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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Notstand des Privatkapitals.

gebettet. Man hat lange nicht gesehen und geglaubt oder nicht sehen und
glauben wollen, was das Vordringen der Russen in Zentralasien seinem letzten
Zwecke wich bedeutete. Jetzt ist der Kern des Pudels, der zum Elephanten
geschwollen war, klar und deutlich aus der Dunstgestalt herausgetreten, sodaß
niemand mehr über ihn im Zweifel sein kann. Man darf nicht mehr wie
Gladstone und seine Partei auf eiuen Kompromiß hoffen, man muß Entschlüsse
fassen, und es ist schwer, genau zu sagen, welche. Palliativmittel helfen nicht.
Das lehrt die Vergangenheit, predigt die Gegenwart, und von der nächsten
Zukunft ruhigere Tage erwarten, heißt träumen. In Rußland erwartet mau
den baldigen Tod oder Sturz Abdnrrachmans und hält Cjub Chan bereit,
damit man ihn als Karte ausspielen, sein Recht als Vorwand, seinen Namen
als Sammelruf benutzen kann, wenn jene Erwartung sich erfüllt. Die letzten
Gerüchte von Wirren jenseits der Berge haben sich nicht bewahrheitet. Sie
waren aber Anzeichen dessen, Ums man in jenem Lager hofft, wünscht und viel¬
leicht vorbereitet, und es ist nichts weniger als unmöglich, daß solche Gerüchte
binnen kurzem Thatsachen werden, die den russischen Eroberern wieder um ein
Stadium weiter nach Süden hin verhelfen. Wir werden dann sehen, waS
Salisbury oder sein Nachfolger dagegen vermag.




Der Notstand des Privatkapitals.

es verhehle mir keineswegs, daß es beinahe vermessen ist, in unsern
Tagen zu Gunsten des Kapitals zu schreiben, welches als der Feind
der Arbeit, als schuld an vielem Übel bezeichnet wird; welches
die Extremen ganz abschaffen, Gemäßigtere durch den Staat kon-
fisziren lassen wollen, und welches selbst die Besonnenen wenig¬
stens durch Steuern und andre Maßregelnngen in gewisse Schranken verweisen
zu müssen glauben, um seinen verderblichen Wirkungen einigermaßen entgegen zu
treten.

Es sei die Frage erlaubt: Verdient das Kapital der allgemeine Prügel¬
knabe zu sein, ist es wirklich der Feind der Arbeit, der Gesellschaft? Sehen
wir uns nach Gründen um, warum das Kapital so großer Mißgunst unter¬
liegt, so ist es Wohl vor allem die Vorstellung, welche man sich von einem
"Kapitalisten" zu machen liebt als von einem Menschen, der, jeder Arbeit ab-


Der Notstand des Privatkapitals.

gebettet. Man hat lange nicht gesehen und geglaubt oder nicht sehen und
glauben wollen, was das Vordringen der Russen in Zentralasien seinem letzten
Zwecke wich bedeutete. Jetzt ist der Kern des Pudels, der zum Elephanten
geschwollen war, klar und deutlich aus der Dunstgestalt herausgetreten, sodaß
niemand mehr über ihn im Zweifel sein kann. Man darf nicht mehr wie
Gladstone und seine Partei auf eiuen Kompromiß hoffen, man muß Entschlüsse
fassen, und es ist schwer, genau zu sagen, welche. Palliativmittel helfen nicht.
Das lehrt die Vergangenheit, predigt die Gegenwart, und von der nächsten
Zukunft ruhigere Tage erwarten, heißt träumen. In Rußland erwartet mau
den baldigen Tod oder Sturz Abdnrrachmans und hält Cjub Chan bereit,
damit man ihn als Karte ausspielen, sein Recht als Vorwand, seinen Namen
als Sammelruf benutzen kann, wenn jene Erwartung sich erfüllt. Die letzten
Gerüchte von Wirren jenseits der Berge haben sich nicht bewahrheitet. Sie
waren aber Anzeichen dessen, Ums man in jenem Lager hofft, wünscht und viel¬
leicht vorbereitet, und es ist nichts weniger als unmöglich, daß solche Gerüchte
binnen kurzem Thatsachen werden, die den russischen Eroberern wieder um ein
Stadium weiter nach Süden hin verhelfen. Wir werden dann sehen, waS
Salisbury oder sein Nachfolger dagegen vermag.




Der Notstand des Privatkapitals.

es verhehle mir keineswegs, daß es beinahe vermessen ist, in unsern
Tagen zu Gunsten des Kapitals zu schreiben, welches als der Feind
der Arbeit, als schuld an vielem Übel bezeichnet wird; welches
die Extremen ganz abschaffen, Gemäßigtere durch den Staat kon-
fisziren lassen wollen, und welches selbst die Besonnenen wenig¬
stens durch Steuern und andre Maßregelnngen in gewisse Schranken verweisen
zu müssen glauben, um seinen verderblichen Wirkungen einigermaßen entgegen zu
treten.

Es sei die Frage erlaubt: Verdient das Kapital der allgemeine Prügel¬
knabe zu sein, ist es wirklich der Feind der Arbeit, der Gesellschaft? Sehen
wir uns nach Gründen um, warum das Kapital so großer Mißgunst unter¬
liegt, so ist es Wohl vor allem die Vorstellung, welche man sich von einem
„Kapitalisten" zu machen liebt als von einem Menschen, der, jeder Arbeit ab-


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[0546] Der Notstand des Privatkapitals. gebettet. Man hat lange nicht gesehen und geglaubt oder nicht sehen und glauben wollen, was das Vordringen der Russen in Zentralasien seinem letzten Zwecke wich bedeutete. Jetzt ist der Kern des Pudels, der zum Elephanten geschwollen war, klar und deutlich aus der Dunstgestalt herausgetreten, sodaß niemand mehr über ihn im Zweifel sein kann. Man darf nicht mehr wie Gladstone und seine Partei auf eiuen Kompromiß hoffen, man muß Entschlüsse fassen, und es ist schwer, genau zu sagen, welche. Palliativmittel helfen nicht. Das lehrt die Vergangenheit, predigt die Gegenwart, und von der nächsten Zukunft ruhigere Tage erwarten, heißt träumen. In Rußland erwartet mau den baldigen Tod oder Sturz Abdnrrachmans und hält Cjub Chan bereit, damit man ihn als Karte ausspielen, sein Recht als Vorwand, seinen Namen als Sammelruf benutzen kann, wenn jene Erwartung sich erfüllt. Die letzten Gerüchte von Wirren jenseits der Berge haben sich nicht bewahrheitet. Sie waren aber Anzeichen dessen, Ums man in jenem Lager hofft, wünscht und viel¬ leicht vorbereitet, und es ist nichts weniger als unmöglich, daß solche Gerüchte binnen kurzem Thatsachen werden, die den russischen Eroberern wieder um ein Stadium weiter nach Süden hin verhelfen. Wir werden dann sehen, waS Salisbury oder sein Nachfolger dagegen vermag. Der Notstand des Privatkapitals. es verhehle mir keineswegs, daß es beinahe vermessen ist, in unsern Tagen zu Gunsten des Kapitals zu schreiben, welches als der Feind der Arbeit, als schuld an vielem Übel bezeichnet wird; welches die Extremen ganz abschaffen, Gemäßigtere durch den Staat kon- fisziren lassen wollen, und welches selbst die Besonnenen wenig¬ stens durch Steuern und andre Maßregelnngen in gewisse Schranken verweisen zu müssen glauben, um seinen verderblichen Wirkungen einigermaßen entgegen zu treten. Es sei die Frage erlaubt: Verdient das Kapital der allgemeine Prügel¬ knabe zu sein, ist es wirklich der Feind der Arbeit, der Gesellschaft? Sehen wir uns nach Gründen um, warum das Kapital so großer Mißgunst unter¬ liegt, so ist es Wohl vor allem die Vorstellung, welche man sich von einem „Kapitalisten" zu machen liebt als von einem Menschen, der, jeder Arbeit ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/546>, abgerufen am 24.11.2024.