Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


Die griechische Frage.

l
e griechische Frage beschäftigt und verstimmt die Welt noch
immer. Da sie in engem Zusammenhange mit der bulgarischen
steht, so durfte man hoffen, sie werde gewissermaßen von selbst
einschlafen, wenn die letztere beigelegt sei. Diese Hoffnung scheint
aber trügen zu wollen. Wenigstens verdoppelten in den letzten
Wochen die Griechen ihre kriegslustiger Kundgebungen und ihre Vorbereitungen
zu einen" Kampfe mit der Pforte, Ohne deutlich zu erklären, daß er losschlagen
will, thut der griechische Ministerpräsident alles irgendmöglichc, um einen Zu¬
sammenstoß mit den Türken unvermeidlich zu machen, und er wird somit, wenn
derselbe erfolgt, dafür verantwortlich zu machen sein, gleichviel von welcher
Seite zuerst die Grenze überschritten und der erste Schuß gethan werden sollte.
Der König Georg scheint in ähnlicher Lage zu sein wie Napoleon der Dritte
im Sommer des Jahres 1870: er wird von einer Partei, der er nicht wider¬
stehen kann, zu einem Wagnis gedrängt, welches ihm die Krone kosten kann.
Ein ehrgeiziger Minister und eine verblendete Volksvertretung wollen es so,
während er selbst augenscheinlich friedfertig denkt, Delyannis wieder geberdet
sich, als ob er gleichfalls nur Impulsen außer ihm gehorchte, wenn er sich in
sichtliche Gefahr stürzte, als vollzöge er nur den Willen der Nation. Wir meinen
aber, er sei an die Spitze der Regierung gestellt, um zu regieren, nicht um
regiert zu werden, Verstand zu haben für das Volk, nicht der Diener von dessen
Unverstand zu sein, ganz abgesehen davon, daß schwerlich das ganze griechische
Volk, sondern sicher nur eine sehr laute und rührige Partei nach Krieg und
Raub schreit.

Was die Stellung der Mächte zu der Angelegenheit betrifft, so scheint
jetzt festzustehen, daß dieselben es Griechenland überlassen wollen, selber mit der


Grenzboten II, 188ö, 25


Die griechische Frage.

l
e griechische Frage beschäftigt und verstimmt die Welt noch
immer. Da sie in engem Zusammenhange mit der bulgarischen
steht, so durfte man hoffen, sie werde gewissermaßen von selbst
einschlafen, wenn die letztere beigelegt sei. Diese Hoffnung scheint
aber trügen zu wollen. Wenigstens verdoppelten in den letzten
Wochen die Griechen ihre kriegslustiger Kundgebungen und ihre Vorbereitungen
zu einen« Kampfe mit der Pforte, Ohne deutlich zu erklären, daß er losschlagen
will, thut der griechische Ministerpräsident alles irgendmöglichc, um einen Zu¬
sammenstoß mit den Türken unvermeidlich zu machen, und er wird somit, wenn
derselbe erfolgt, dafür verantwortlich zu machen sein, gleichviel von welcher
Seite zuerst die Grenze überschritten und der erste Schuß gethan werden sollte.
Der König Georg scheint in ähnlicher Lage zu sein wie Napoleon der Dritte
im Sommer des Jahres 1870: er wird von einer Partei, der er nicht wider¬
stehen kann, zu einem Wagnis gedrängt, welches ihm die Krone kosten kann.
Ein ehrgeiziger Minister und eine verblendete Volksvertretung wollen es so,
während er selbst augenscheinlich friedfertig denkt, Delyannis wieder geberdet
sich, als ob er gleichfalls nur Impulsen außer ihm gehorchte, wenn er sich in
sichtliche Gefahr stürzte, als vollzöge er nur den Willen der Nation. Wir meinen
aber, er sei an die Spitze der Regierung gestellt, um zu regieren, nicht um
regiert zu werden, Verstand zu haben für das Volk, nicht der Diener von dessen
Unverstand zu sein, ganz abgesehen davon, daß schwerlich das ganze griechische
Volk, sondern sicher nur eine sehr laute und rührige Partei nach Krieg und
Raub schreit.

Was die Stellung der Mächte zu der Angelegenheit betrifft, so scheint
jetzt festzustehen, daß dieselben es Griechenland überlassen wollen, selber mit der


Grenzboten II, 188ö, 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198267"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341843_198065/figures/grenzboten_341843_198065_198267_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die griechische Frage.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_536"> l<lb/>
e griechische Frage beschäftigt und verstimmt die Welt noch<lb/>
immer. Da sie in engem Zusammenhange mit der bulgarischen<lb/>
steht, so durfte man hoffen, sie werde gewissermaßen von selbst<lb/>
einschlafen, wenn die letztere beigelegt sei. Diese Hoffnung scheint<lb/>
aber trügen zu wollen. Wenigstens verdoppelten in den letzten<lb/>
Wochen die Griechen ihre kriegslustiger Kundgebungen und ihre Vorbereitungen<lb/>
zu einen« Kampfe mit der Pforte, Ohne deutlich zu erklären, daß er losschlagen<lb/>
will, thut der griechische Ministerpräsident alles irgendmöglichc, um einen Zu¬<lb/>
sammenstoß mit den Türken unvermeidlich zu machen, und er wird somit, wenn<lb/>
derselbe erfolgt, dafür verantwortlich zu machen sein, gleichviel von welcher<lb/>
Seite zuerst die Grenze überschritten und der erste Schuß gethan werden sollte.<lb/>
Der König Georg scheint in ähnlicher Lage zu sein wie Napoleon der Dritte<lb/>
im Sommer des Jahres 1870: er wird von einer Partei, der er nicht wider¬<lb/>
stehen kann, zu einem Wagnis gedrängt, welches ihm die Krone kosten kann.<lb/>
Ein ehrgeiziger Minister und eine verblendete Volksvertretung wollen es so,<lb/>
während er selbst augenscheinlich friedfertig denkt, Delyannis wieder geberdet<lb/>
sich, als ob er gleichfalls nur Impulsen außer ihm gehorchte, wenn er sich in<lb/>
sichtliche Gefahr stürzte, als vollzöge er nur den Willen der Nation. Wir meinen<lb/>
aber, er sei an die Spitze der Regierung gestellt, um zu regieren, nicht um<lb/>
regiert zu werden, Verstand zu haben für das Volk, nicht der Diener von dessen<lb/>
Unverstand zu sein, ganz abgesehen davon, daß schwerlich das ganze griechische<lb/>
Volk, sondern sicher nur eine sehr laute und rührige Partei nach Krieg und<lb/>
Raub schreit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_537" next="#ID_538"> Was die Stellung der Mächte zu der Angelegenheit betrifft, so scheint<lb/>
jetzt festzustehen, daß dieselben es Griechenland überlassen wollen, selber mit der</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II, 188ö, 25</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0201] [Abbildung] Die griechische Frage. l e griechische Frage beschäftigt und verstimmt die Welt noch immer. Da sie in engem Zusammenhange mit der bulgarischen steht, so durfte man hoffen, sie werde gewissermaßen von selbst einschlafen, wenn die letztere beigelegt sei. Diese Hoffnung scheint aber trügen zu wollen. Wenigstens verdoppelten in den letzten Wochen die Griechen ihre kriegslustiger Kundgebungen und ihre Vorbereitungen zu einen« Kampfe mit der Pforte, Ohne deutlich zu erklären, daß er losschlagen will, thut der griechische Ministerpräsident alles irgendmöglichc, um einen Zu¬ sammenstoß mit den Türken unvermeidlich zu machen, und er wird somit, wenn derselbe erfolgt, dafür verantwortlich zu machen sein, gleichviel von welcher Seite zuerst die Grenze überschritten und der erste Schuß gethan werden sollte. Der König Georg scheint in ähnlicher Lage zu sein wie Napoleon der Dritte im Sommer des Jahres 1870: er wird von einer Partei, der er nicht wider¬ stehen kann, zu einem Wagnis gedrängt, welches ihm die Krone kosten kann. Ein ehrgeiziger Minister und eine verblendete Volksvertretung wollen es so, während er selbst augenscheinlich friedfertig denkt, Delyannis wieder geberdet sich, als ob er gleichfalls nur Impulsen außer ihm gehorchte, wenn er sich in sichtliche Gefahr stürzte, als vollzöge er nur den Willen der Nation. Wir meinen aber, er sei an die Spitze der Regierung gestellt, um zu regieren, nicht um regiert zu werden, Verstand zu haben für das Volk, nicht der Diener von dessen Unverstand zu sein, ganz abgesehen davon, daß schwerlich das ganze griechische Volk, sondern sicher nur eine sehr laute und rührige Partei nach Krieg und Raub schreit. Was die Stellung der Mächte zu der Angelegenheit betrifft, so scheint jetzt festzustehen, daß dieselben es Griechenland überlassen wollen, selber mit der Grenzboten II, 188ö, 25

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/201
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/201>, abgerufen am 27.06.2024.