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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Spiel und Wette.

manches finden wurde, was die Probe nicht aushalten könnte. Schon vielfach
ist er auf die großen Dichter unsrer letzten Literaturepoche hingewiesen worden,
auch darin geben sie ein nachahmenswertes Beispiel, daß sie nicht bloß ihr
eigentliches dichterisches Schaffen mit seltenem Fleiße betrieben, sondern auch
die vielfachen Vorbedingungen mit eben so unermüdlicher Ausdauer herge¬
stellt haben! Mühe und Sorge nicht sowohl in der immer von neuem wieder
begonnenen Arbeit des Glcittens und Feilens, sondern auch in schwerem und
gründlichem Studium der Alten, der Geschichte und Philosophie. Es soll nicht
behauptet werden, daß Wildenbruch nicht arbeite, daß er nicht fleißig sei, aber
seine Schauspiele verraten es nicht, auch der "Memorie" nicht. Talent, dich¬
terische Begabung reichen allein nicht aus, das meiste thut ernste, gewissenhafte
Arbeit. Aber der Fleiß ist eben nicht die Signatur unsrer Tage; wie könnten
auch sonst so viele poetische Erzeugnisse ohne Wert auf den Markt kommen?
Die meisten Dichter der Gegenwart arbeiten, das eine Auge gläubig und an¬
dachtsvoll auf den Genius der Poesie und auf die Regeln der Kunst gerichtet,
aber das andre schielt nach dem Götzen Publikum und sucht zu erspähen, was
seine Laune befiehlt. Auch Wildenbruch ist von diesem Vorwurfe nicht frei
zu sprechen. Möge er sich hüten, daß man nicht sogar schlimmeres von ihm
sage, nicht sage, sein Blick sei noch tiefer gerichtet. Auf dem Parquetboden
der Berliner Salons mögen Blumen wachsen, und es mag verlockend sein, sie
zum Kranz für die Stirne zu winden, aber die echten Vorderen sind das nicht.
Die wachsen anderswo, die gedeihen auf dein Boden unsers gesamten Volks¬
lebens, auf den die treibende Kraft eines umfassenden Wissens und die fördernde
Macht treuer und ehrlicher Arbeit übertragen wird.




Spiel und Wette.
von Veit Valentin.

le Begrenzung des Begriffsgebietes der im alltäglichen Leben oft
ineinander übergehenden Bezeichnungen Spiel und Wette hat der
juristischen Wissenschaft schon viele Schwierigkeiten verursacht.
Vielleicht ist es einer andern Wissenschaft, der Ästhetik, gestattet,
von ihrem Standpunkte aus eine Begrenzung der Begriffe zu
versuchen. Oder sollte es unmöglich erscheinen, daß die Entscheidungsgründe der
einen Wissenschaft auch für eine andre in förderlicher Weise sich verwenden ließen?

Die Ästhetik geht, um ihr Gebiet zu begrenzen, von dem Wesensunterschiede


Spiel und Wette.

manches finden wurde, was die Probe nicht aushalten könnte. Schon vielfach
ist er auf die großen Dichter unsrer letzten Literaturepoche hingewiesen worden,
auch darin geben sie ein nachahmenswertes Beispiel, daß sie nicht bloß ihr
eigentliches dichterisches Schaffen mit seltenem Fleiße betrieben, sondern auch
die vielfachen Vorbedingungen mit eben so unermüdlicher Ausdauer herge¬
stellt haben! Mühe und Sorge nicht sowohl in der immer von neuem wieder
begonnenen Arbeit des Glcittens und Feilens, sondern auch in schwerem und
gründlichem Studium der Alten, der Geschichte und Philosophie. Es soll nicht
behauptet werden, daß Wildenbruch nicht arbeite, daß er nicht fleißig sei, aber
seine Schauspiele verraten es nicht, auch der „Memorie" nicht. Talent, dich¬
terische Begabung reichen allein nicht aus, das meiste thut ernste, gewissenhafte
Arbeit. Aber der Fleiß ist eben nicht die Signatur unsrer Tage; wie könnten
auch sonst so viele poetische Erzeugnisse ohne Wert auf den Markt kommen?
Die meisten Dichter der Gegenwart arbeiten, das eine Auge gläubig und an¬
dachtsvoll auf den Genius der Poesie und auf die Regeln der Kunst gerichtet,
aber das andre schielt nach dem Götzen Publikum und sucht zu erspähen, was
seine Laune befiehlt. Auch Wildenbruch ist von diesem Vorwurfe nicht frei
zu sprechen. Möge er sich hüten, daß man nicht sogar schlimmeres von ihm
sage, nicht sage, sein Blick sei noch tiefer gerichtet. Auf dem Parquetboden
der Berliner Salons mögen Blumen wachsen, und es mag verlockend sein, sie
zum Kranz für die Stirne zu winden, aber die echten Vorderen sind das nicht.
Die wachsen anderswo, die gedeihen auf dein Boden unsers gesamten Volks¬
lebens, auf den die treibende Kraft eines umfassenden Wissens und die fördernde
Macht treuer und ehrlicher Arbeit übertragen wird.




Spiel und Wette.
von Veit Valentin.

le Begrenzung des Begriffsgebietes der im alltäglichen Leben oft
ineinander übergehenden Bezeichnungen Spiel und Wette hat der
juristischen Wissenschaft schon viele Schwierigkeiten verursacht.
Vielleicht ist es einer andern Wissenschaft, der Ästhetik, gestattet,
von ihrem Standpunkte aus eine Begrenzung der Begriffe zu
versuchen. Oder sollte es unmöglich erscheinen, daß die Entscheidungsgründe der
einen Wissenschaft auch für eine andre in förderlicher Weise sich verwenden ließen?

Die Ästhetik geht, um ihr Gebiet zu begrenzen, von dem Wesensunterschiede


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/30>, abgerufen am 27.06.2024.