Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der jüngste Berliner Skandalprozeß.

Erfüllung entgegenging, dafür ist in mehr als einem Umstände der Grund zu
suchen. Zunächst mußte von einigen evangelischen Mächten abgesehen werden.
Auf England war für ein gemeinsames Einschreiten der Evangelischen nur in
geringem Maße zu rechnen. Wenn auch Jakob von seiner durch und durch
protestantisch gesinnten Bevölkerung gezwungen wurde, in gleichen Bahnen zu
steuern, so that er es doch eben nur gezwungen, und seine Haltung war allezeit
lässig. Friedrich Wilhelm mißtraute dem englischen Kabinette durchaus; er glaubte
von dem Papisten, daß der Fuchs wohl die Haare, aber nicht die Mucken verliere.
Deshalb ließ er in jener Zeit durch seinen Residenten in London nicht das
geringste über diese Pläne verlauten, ja er beauftragte ihn, die Rcligivnsverhältnisse
scharf zu beobachten, jede darauf bezügliche Klage entgegenzunehmen und darüber
nach Berlin zu berichten. Auch von Dänemark war wenig zu erwarten; hatte
es doch gerade in dieser Zeit sich noch enger an Frankreich angeschlossen.

Bei dem Kurfürsten aber ist der Gedanke, die Evangelischen in dieser
schweren Zeit zur Wahrung der gemeinsamen Interessen zu vereinigen, in der
Politik jener Tage nie zurückgetreten. Als er im Februar 1686 mit Schweden
eine Defensivallianz abschloß, versäumte er nicht, in einem Scparatartikel darauf
hinzudeuten. "Bei der täglich gewaltsam steigenden Gefährdung des evangelischen
Wesens, heißt es dort, verpflichten sich die Kontrahenten mit dem Kaiser und
den Reichsständen Maßregeln zu ergreifen, um diesen verderblichen Machinationen
bei Zeiten einen Riegel vorzuschieben und besonders den Ständen des Reiches
die Religious- und Gewissensfreiheit, profane und religiöse Sicherheit zu wahren,
welche ihnen nach dein westfälischen Frieden und andern pragmatischen Sank¬
tionen des Reiches zusteht."

Wenn es Friedrich Wilhelm auch nicht gelungen ist, eine Allianz sämtlicher
Evangelischen zu schaffen, worauf er schon seit den Tagen des westfälischen
Friedens hingearbeitet hatte, so trug doch sein Streben die wohlverdienten
Früchte. Ans seinen Anspruch allein verharrten die Schweizer Kantone in ihrer
Unterstützung der französischen Refugies und der Waldenser, die sie schon aus
Furcht von der drohenden Macht Frankreichs preisgeben wollten.




Der jüngste Berliner Skandalprozeß.

s sind erst einige Wochen verflossen, seit in diesen Blättern bei
Gelegenheit des großen Stöckerprozesses den Klagen Ausdruck
gegeben wurde, daß die formale Leitung großer Prozesse in
Preußen in Verbindung mit gewissen gesetzlichen Vestimmnngen
nicht ganz auf der Höhe steht, die wir von der äußern und
innern Gestaltung der Rechtspflege zu fordern berechtigt sind. Damals wurde


Der jüngste Berliner Skandalprozeß.

Erfüllung entgegenging, dafür ist in mehr als einem Umstände der Grund zu
suchen. Zunächst mußte von einigen evangelischen Mächten abgesehen werden.
Auf England war für ein gemeinsames Einschreiten der Evangelischen nur in
geringem Maße zu rechnen. Wenn auch Jakob von seiner durch und durch
protestantisch gesinnten Bevölkerung gezwungen wurde, in gleichen Bahnen zu
steuern, so that er es doch eben nur gezwungen, und seine Haltung war allezeit
lässig. Friedrich Wilhelm mißtraute dem englischen Kabinette durchaus; er glaubte
von dem Papisten, daß der Fuchs wohl die Haare, aber nicht die Mucken verliere.
Deshalb ließ er in jener Zeit durch seinen Residenten in London nicht das
geringste über diese Pläne verlauten, ja er beauftragte ihn, die Rcligivnsverhältnisse
scharf zu beobachten, jede darauf bezügliche Klage entgegenzunehmen und darüber
nach Berlin zu berichten. Auch von Dänemark war wenig zu erwarten; hatte
es doch gerade in dieser Zeit sich noch enger an Frankreich angeschlossen.

Bei dem Kurfürsten aber ist der Gedanke, die Evangelischen in dieser
schweren Zeit zur Wahrung der gemeinsamen Interessen zu vereinigen, in der
Politik jener Tage nie zurückgetreten. Als er im Februar 1686 mit Schweden
eine Defensivallianz abschloß, versäumte er nicht, in einem Scparatartikel darauf
hinzudeuten. „Bei der täglich gewaltsam steigenden Gefährdung des evangelischen
Wesens, heißt es dort, verpflichten sich die Kontrahenten mit dem Kaiser und
den Reichsständen Maßregeln zu ergreifen, um diesen verderblichen Machinationen
bei Zeiten einen Riegel vorzuschieben und besonders den Ständen des Reiches
die Religious- und Gewissensfreiheit, profane und religiöse Sicherheit zu wahren,
welche ihnen nach dein westfälischen Frieden und andern pragmatischen Sank¬
tionen des Reiches zusteht."

Wenn es Friedrich Wilhelm auch nicht gelungen ist, eine Allianz sämtlicher
Evangelischen zu schaffen, worauf er schon seit den Tagen des westfälischen
Friedens hingearbeitet hatte, so trug doch sein Streben die wohlverdienten
Früchte. Ans seinen Anspruch allein verharrten die Schweizer Kantone in ihrer
Unterstützung der französischen Refugies und der Waldenser, die sie schon aus
Furcht von der drohenden Macht Frankreichs preisgeben wollten.




Der jüngste Berliner Skandalprozeß.

s sind erst einige Wochen verflossen, seit in diesen Blättern bei
Gelegenheit des großen Stöckerprozesses den Klagen Ausdruck
gegeben wurde, daß die formale Leitung großer Prozesse in
Preußen in Verbindung mit gewissen gesetzlichen Vestimmnngen
nicht ganz auf der Höhe steht, die wir von der äußern und
innern Gestaltung der Rechtspflege zu fordern berechtigt sind. Damals wurde


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196884"/>
          <fw type="header" place="top"> Der jüngste Berliner Skandalprozeß.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_420" prev="#ID_419"> Erfüllung entgegenging, dafür ist in mehr als einem Umstände der Grund zu<lb/>
suchen. Zunächst mußte von einigen evangelischen Mächten abgesehen werden.<lb/>
Auf England war für ein gemeinsames Einschreiten der Evangelischen nur in<lb/>
geringem Maße zu rechnen. Wenn auch Jakob von seiner durch und durch<lb/>
protestantisch gesinnten Bevölkerung gezwungen wurde, in gleichen Bahnen zu<lb/>
steuern, so that er es doch eben nur gezwungen, und seine Haltung war allezeit<lb/>
lässig. Friedrich Wilhelm mißtraute dem englischen Kabinette durchaus; er glaubte<lb/>
von dem Papisten, daß der Fuchs wohl die Haare, aber nicht die Mucken verliere.<lb/>
Deshalb ließ er in jener Zeit durch seinen Residenten in London nicht das<lb/>
geringste über diese Pläne verlauten, ja er beauftragte ihn, die Rcligivnsverhältnisse<lb/>
scharf zu beobachten, jede darauf bezügliche Klage entgegenzunehmen und darüber<lb/>
nach Berlin zu berichten. Auch von Dänemark war wenig zu erwarten; hatte<lb/>
es doch gerade in dieser Zeit sich noch enger an Frankreich angeschlossen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_421"> Bei dem Kurfürsten aber ist der Gedanke, die Evangelischen in dieser<lb/>
schweren Zeit zur Wahrung der gemeinsamen Interessen zu vereinigen, in der<lb/>
Politik jener Tage nie zurückgetreten. Als er im Februar 1686 mit Schweden<lb/>
eine Defensivallianz abschloß, versäumte er nicht, in einem Scparatartikel darauf<lb/>
hinzudeuten. &#x201E;Bei der täglich gewaltsam steigenden Gefährdung des evangelischen<lb/>
Wesens, heißt es dort, verpflichten sich die Kontrahenten mit dem Kaiser und<lb/>
den Reichsständen Maßregeln zu ergreifen, um diesen verderblichen Machinationen<lb/>
bei Zeiten einen Riegel vorzuschieben und besonders den Ständen des Reiches<lb/>
die Religious- und Gewissensfreiheit, profane und religiöse Sicherheit zu wahren,<lb/>
welche ihnen nach dein westfälischen Frieden und andern pragmatischen Sank¬<lb/>
tionen des Reiches zusteht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_422"> Wenn es Friedrich Wilhelm auch nicht gelungen ist, eine Allianz sämtlicher<lb/>
Evangelischen zu schaffen, worauf er schon seit den Tagen des westfälischen<lb/>
Friedens hingearbeitet hatte, so trug doch sein Streben die wohlverdienten<lb/>
Früchte. Ans seinen Anspruch allein verharrten die Schweizer Kantone in ihrer<lb/>
Unterstützung der französischen Refugies und der Waldenser, die sie schon aus<lb/>
Furcht von der drohenden Macht Frankreichs preisgeben wollten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der jüngste Berliner Skandalprozeß.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_423" next="#ID_424"> s sind erst einige Wochen verflossen, seit in diesen Blättern bei<lb/>
Gelegenheit des großen Stöckerprozesses den Klagen Ausdruck<lb/>
gegeben wurde, daß die formale Leitung großer Prozesse in<lb/>
Preußen in Verbindung mit gewissen gesetzlichen Vestimmnngen<lb/>
nicht ganz auf der Höhe steht, die wir von der äußern und<lb/>
innern Gestaltung der Rechtspflege zu fordern berechtigt sind.  Damals wurde</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] Der jüngste Berliner Skandalprozeß. Erfüllung entgegenging, dafür ist in mehr als einem Umstände der Grund zu suchen. Zunächst mußte von einigen evangelischen Mächten abgesehen werden. Auf England war für ein gemeinsames Einschreiten der Evangelischen nur in geringem Maße zu rechnen. Wenn auch Jakob von seiner durch und durch protestantisch gesinnten Bevölkerung gezwungen wurde, in gleichen Bahnen zu steuern, so that er es doch eben nur gezwungen, und seine Haltung war allezeit lässig. Friedrich Wilhelm mißtraute dem englischen Kabinette durchaus; er glaubte von dem Papisten, daß der Fuchs wohl die Haare, aber nicht die Mucken verliere. Deshalb ließ er in jener Zeit durch seinen Residenten in London nicht das geringste über diese Pläne verlauten, ja er beauftragte ihn, die Rcligivnsverhältnisse scharf zu beobachten, jede darauf bezügliche Klage entgegenzunehmen und darüber nach Berlin zu berichten. Auch von Dänemark war wenig zu erwarten; hatte es doch gerade in dieser Zeit sich noch enger an Frankreich angeschlossen. Bei dem Kurfürsten aber ist der Gedanke, die Evangelischen in dieser schweren Zeit zur Wahrung der gemeinsamen Interessen zu vereinigen, in der Politik jener Tage nie zurückgetreten. Als er im Februar 1686 mit Schweden eine Defensivallianz abschloß, versäumte er nicht, in einem Scparatartikel darauf hinzudeuten. „Bei der täglich gewaltsam steigenden Gefährdung des evangelischen Wesens, heißt es dort, verpflichten sich die Kontrahenten mit dem Kaiser und den Reichsständen Maßregeln zu ergreifen, um diesen verderblichen Machinationen bei Zeiten einen Riegel vorzuschieben und besonders den Ständen des Reiches die Religious- und Gewissensfreiheit, profane und religiöse Sicherheit zu wahren, welche ihnen nach dein westfälischen Frieden und andern pragmatischen Sank¬ tionen des Reiches zusteht." Wenn es Friedrich Wilhelm auch nicht gelungen ist, eine Allianz sämtlicher Evangelischen zu schaffen, worauf er schon seit den Tagen des westfälischen Friedens hingearbeitet hatte, so trug doch sein Streben die wohlverdienten Früchte. Ans seinen Anspruch allein verharrten die Schweizer Kantone in ihrer Unterstützung der französischen Refugies und der Waldenser, die sie schon aus Furcht von der drohenden Macht Frankreichs preisgeben wollten. Der jüngste Berliner Skandalprozeß. s sind erst einige Wochen verflossen, seit in diesen Blättern bei Gelegenheit des großen Stöckerprozesses den Klagen Ausdruck gegeben wurde, daß die formale Leitung großer Prozesse in Preußen in Verbindung mit gewissen gesetzlichen Vestimmnngen nicht ganz auf der Höhe steht, die wir von der äußern und innern Gestaltung der Rechtspflege zu fordern berechtigt sind. Damals wurde

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/150>, abgerufen am 15.01.2025.