortreten wird. Die unglaublich
schlechte Behandlung, welche beide Brüder während ihrer bibliothekarischen Thätig¬
keit in Kassel erdulden mußten, wird durch eine Reihe von Eingaben und Ver¬
weisen illustrirt. Jakob Grimm mußte einmal Beschwerde führen, weil das Hof¬
sekretariat ihm beharrlich die Titulatur „Herr" verweigerte. Namentlich durch
diese Beziehungen zur Bibliothek erhält der hier mitgeteilte Briefwechsel besondre
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