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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

wirken können, während sie an seitwärts befindlichen Figuren falsche Wirkungen
ergeben und mit der plastischen Form in Widerspruch erscheinen würden.

Die Fehler, die sich aus einer malerisch perspektivischen Figurendarstellung
im Relief ergeben können, sind in den Ghibertischen Werken unsers Trachtens
vermieden. Sie liefern den Beweis, dasz die malerische Tendenz der Reliefent¬
wicklung auch in ihren letzten Konsequenzen mit der Natur der Darstellungs¬
mittel nicht notwendig in Konflikt geraten muß. In ihren positiven Vorzügen
entsprechen diese berühmten Meisterwerke der Renaissance ganz den allgemeinen
künstlerischen Gesetzen der Nelicfbehandlung.




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
13.

eisa, juchheisa, dideldumdei! -- so würde ich meine heutige Rede
beginnen, wenn mir nicht ein bekanntes Mitglied der Zentrums-
partei diese Wendung schon vor etwa neunzig Jahren vorweg^
genommen hätte. Die Herren stehen bekanntlich früh auf! Aber
dabei sein muß ich nichtsdestoweniger, wo es so hoch und so laut
hergeht. Eine solche Etatsdebatte ist in der That eine famose Erfindung. Da
kann man von allem und jedem sprechen, ohne zur Sache gerufen zu werden,
höchstens zur Ordnung, was der Rede einen hübschen Aufputz verleiht. Da kann
man die ältesten Leitartikel und politischen Feuilletons reden, und die Partei¬
freunde werden sich darüber so freuen, als ob sie die Dinge zum erstenmal
hörten. Da kann man der Regierung alles erdenkliche Schlechte nachsagen und
braucht sich auf Beweise so wenig einzulassen, wie Sir John Falstaff. Herr
Richter prvklcimirt ein Fiasko, Herr Liebknecht gleich ein halbes Dutzend Fiaskos,
ich will ein Schock aufzählen -- wer kann mirs wehren?

Bei aller Verehrung für die genannten Redner muß ich nämlich mein
Bedauern darüber aussprechen, daß sie die Sache so oberflächlich betrieben haben.
Wer mit Emphase der Regierung einige Fiaskos vorwirft, verleitet ja zu dem
Glauben, daß sie in andern Fällen den Erfolg für sich habe, und das darf
doch um keinen Preis zugestanden werden. Ich begreife wohl, daß ein so großer
Staatsmann, wie Herr Richter, endlich ermüdet, einem unverbesserlichen Schüler,
wie der Reichskanzler ist, immer wieder Vortrüge über Politik zu halten -- der
Fürst Bismarck versteht entweder die Lehren der Weisheit nicht oder er will
sie nicht verstehen. Aber das hilft nichts! Wenn man vom Schicksal aus¬
ersehen ist, das Vaterland vor dem Abgrunde zu rette", dem es nun seit drei-
undzwanzig Jahren "unentwegt" und mit immer wachsender Geschwindigkeit ent-


Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

wirken können, während sie an seitwärts befindlichen Figuren falsche Wirkungen
ergeben und mit der plastischen Form in Widerspruch erscheinen würden.

Die Fehler, die sich aus einer malerisch perspektivischen Figurendarstellung
im Relief ergeben können, sind in den Ghibertischen Werken unsers Trachtens
vermieden. Sie liefern den Beweis, dasz die malerische Tendenz der Reliefent¬
wicklung auch in ihren letzten Konsequenzen mit der Natur der Darstellungs¬
mittel nicht notwendig in Konflikt geraten muß. In ihren positiven Vorzügen
entsprechen diese berühmten Meisterwerke der Renaissance ganz den allgemeinen
künstlerischen Gesetzen der Nelicfbehandlung.




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
13.

eisa, juchheisa, dideldumdei! — so würde ich meine heutige Rede
beginnen, wenn mir nicht ein bekanntes Mitglied der Zentrums-
partei diese Wendung schon vor etwa neunzig Jahren vorweg^
genommen hätte. Die Herren stehen bekanntlich früh auf! Aber
dabei sein muß ich nichtsdestoweniger, wo es so hoch und so laut
hergeht. Eine solche Etatsdebatte ist in der That eine famose Erfindung. Da
kann man von allem und jedem sprechen, ohne zur Sache gerufen zu werden,
höchstens zur Ordnung, was der Rede einen hübschen Aufputz verleiht. Da kann
man die ältesten Leitartikel und politischen Feuilletons reden, und die Partei¬
freunde werden sich darüber so freuen, als ob sie die Dinge zum erstenmal
hörten. Da kann man der Regierung alles erdenkliche Schlechte nachsagen und
braucht sich auf Beweise so wenig einzulassen, wie Sir John Falstaff. Herr
Richter prvklcimirt ein Fiasko, Herr Liebknecht gleich ein halbes Dutzend Fiaskos,
ich will ein Schock aufzählen — wer kann mirs wehren?

Bei aller Verehrung für die genannten Redner muß ich nämlich mein
Bedauern darüber aussprechen, daß sie die Sache so oberflächlich betrieben haben.
Wer mit Emphase der Regierung einige Fiaskos vorwirft, verleitet ja zu dem
Glauben, daß sie in andern Fällen den Erfolg für sich habe, und das darf
doch um keinen Preis zugestanden werden. Ich begreife wohl, daß ein so großer
Staatsmann, wie Herr Richter, endlich ermüdet, einem unverbesserlichen Schüler,
wie der Reichskanzler ist, immer wieder Vortrüge über Politik zu halten — der
Fürst Bismarck versteht entweder die Lehren der Weisheit nicht oder er will
sie nicht verstehen. Aber das hilft nichts! Wenn man vom Schicksal aus¬
ersehen ist, das Vaterland vor dem Abgrunde zu rette», dem es nun seit drei-
undzwanzig Jahren „unentwegt" und mit immer wachsender Geschwindigkeit ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/500>, abgerufen am 15.01.2025.