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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Line mündliche Verhandlung, wie sie nicht sein soll,

mistischen Duelle" ist gänzlich unbekannt. Außerdem giebt es 18 Gymnasien,
145 höhere Bürger- und über 1100 Volksschulen, Unter allen Zweigen der
Verwaltung ist der des öffentlichen Unterrichts der weitaus bcstbestellte. Auch
für die sonst im Orient so vernachlässigte weibliche Erziehung wird gesorgt, und
sich mit athenischen Damen zu unterhalten, ist ebenso lehrreich als interessant;
man begegnet vielseitigen, gründlichen Kenntnissen, und dabei ist die weibliche
Anmut nicht verloren gegangen. Nicht zuletzt ist hervorzuheben, daß der gesamte
Unterricht in der Elementarschule bis zu den Vorlesungen an der Hochschule
unentgeltlich erteilt wird. Freilich widmet sich infolgedessen ein über den
Bedarf großer Teil der Jugend deu höhern Berufsarten, namentlich der
Jurisprudenz und Medizin, und daher kommt die überschüssige Zahl von Ad¬
vokaten und Ärzten, welche in Ermangelung von Praxis die Politik zu ihrem
Handwerk machen.




Eine mündliche Verhandlung, wie sie nicht sein soll.

ur selten treten Gerichtsverhandlungen, wie sie sich unter der
Herrschaft der Mündlichkeit abspielen, in ihren Einzelheiten an
die Öffentlichkeit. Als vor einigen Monaten ein berüchtigter
Strafprozeß, der in Berlin verhandelt wurde, durch die Blätter
lief, waren die Grenzboten in der Lage, auf die wenig passenden
Formen hinzuweisen, in welchen der Vorsitzende von seinem Rechte der münd¬
lichen Urteilsverkündigung Gebrauch gemacht hatte. Jetzt sind wieder die Ver¬
handlungen über einen vielbesprochenen Zivilprozeß an die Öffentlichkeit gelangt.
Und leider finden wir uns auch hier veranlaßt, unsre Bedenken gegen die Art
des Auftretens des Präsidenten in dieser Sache offen auszusprechen.

Es handelt sich um einen der vom preußischen Fiskus gegen verschiedne
Reichstagsabgeordnete angestrengten Prozeß wegen Rückzahlung bezogener Frak¬
tionsdiäten, einen Anspruch, der auf die Vorschriften in Teil I, Titel 16, §§ 172,
173, 205, 20V des preußische" Landrechts gestützt wird. Der vorliegende, wider
den Abgeordneten Kranker geführte Prozeß wurde, nachdem in erster Instanz
die Klage zurückgewiesen war, in zweiter Instanz vor dem vierten Senate des
Oberlandesgerichts zu Breslau verhandelt. Darüber wird nun folgendes be¬
richtet:

Der Vertreter des Fiskus, Justizrat Knupisch, begründete eingehend du in der
Bernfungsschrift angeführten Gesichtspunkte und beantragte Aufhetzung der Land-
gerichtsentschcidung, welche die Klage auf Heranszahlnng von 1810 Mark Diäten
abgewiesen heilte. Der Verklagte habe von 1 "3 t bis 1885 in Summa über vier¬
hundert Tage als Abgeordneter der sozialdemokratischen Partei in Berlin genent,
und nach den Beschlüssen des Gothaer Sozialisteukmigresses über die Diäteusätze


Line mündliche Verhandlung, wie sie nicht sein soll,

mistischen Duelle» ist gänzlich unbekannt. Außerdem giebt es 18 Gymnasien,
145 höhere Bürger- und über 1100 Volksschulen, Unter allen Zweigen der
Verwaltung ist der des öffentlichen Unterrichts der weitaus bcstbestellte. Auch
für die sonst im Orient so vernachlässigte weibliche Erziehung wird gesorgt, und
sich mit athenischen Damen zu unterhalten, ist ebenso lehrreich als interessant;
man begegnet vielseitigen, gründlichen Kenntnissen, und dabei ist die weibliche
Anmut nicht verloren gegangen. Nicht zuletzt ist hervorzuheben, daß der gesamte
Unterricht in der Elementarschule bis zu den Vorlesungen an der Hochschule
unentgeltlich erteilt wird. Freilich widmet sich infolgedessen ein über den
Bedarf großer Teil der Jugend deu höhern Berufsarten, namentlich der
Jurisprudenz und Medizin, und daher kommt die überschüssige Zahl von Ad¬
vokaten und Ärzten, welche in Ermangelung von Praxis die Politik zu ihrem
Handwerk machen.




Eine mündliche Verhandlung, wie sie nicht sein soll.

ur selten treten Gerichtsverhandlungen, wie sie sich unter der
Herrschaft der Mündlichkeit abspielen, in ihren Einzelheiten an
die Öffentlichkeit. Als vor einigen Monaten ein berüchtigter
Strafprozeß, der in Berlin verhandelt wurde, durch die Blätter
lief, waren die Grenzboten in der Lage, auf die wenig passenden
Formen hinzuweisen, in welchen der Vorsitzende von seinem Rechte der münd¬
lichen Urteilsverkündigung Gebrauch gemacht hatte. Jetzt sind wieder die Ver¬
handlungen über einen vielbesprochenen Zivilprozeß an die Öffentlichkeit gelangt.
Und leider finden wir uns auch hier veranlaßt, unsre Bedenken gegen die Art
des Auftretens des Präsidenten in dieser Sache offen auszusprechen.

Es handelt sich um einen der vom preußischen Fiskus gegen verschiedne
Reichstagsabgeordnete angestrengten Prozeß wegen Rückzahlung bezogener Frak¬
tionsdiäten, einen Anspruch, der auf die Vorschriften in Teil I, Titel 16, §§ 172,
173, 205, 20V des preußische» Landrechts gestützt wird. Der vorliegende, wider
den Abgeordneten Kranker geführte Prozeß wurde, nachdem in erster Instanz
die Klage zurückgewiesen war, in zweiter Instanz vor dem vierten Senate des
Oberlandesgerichts zu Breslau verhandelt. Darüber wird nun folgendes be¬
richtet:

Der Vertreter des Fiskus, Justizrat Knupisch, begründete eingehend du in der
Bernfungsschrift angeführten Gesichtspunkte und beantragte Aufhetzung der Land-
gerichtsentschcidung, welche die Klage auf Heranszahlnng von 1810 Mark Diäten
abgewiesen heilte. Der Verklagte habe von 1 «3 t bis 1885 in Summa über vier¬
hundert Tage als Abgeordneter der sozialdemokratischen Partei in Berlin genent,
und nach den Beschlüssen des Gothaer Sozialisteukmigresses über die Diäteusätze


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[0325] Line mündliche Verhandlung, wie sie nicht sein soll, mistischen Duelle» ist gänzlich unbekannt. Außerdem giebt es 18 Gymnasien, 145 höhere Bürger- und über 1100 Volksschulen, Unter allen Zweigen der Verwaltung ist der des öffentlichen Unterrichts der weitaus bcstbestellte. Auch für die sonst im Orient so vernachlässigte weibliche Erziehung wird gesorgt, und sich mit athenischen Damen zu unterhalten, ist ebenso lehrreich als interessant; man begegnet vielseitigen, gründlichen Kenntnissen, und dabei ist die weibliche Anmut nicht verloren gegangen. Nicht zuletzt ist hervorzuheben, daß der gesamte Unterricht in der Elementarschule bis zu den Vorlesungen an der Hochschule unentgeltlich erteilt wird. Freilich widmet sich infolgedessen ein über den Bedarf großer Teil der Jugend deu höhern Berufsarten, namentlich der Jurisprudenz und Medizin, und daher kommt die überschüssige Zahl von Ad¬ vokaten und Ärzten, welche in Ermangelung von Praxis die Politik zu ihrem Handwerk machen. Eine mündliche Verhandlung, wie sie nicht sein soll. ur selten treten Gerichtsverhandlungen, wie sie sich unter der Herrschaft der Mündlichkeit abspielen, in ihren Einzelheiten an die Öffentlichkeit. Als vor einigen Monaten ein berüchtigter Strafprozeß, der in Berlin verhandelt wurde, durch die Blätter lief, waren die Grenzboten in der Lage, auf die wenig passenden Formen hinzuweisen, in welchen der Vorsitzende von seinem Rechte der münd¬ lichen Urteilsverkündigung Gebrauch gemacht hatte. Jetzt sind wieder die Ver¬ handlungen über einen vielbesprochenen Zivilprozeß an die Öffentlichkeit gelangt. Und leider finden wir uns auch hier veranlaßt, unsre Bedenken gegen die Art des Auftretens des Präsidenten in dieser Sache offen auszusprechen. Es handelt sich um einen der vom preußischen Fiskus gegen verschiedne Reichstagsabgeordnete angestrengten Prozeß wegen Rückzahlung bezogener Frak¬ tionsdiäten, einen Anspruch, der auf die Vorschriften in Teil I, Titel 16, §§ 172, 173, 205, 20V des preußische» Landrechts gestützt wird. Der vorliegende, wider den Abgeordneten Kranker geführte Prozeß wurde, nachdem in erster Instanz die Klage zurückgewiesen war, in zweiter Instanz vor dem vierten Senate des Oberlandesgerichts zu Breslau verhandelt. Darüber wird nun folgendes be¬ richtet: Der Vertreter des Fiskus, Justizrat Knupisch, begründete eingehend du in der Bernfungsschrift angeführten Gesichtspunkte und beantragte Aufhetzung der Land- gerichtsentschcidung, welche die Klage auf Heranszahlnng von 1810 Mark Diäten abgewiesen heilte. Der Verklagte habe von 1 «3 t bis 1885 in Summa über vier¬ hundert Tage als Abgeordneter der sozialdemokratischen Partei in Berlin genent, und nach den Beschlüssen des Gothaer Sozialisteukmigresses über die Diäteusätze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/325>, abgerufen am 05.02.2025.