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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Welt überschwemmen, bleibt die meine schwarz und unter Eis, Der Winter
umhüllt sie mit seinem Reife, wie mit einem ewigen Schweißtuche, Lasset die
weinen, die keinen Frühling kennen."




Die naturalistische Schule in Deutschland.
3.

cum G
- Conrad in seinen Münchner Novellen trotz allem als
ein ernster Schriftsteller erscheint, der sich selbst der Erkenntnis
nicht völlig verschließt, daß es vor den Naturalisten einige große
LelienSdnrsteller gegeben hat, die man zwar der "Lüge" zeihen,
aber nicht überführen kann, so treten andre Mitglieder der Schule
in einer Haltung auf den literarischen Kampfplatz, als ob die Literatur und
die Wahrheit mit ihnen begonnen. Das Äußerste, nicht in Bezug auf die Dinge,
die er "wagt," sondern auf die Ansprüche, die er erhebt, finden wir bei Carl
Bleibtreu, dem Verfasser der "realistischen" Novellen Schlechte Gesell¬
schaft (Leipzig, W. Friedrich, 1886) und der Schlachtbilder Vio8 ir^s,
Napoleon bei Leipzig, Wer weiß es? Deutsche Waffen in Spanien,
einem Autor, welchem Conrad in einem Begleitbriefe zu dem erstgenannten
besonders charakteristischen Buche die Versicherung erteilt, "er sei als Erkennender
wie als Nachschaffender der Wahrheit bis in ihre abgründigsten Tiefen nach¬
gegangen," und dem er zuruft: "Dem ästhetisireuden Gesinde! mit seiner ober¬
faulen Sittlichkeit mag dein Thun fatal sein. Wir achten der grinsenden
Manier nicht und der lüsternen Fratzen, und wo mau uns ob unsrer rücksichts¬
losen Lust an der reinen Kunst und Erkenntnis mit denunziatorischen Blicken
verfolgt, gehen wir mit stolzer Verachtung vorüber." Herr Bleibtreu selbst
aber erklärt: "Ich wünsche meinem Buche nur dreierlei: daß die Heuchler es
unmoralisch, die Sentimentalen es brutal und gewisse jugendliche Se. Beuves
der Realistenschule es sentimental finden mögen. Dann wäre ich ja getrost in
meinem Gemüte, daß ich ein hvchmoralisches, gesundes und wahres Buch ge¬
schrieben haben muß."

Der Leser entnimmt schon aus deu angeführten wenigen Sätzen, daß die
"Schule" trotz ihrer "Heißsporne" die kälteste Berechnung auf eine weitverbreitete
Feigheit nicht außer Augen läßt. Es ist ja weder angenehm, sich öffentlich der
"Patentirten honetten Schurkerei" angeschuldigt zu sehen, noch besonders vergnüg¬
lich, als "Blaustrumpfschiuierer, Wonnebrunzler, Feigenblättler" angeredet zu


Grenzüotm II. 1386. 4c)

Welt überschwemmen, bleibt die meine schwarz und unter Eis, Der Winter
umhüllt sie mit seinem Reife, wie mit einem ewigen Schweißtuche, Lasset die
weinen, die keinen Frühling kennen."




Die naturalistische Schule in Deutschland.
3.

cum G
- Conrad in seinen Münchner Novellen trotz allem als
ein ernster Schriftsteller erscheint, der sich selbst der Erkenntnis
nicht völlig verschließt, daß es vor den Naturalisten einige große
LelienSdnrsteller gegeben hat, die man zwar der „Lüge" zeihen,
aber nicht überführen kann, so treten andre Mitglieder der Schule
in einer Haltung auf den literarischen Kampfplatz, als ob die Literatur und
die Wahrheit mit ihnen begonnen. Das Äußerste, nicht in Bezug auf die Dinge,
die er „wagt," sondern auf die Ansprüche, die er erhebt, finden wir bei Carl
Bleibtreu, dem Verfasser der „realistischen" Novellen Schlechte Gesell¬
schaft (Leipzig, W. Friedrich, 1886) und der Schlachtbilder Vio8 ir^s,
Napoleon bei Leipzig, Wer weiß es? Deutsche Waffen in Spanien,
einem Autor, welchem Conrad in einem Begleitbriefe zu dem erstgenannten
besonders charakteristischen Buche die Versicherung erteilt, „er sei als Erkennender
wie als Nachschaffender der Wahrheit bis in ihre abgründigsten Tiefen nach¬
gegangen," und dem er zuruft: „Dem ästhetisireuden Gesinde! mit seiner ober¬
faulen Sittlichkeit mag dein Thun fatal sein. Wir achten der grinsenden
Manier nicht und der lüsternen Fratzen, und wo mau uns ob unsrer rücksichts¬
losen Lust an der reinen Kunst und Erkenntnis mit denunziatorischen Blicken
verfolgt, gehen wir mit stolzer Verachtung vorüber." Herr Bleibtreu selbst
aber erklärt: „Ich wünsche meinem Buche nur dreierlei: daß die Heuchler es
unmoralisch, die Sentimentalen es brutal und gewisse jugendliche Se. Beuves
der Realistenschule es sentimental finden mögen. Dann wäre ich ja getrost in
meinem Gemüte, daß ich ein hvchmoralisches, gesundes und wahres Buch ge¬
schrieben haben muß."

Der Leser entnimmt schon aus deu angeführten wenigen Sätzen, daß die
„Schule" trotz ihrer „Heißsporne" die kälteste Berechnung auf eine weitverbreitete
Feigheit nicht außer Augen läßt. Es ist ja weder angenehm, sich öffentlich der
„Patentirten honetten Schurkerei" angeschuldigt zu sehen, noch besonders vergnüg¬
lich, als „Blaustrumpfschiuierer, Wonnebrunzler, Feigenblättler" angeredet zu


Grenzüotm II. 1386. 4c)
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[0321] Welt überschwemmen, bleibt die meine schwarz und unter Eis, Der Winter umhüllt sie mit seinem Reife, wie mit einem ewigen Schweißtuche, Lasset die weinen, die keinen Frühling kennen." Die naturalistische Schule in Deutschland. 3. cum G - Conrad in seinen Münchner Novellen trotz allem als ein ernster Schriftsteller erscheint, der sich selbst der Erkenntnis nicht völlig verschließt, daß es vor den Naturalisten einige große LelienSdnrsteller gegeben hat, die man zwar der „Lüge" zeihen, aber nicht überführen kann, so treten andre Mitglieder der Schule in einer Haltung auf den literarischen Kampfplatz, als ob die Literatur und die Wahrheit mit ihnen begonnen. Das Äußerste, nicht in Bezug auf die Dinge, die er „wagt," sondern auf die Ansprüche, die er erhebt, finden wir bei Carl Bleibtreu, dem Verfasser der „realistischen" Novellen Schlechte Gesell¬ schaft (Leipzig, W. Friedrich, 1886) und der Schlachtbilder Vio8 ir^s, Napoleon bei Leipzig, Wer weiß es? Deutsche Waffen in Spanien, einem Autor, welchem Conrad in einem Begleitbriefe zu dem erstgenannten besonders charakteristischen Buche die Versicherung erteilt, „er sei als Erkennender wie als Nachschaffender der Wahrheit bis in ihre abgründigsten Tiefen nach¬ gegangen," und dem er zuruft: „Dem ästhetisireuden Gesinde! mit seiner ober¬ faulen Sittlichkeit mag dein Thun fatal sein. Wir achten der grinsenden Manier nicht und der lüsternen Fratzen, und wo mau uns ob unsrer rücksichts¬ losen Lust an der reinen Kunst und Erkenntnis mit denunziatorischen Blicken verfolgt, gehen wir mit stolzer Verachtung vorüber." Herr Bleibtreu selbst aber erklärt: „Ich wünsche meinem Buche nur dreierlei: daß die Heuchler es unmoralisch, die Sentimentalen es brutal und gewisse jugendliche Se. Beuves der Realistenschule es sentimental finden mögen. Dann wäre ich ja getrost in meinem Gemüte, daß ich ein hvchmoralisches, gesundes und wahres Buch ge¬ schrieben haben muß." Der Leser entnimmt schon aus deu angeführten wenigen Sätzen, daß die „Schule" trotz ihrer „Heißsporne" die kälteste Berechnung auf eine weitverbreitete Feigheit nicht außer Augen läßt. Es ist ja weder angenehm, sich öffentlich der „Patentirten honetten Schurkerei" angeschuldigt zu sehen, noch besonders vergnüg¬ lich, als „Blaustrumpfschiuierer, Wonnebrunzler, Feigenblättler" angeredet zu Grenzüotm II. 1386. 4c)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/321>, abgerufen am 27.12.2024.