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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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sie das größte Befremden erregt. Man fragte: Soll das etwa genial sein? Oder
soll es ein schlechter Witz sein? Hat der Zeichner dieser Blätter den Verleger
zum Besten gehabt? Oder will der Verleger das Publikum zu". Besten haben?
Schließlich kam man jedoch immer zu der Meinung, daß diese Darstellungen wohl
von einem jungen Künstler herrühren möchten, der an Größenwahn leide und dabei
ein recht impotenter Geselle sei, der sich vielleicht in Böcklin vergafft habe
und nun Böcklin uoch zu übertrumpfen suche, daß aber der Verleger diese Blätter
offenbar für etwas Hochgeninles geholten und dem Publikum damit einen großartigen
Fortschritt in der Musikalieuausstattung zu bieten geglaubt habe. Für die letztere
Ansicht, daß der Verleger der Düpirte sei und der Häßlichkeit dieser Umschläge
gänzlich urteils- und ahnungslos gegenüberstehe, spricht deutlich die Rückseite der¬
selben, ans der verschiedene Simrvcksche Verlngsartikel mit einer typographischen Ge¬
schmacklosigkeit vorgeführt sind, die man 1L8(> und nachdem soviel von Hebung des
Buchgewerbes deklamirt worden ist, kaum uoch für möglich halten sollte. Jedes
Straßenplakat wird heutzutage anständiger gesetzt, als diese aus Dutzenden von
Setzertästeu zusammengelesenen, mit einer Menge Von hinzeigeudeu Händen sDM")
geschmückten Anpreisungen. Wer imstande ist, ans ein und demselben Bogen auf
der Vorderseite jene vermeintlich genialen Klexereieu, ans der Rückseite diese garstigen
Straßenplakate drücke" zu lassen, beweist schon dadurch, daß er von typographischen
Geschmack keine Ahnung hat, also selber der Angeführte sein muß.

Einer thut uus aufrichtig leid bei der Sache: Johannes Brahms. Welche
reifen und süßen Früchte haben sich hier in die widrigsten, abgeschmacktesten Hüllen
stecken lassen müssen! Fernerstehende erheben gegen Brahms den Vorwurf, daß
seine Musik unnatürlich, gequält, grüblerisch sei. Nun ja, mit seiner Sprache ninß
man sich erst vertraut machen. Ist dies aber einmal geschehen, dann erschließt sich
jedes neue Werk vou ihm verhältnismäßig leicht. In den vorliegende" beiden
Liederheften sind wieder herzig einfache Sachen; vier sein "Wiegenlied" kennt oder
das "Vergebliche Ständchen" oder den "Jäger," wird finden, daß Lieder wie "Dort
in den Weiden," "Komm bald" und "Trennung" im op. 97 ganz auf demselben
Wege liegen wie jene : auf dem Wege von der Kunst zur Natur. Mit auserlesen
vornehmen künstlerischen Ansdrucksmitteln wird hier doch schließlich die denkbar
einfachste Wirkung erreicht, wenn nnr Säuger und Spieler alles beherrschen und
mit voller Freiheit wiedergebe". An einem Liede wie die "Nachtigall" befremdet
wohl anfangs der Versuch, an die elementaren Klänge des Vogelgesanges zu erinnern;
aber bald befreundet man sich anch damit; "halte dein Ohr dran, dünn hörest
du was!" Die Perle in beiden Heften ist wohl "Wir wandelten" in vo. 96. Die
ganze Seligkeit eines schweigsam dahingehender, kein Geständnis wägenden Paares
kann nicht köstlicher geschildert werden, als wie es hier in dem süßmelodischen zwei¬
stimmigen Kanon in Dos geschehen ist. Und wie entzückend keimten die "goldnen
Glöckchen" dazwischen, mit denen der Liebende die uunusgesprochucu Gedanken in
seinem Haupte vergleicht! "So wundersüß, so wuuderlicblich ist in der Welt
kein andrer Hall!"

Hoffentlich entschließt sich der Verleger, bei einer neuen Anflöge der Lieder
die garstige" Umschlage und Titelblätter zu beseitigen. Er ist sehr schlecht dabei
beraten gewesen. Möge er, wenn er den ernstlichen Willen hat, u"fre Musikalieu-
ansstattnng zu reformiren, ein andermal bessere Ratgeber suchen und finden.




Das Hütten- und Sickingen-Denkmal.

Di
e Angelegenheit des Denk¬
mals für Hütten und Sickingen ans der Ebernburg an der Nahe ist seit unsrer


sie das größte Befremden erregt. Man fragte: Soll das etwa genial sein? Oder
soll es ein schlechter Witz sein? Hat der Zeichner dieser Blätter den Verleger
zum Besten gehabt? Oder will der Verleger das Publikum zu». Besten haben?
Schließlich kam man jedoch immer zu der Meinung, daß diese Darstellungen wohl
von einem jungen Künstler herrühren möchten, der an Größenwahn leide und dabei
ein recht impotenter Geselle sei, der sich vielleicht in Böcklin vergafft habe
und nun Böcklin uoch zu übertrumpfen suche, daß aber der Verleger diese Blätter
offenbar für etwas Hochgeninles geholten und dem Publikum damit einen großartigen
Fortschritt in der Musikalieuausstattung zu bieten geglaubt habe. Für die letztere
Ansicht, daß der Verleger der Düpirte sei und der Häßlichkeit dieser Umschläge
gänzlich urteils- und ahnungslos gegenüberstehe, spricht deutlich die Rückseite der¬
selben, ans der verschiedene Simrvcksche Verlngsartikel mit einer typographischen Ge¬
schmacklosigkeit vorgeführt sind, die man 1L8(> und nachdem soviel von Hebung des
Buchgewerbes deklamirt worden ist, kaum uoch für möglich halten sollte. Jedes
Straßenplakat wird heutzutage anständiger gesetzt, als diese aus Dutzenden von
Setzertästeu zusammengelesenen, mit einer Menge Von hinzeigeudeu Händen sDM")
geschmückten Anpreisungen. Wer imstande ist, ans ein und demselben Bogen auf
der Vorderseite jene vermeintlich genialen Klexereieu, ans der Rückseite diese garstigen
Straßenplakate drücke» zu lassen, beweist schon dadurch, daß er von typographischen
Geschmack keine Ahnung hat, also selber der Angeführte sein muß.

Einer thut uus aufrichtig leid bei der Sache: Johannes Brahms. Welche
reifen und süßen Früchte haben sich hier in die widrigsten, abgeschmacktesten Hüllen
stecken lassen müssen! Fernerstehende erheben gegen Brahms den Vorwurf, daß
seine Musik unnatürlich, gequält, grüblerisch sei. Nun ja, mit seiner Sprache ninß
man sich erst vertraut machen. Ist dies aber einmal geschehen, dann erschließt sich
jedes neue Werk vou ihm verhältnismäßig leicht. In den vorliegende» beiden
Liederheften sind wieder herzig einfache Sachen; vier sein „Wiegenlied" kennt oder
das „Vergebliche Ständchen" oder den „Jäger," wird finden, daß Lieder wie „Dort
in den Weiden," „Komm bald" und „Trennung" im op. 97 ganz auf demselben
Wege liegen wie jene : auf dem Wege von der Kunst zur Natur. Mit auserlesen
vornehmen künstlerischen Ansdrucksmitteln wird hier doch schließlich die denkbar
einfachste Wirkung erreicht, wenn nnr Säuger und Spieler alles beherrschen und
mit voller Freiheit wiedergebe». An einem Liede wie die „Nachtigall" befremdet
wohl anfangs der Versuch, an die elementaren Klänge des Vogelgesanges zu erinnern;
aber bald befreundet man sich anch damit; „halte dein Ohr dran, dünn hörest
du was!" Die Perle in beiden Heften ist wohl „Wir wandelten" in vo. 96. Die
ganze Seligkeit eines schweigsam dahingehender, kein Geständnis wägenden Paares
kann nicht köstlicher geschildert werden, als wie es hier in dem süßmelodischen zwei¬
stimmigen Kanon in Dos geschehen ist. Und wie entzückend keimten die „goldnen
Glöckchen" dazwischen, mit denen der Liebende die uunusgesprochucu Gedanken in
seinem Haupte vergleicht! „So wundersüß, so wuuderlicblich ist in der Welt
kein andrer Hall!"

Hoffentlich entschließt sich der Verleger, bei einer neuen Anflöge der Lieder
die garstige» Umschlage und Titelblätter zu beseitigen. Er ist sehr schlecht dabei
beraten gewesen. Möge er, wenn er den ernstlichen Willen hat, u»fre Musikalieu-
ansstattnng zu reformiren, ein andermal bessere Ratgeber suchen und finden.




Das Hütten- und Sickingen-Denkmal.

Di
e Angelegenheit des Denk¬
mals für Hütten und Sickingen ans der Ebernburg an der Nahe ist seit unsrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/502>, abgerufen am 27.12.2024.