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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Ein Jesuit über Goethe.
von Heinrich TNintzer.

aß dem gebornen Feinde des Protestantismus und jeder freien
Religionsrichtung, der sogenannten Gesellschaft Jesu, die klassische
deutsche Literatur, schon weil sie nicht auf katholischem Boden
gewachsen, zum Ärgernis geworden ist, ist ebenso natürlich als
ihr Streben, ihre Zöglinge und alle katholischen Seelen vor dem
Gifte zu warnen, das unter diesen verführerischen Rosen dem wahren Glauben
drohe. Aber statt sich damit zu begnügen, will sie den Beweis liefern, dieser
Stolz des deutschen Volkes leide an Fäulnis, die als große Männer verehrten
Dichter und Weisen seien so unsittlich wie ketzerisch gewesen. Freilich ist dies
sehr leicht, wenn man mit dem zum Katholizismus übergetretenen und eben
deshalb verherrlichten Stolberg von dem Satze ausgeht, jeder, der nicht an die
Göttlichkeit des Christentums glaube, sei ein schlechter Mensch, wonach dieser
auch schnöde über seinen Jugendfreund Goethe aburteilte, der dem Treulosen
so viel zu vergeben hatte und wirklich vergab, aber doch nicht hindern konnte,
daß dieser ihm Tücke und Unredlichkeit andichtete und so seinem Glauben sein
Gewissen zum Opfer brachte. Dieses Opfer zu bringen ist denn auch dem
Jesuitismus eine Herzenssache; je schlechter, niederträchtiger und armseliger man
das Bild unsrer deutschen Klassiker zeichnet, um so glänzender glaubt man sich
um den Orden und das Christentum verdient gemacht zu haben, ohne zu ahnen,
wie viel man selbst der geschmähten Wissenschaft und Kunst verdankt. Um die
Mittel ist man nicht verlegen. Je vielseitiger, verschlungener und reicher das
Leben eines gottbegabten Geistes ist, umsoweniger Mühe kostet es, einen Luftbau
von Mißverständnissen, Mißdeutungen und Schmähungen gegen ihn auszuführen
und aus dem edeln, redlich strebenden, zu vollster Entwicklung gelangten Manne
ein Zerrbild jämmerlicher Schwäche, eiteln Wahnes und arger Sündhaftigkeit
zu machen.

Die Mission, dieses Verdammungsurteil an Goethe zu vollstrecken, hat
Alexander Baumgartner übernommen, der schon vor sechs Jahren mit
-einer Schrift: "Goethes Jugend. Eine Kulturstudie," aus den Hallen von
Maria Laach hervorgetreten ist. Seine Gewissenlosigkeit und Unkenntnis habe
ich gleich damals in der "FrankfurterZeitung" (1880, Ur. 10 u 11) ausführlich
aufgezeigt. Zur Widerlegung wurde mir aus dem Hauptquartier Innsbruck
ein gemeines Schmachsonett auf Goethe eingesandt, mit der bloßen Angabe, es
sei Abschrift eines 1828 in Karlsbad gemachten Gedichtes, dessen Verfasser


Ein Jesuit über Goethe.
von Heinrich TNintzer.

aß dem gebornen Feinde des Protestantismus und jeder freien
Religionsrichtung, der sogenannten Gesellschaft Jesu, die klassische
deutsche Literatur, schon weil sie nicht auf katholischem Boden
gewachsen, zum Ärgernis geworden ist, ist ebenso natürlich als
ihr Streben, ihre Zöglinge und alle katholischen Seelen vor dem
Gifte zu warnen, das unter diesen verführerischen Rosen dem wahren Glauben
drohe. Aber statt sich damit zu begnügen, will sie den Beweis liefern, dieser
Stolz des deutschen Volkes leide an Fäulnis, die als große Männer verehrten
Dichter und Weisen seien so unsittlich wie ketzerisch gewesen. Freilich ist dies
sehr leicht, wenn man mit dem zum Katholizismus übergetretenen und eben
deshalb verherrlichten Stolberg von dem Satze ausgeht, jeder, der nicht an die
Göttlichkeit des Christentums glaube, sei ein schlechter Mensch, wonach dieser
auch schnöde über seinen Jugendfreund Goethe aburteilte, der dem Treulosen
so viel zu vergeben hatte und wirklich vergab, aber doch nicht hindern konnte,
daß dieser ihm Tücke und Unredlichkeit andichtete und so seinem Glauben sein
Gewissen zum Opfer brachte. Dieses Opfer zu bringen ist denn auch dem
Jesuitismus eine Herzenssache; je schlechter, niederträchtiger und armseliger man
das Bild unsrer deutschen Klassiker zeichnet, um so glänzender glaubt man sich
um den Orden und das Christentum verdient gemacht zu haben, ohne zu ahnen,
wie viel man selbst der geschmähten Wissenschaft und Kunst verdankt. Um die
Mittel ist man nicht verlegen. Je vielseitiger, verschlungener und reicher das
Leben eines gottbegabten Geistes ist, umsoweniger Mühe kostet es, einen Luftbau
von Mißverständnissen, Mißdeutungen und Schmähungen gegen ihn auszuführen
und aus dem edeln, redlich strebenden, zu vollster Entwicklung gelangten Manne
ein Zerrbild jämmerlicher Schwäche, eiteln Wahnes und arger Sündhaftigkeit
zu machen.

Die Mission, dieses Verdammungsurteil an Goethe zu vollstrecken, hat
Alexander Baumgartner übernommen, der schon vor sechs Jahren mit
-einer Schrift: „Goethes Jugend. Eine Kulturstudie," aus den Hallen von
Maria Laach hervorgetreten ist. Seine Gewissenlosigkeit und Unkenntnis habe
ich gleich damals in der „FrankfurterZeitung" (1880, Ur. 10 u 11) ausführlich
aufgezeigt. Zur Widerlegung wurde mir aus dem Hauptquartier Innsbruck
ein gemeines Schmachsonett auf Goethe eingesandt, mit der bloßen Angabe, es
sei Abschrift eines 1828 in Karlsbad gemachten Gedichtes, dessen Verfasser


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[0327] Ein Jesuit über Goethe. von Heinrich TNintzer. aß dem gebornen Feinde des Protestantismus und jeder freien Religionsrichtung, der sogenannten Gesellschaft Jesu, die klassische deutsche Literatur, schon weil sie nicht auf katholischem Boden gewachsen, zum Ärgernis geworden ist, ist ebenso natürlich als ihr Streben, ihre Zöglinge und alle katholischen Seelen vor dem Gifte zu warnen, das unter diesen verführerischen Rosen dem wahren Glauben drohe. Aber statt sich damit zu begnügen, will sie den Beweis liefern, dieser Stolz des deutschen Volkes leide an Fäulnis, die als große Männer verehrten Dichter und Weisen seien so unsittlich wie ketzerisch gewesen. Freilich ist dies sehr leicht, wenn man mit dem zum Katholizismus übergetretenen und eben deshalb verherrlichten Stolberg von dem Satze ausgeht, jeder, der nicht an die Göttlichkeit des Christentums glaube, sei ein schlechter Mensch, wonach dieser auch schnöde über seinen Jugendfreund Goethe aburteilte, der dem Treulosen so viel zu vergeben hatte und wirklich vergab, aber doch nicht hindern konnte, daß dieser ihm Tücke und Unredlichkeit andichtete und so seinem Glauben sein Gewissen zum Opfer brachte. Dieses Opfer zu bringen ist denn auch dem Jesuitismus eine Herzenssache; je schlechter, niederträchtiger und armseliger man das Bild unsrer deutschen Klassiker zeichnet, um so glänzender glaubt man sich um den Orden und das Christentum verdient gemacht zu haben, ohne zu ahnen, wie viel man selbst der geschmähten Wissenschaft und Kunst verdankt. Um die Mittel ist man nicht verlegen. Je vielseitiger, verschlungener und reicher das Leben eines gottbegabten Geistes ist, umsoweniger Mühe kostet es, einen Luftbau von Mißverständnissen, Mißdeutungen und Schmähungen gegen ihn auszuführen und aus dem edeln, redlich strebenden, zu vollster Entwicklung gelangten Manne ein Zerrbild jämmerlicher Schwäche, eiteln Wahnes und arger Sündhaftigkeit zu machen. Die Mission, dieses Verdammungsurteil an Goethe zu vollstrecken, hat Alexander Baumgartner übernommen, der schon vor sechs Jahren mit -einer Schrift: „Goethes Jugend. Eine Kulturstudie," aus den Hallen von Maria Laach hervorgetreten ist. Seine Gewissenlosigkeit und Unkenntnis habe ich gleich damals in der „FrankfurterZeitung" (1880, Ur. 10 u 11) ausführlich aufgezeigt. Zur Widerlegung wurde mir aus dem Hauptquartier Innsbruck ein gemeines Schmachsonett auf Goethe eingesandt, mit der bloßen Angabe, es sei Abschrift eines 1828 in Karlsbad gemachten Gedichtes, dessen Verfasser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/327>, abgerufen am 15.01.2025.