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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Literatur.

schlagen seiner politischen Jdcnle gebrochen. Er erkannte seinen Irrtum, daß er
von Frankreich Heil für sein deutsches Vaterland gehofft hatte. Der Despotismus
der kleinen deutschen Fürsten, der ihn zum Anhänger der französischen Revolution
gemacht hatte, trieb gerade unter Napoleons Schuh seine üppigsten Blüten. Kerner
glaubte nicht an den Bestand dieser Herrschaft der Lüge; er feierte Schilt als den
neuen God von Berlichingen. Selbst noch eine Wendung zum Bessern zu erleben,
verzweifelte er. Ein Jahr nach seinem Tode trat sie ein.

Wir müssen Georg Keruers Leben ein tragisches nennen. Voll starker, edler
Absichten, reinsten Willens, politischen Eifers, der aber reifer Einsicht gänzlich ent¬
behrte, müssen wir ihn als ein Opfer der verrotteten Verhältnisse des alten Reiches
beklagen, die keinen nationalen Sinn aufkomme" ließen und gerade die Wohlmeinenden
in falsche Bahnen treiben mußten. Und so verdient er es wohl, daß zur Belehrung
und Mahnung sein Leben und Schicksal einem unter glücklicheren Zeichen auf-
strebenden Geschlechte in Erinnerung gebracht wird.


M. R.


Literatur.
Guitarrenklänge. Volks- und volkstümliche Lieder Spaniens. Nebcrschnnne", nebst An-
hang eigner Gedichte von Günther Walling. Leipzig, Friedrich1886.

Eine anmutige und unterhaltende Liedersnmmlung, die es verdient, ein warmes,
empfehlendes Wort mit auf den Weg zu bekommen. Der Uebersehcr hat mit vielem
Takt und Geschick aus den zahlreichen spanischen Liedern, welche im Volke, zumeist
auch mit Musik- und Tanzbegleitung, gesungen werden, diejenigen herausgesucht,
welche für das Land charakteristisch siud. Es sind in weit überwiegender Anzahl
vierzeilige Strophen, die ein Ganzes für sich bilden! Empfindnngsfragmente oder,
noch häufiger, Epigramme, die sehr lebhaft an die "Schuaderhiipfel" unsrer Alpen-
bewohner erinnern, z. B.:


Wie der Matador den Stier
Mit dem Mantel lenkt beim Fechten,
Also lenkt die Fran den Mann
Mit dem Fächer in der Rechten.

Diese "Copia" ist aus der Abteilung der "Joeosas"; die andern Abteilungen
find die der "Amorosas," "Tristes," "Senteneiosas," "Religiosas," "Figums," und
man kann diese Liederchen nicht besser charakterisiren, als es der Ueberseher in
dem schönen Vorwort "Ans der Ferne" gethan hat:


[Beginn Spaltensatz] Der Gestalten Reiz zwar fehlt,
Doch ein jedes ist beseelt
Von des Volkes Lust und Schmerzen...
Einige sind leicht wie Luft,
Süß wie Südens Blumenduft,
Schmetterlinge hell und bunt
Flattern sie von Mund zu Mund;
Andre treiben Scherz und Possen,
Gleichen kleinen Wurfgeschossen,
Die die Haut wohl manchmal ritzen, [Spaltenumbruch] Aber mehr als treffen, blitzen;
Die, wie fernes Glockenläuten,
Sind gemacht für Sinn'ges Denken,
Flüchtend aus der lauten Menge,
Hauchend leise Grabgcsänge.
Doch ob heiter oder trübe,
Ueberall ein Herz volle Liebe,
Ueberall ein Geist voll Klarheit
Und ein Wort voll schlichter Wahrheit. [Ende Spaltensatz]

Literatur.

schlagen seiner politischen Jdcnle gebrochen. Er erkannte seinen Irrtum, daß er
von Frankreich Heil für sein deutsches Vaterland gehofft hatte. Der Despotismus
der kleinen deutschen Fürsten, der ihn zum Anhänger der französischen Revolution
gemacht hatte, trieb gerade unter Napoleons Schuh seine üppigsten Blüten. Kerner
glaubte nicht an den Bestand dieser Herrschaft der Lüge; er feierte Schilt als den
neuen God von Berlichingen. Selbst noch eine Wendung zum Bessern zu erleben,
verzweifelte er. Ein Jahr nach seinem Tode trat sie ein.

Wir müssen Georg Keruers Leben ein tragisches nennen. Voll starker, edler
Absichten, reinsten Willens, politischen Eifers, der aber reifer Einsicht gänzlich ent¬
behrte, müssen wir ihn als ein Opfer der verrotteten Verhältnisse des alten Reiches
beklagen, die keinen nationalen Sinn aufkomme» ließen und gerade die Wohlmeinenden
in falsche Bahnen treiben mußten. Und so verdient er es wohl, daß zur Belehrung
und Mahnung sein Leben und Schicksal einem unter glücklicheren Zeichen auf-
strebenden Geschlechte in Erinnerung gebracht wird.


M. R.


Literatur.
Guitarrenklänge. Volks- und volkstümliche Lieder Spaniens. Nebcrschnnne», nebst An-
hang eigner Gedichte von Günther Walling. Leipzig, Friedrich1886.

Eine anmutige und unterhaltende Liedersnmmlung, die es verdient, ein warmes,
empfehlendes Wort mit auf den Weg zu bekommen. Der Uebersehcr hat mit vielem
Takt und Geschick aus den zahlreichen spanischen Liedern, welche im Volke, zumeist
auch mit Musik- und Tanzbegleitung, gesungen werden, diejenigen herausgesucht,
welche für das Land charakteristisch siud. Es sind in weit überwiegender Anzahl
vierzeilige Strophen, die ein Ganzes für sich bilden! Empfindnngsfragmente oder,
noch häufiger, Epigramme, die sehr lebhaft an die „Schuaderhiipfel" unsrer Alpen-
bewohner erinnern, z. B.:


Wie der Matador den Stier
Mit dem Mantel lenkt beim Fechten,
Also lenkt die Fran den Mann
Mit dem Fächer in der Rechten.

Diese „Copia" ist aus der Abteilung der „Joeosas"; die andern Abteilungen
find die der „Amorosas," „Tristes," „Senteneiosas," „Religiosas," „Figums," und
man kann diese Liederchen nicht besser charakterisiren, als es der Ueberseher in
dem schönen Vorwort „Ans der Ferne" gethan hat:


[Beginn Spaltensatz] Der Gestalten Reiz zwar fehlt,
Doch ein jedes ist beseelt
Von des Volkes Lust und Schmerzen...
Einige sind leicht wie Luft,
Süß wie Südens Blumenduft,
Schmetterlinge hell und bunt
Flattern sie von Mund zu Mund;
Andre treiben Scherz und Possen,
Gleichen kleinen Wurfgeschossen,
Die die Haut wohl manchmal ritzen, [Spaltenumbruch] Aber mehr als treffen, blitzen;
Die, wie fernes Glockenläuten,
Sind gemacht für Sinn'ges Denken,
Flüchtend aus der lauten Menge,
Hauchend leise Grabgcsänge.
Doch ob heiter oder trübe,
Ueberall ein Herz volle Liebe,
Ueberall ein Geist voll Klarheit
Und ein Wort voll schlichter Wahrheit. [Ende Spaltensatz]

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[0399] Literatur. schlagen seiner politischen Jdcnle gebrochen. Er erkannte seinen Irrtum, daß er von Frankreich Heil für sein deutsches Vaterland gehofft hatte. Der Despotismus der kleinen deutschen Fürsten, der ihn zum Anhänger der französischen Revolution gemacht hatte, trieb gerade unter Napoleons Schuh seine üppigsten Blüten. Kerner glaubte nicht an den Bestand dieser Herrschaft der Lüge; er feierte Schilt als den neuen God von Berlichingen. Selbst noch eine Wendung zum Bessern zu erleben, verzweifelte er. Ein Jahr nach seinem Tode trat sie ein. Wir müssen Georg Keruers Leben ein tragisches nennen. Voll starker, edler Absichten, reinsten Willens, politischen Eifers, der aber reifer Einsicht gänzlich ent¬ behrte, müssen wir ihn als ein Opfer der verrotteten Verhältnisse des alten Reiches beklagen, die keinen nationalen Sinn aufkomme» ließen und gerade die Wohlmeinenden in falsche Bahnen treiben mußten. Und so verdient er es wohl, daß zur Belehrung und Mahnung sein Leben und Schicksal einem unter glücklicheren Zeichen auf- strebenden Geschlechte in Erinnerung gebracht wird. M. R. Literatur. Guitarrenklänge. Volks- und volkstümliche Lieder Spaniens. Nebcrschnnne», nebst An- hang eigner Gedichte von Günther Walling. Leipzig, Friedrich1886. Eine anmutige und unterhaltende Liedersnmmlung, die es verdient, ein warmes, empfehlendes Wort mit auf den Weg zu bekommen. Der Uebersehcr hat mit vielem Takt und Geschick aus den zahlreichen spanischen Liedern, welche im Volke, zumeist auch mit Musik- und Tanzbegleitung, gesungen werden, diejenigen herausgesucht, welche für das Land charakteristisch siud. Es sind in weit überwiegender Anzahl vierzeilige Strophen, die ein Ganzes für sich bilden! Empfindnngsfragmente oder, noch häufiger, Epigramme, die sehr lebhaft an die „Schuaderhiipfel" unsrer Alpen- bewohner erinnern, z. B.: Wie der Matador den Stier Mit dem Mantel lenkt beim Fechten, Also lenkt die Fran den Mann Mit dem Fächer in der Rechten. Diese „Copia" ist aus der Abteilung der „Joeosas"; die andern Abteilungen find die der „Amorosas," „Tristes," „Senteneiosas," „Religiosas," „Figums," und man kann diese Liederchen nicht besser charakterisiren, als es der Ueberseher in dem schönen Vorwort „Ans der Ferne" gethan hat: Der Gestalten Reiz zwar fehlt, Doch ein jedes ist beseelt Von des Volkes Lust und Schmerzen... Einige sind leicht wie Luft, Süß wie Südens Blumenduft, Schmetterlinge hell und bunt Flattern sie von Mund zu Mund; Andre treiben Scherz und Possen, Gleichen kleinen Wurfgeschossen, Die die Haut wohl manchmal ritzen, Aber mehr als treffen, blitzen; Die, wie fernes Glockenläuten, Sind gemacht für Sinn'ges Denken, Flüchtend aus der lauten Menge, Hauchend leise Grabgcsänge. Doch ob heiter oder trübe, Ueberall ein Herz volle Liebe, Ueberall ein Geist voll Klarheit Und ein Wort voll schlichter Wahrheit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/399>, abgerufen am 27.12.2024.