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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der nordamerikanische Farmer und der deutsche Landwirt.

Eine andre, nicht minder charakteristische Maßregel unsrer heimischen Re¬
gierung, die Zahlung einer Exportbonifikation an die Zuckerindustrie, scheint
ihren Zweck verfehlt zu haben. Vor dem Schreiber dieses Aufsatzes liegt eine
Nummer der in Boston erscheinenden Wochenschrift U-Mon vom 23. Ok¬
tober 1884, in welcher in sachlicher und ruhiger Weise der derzeitige Stand
unsrer Zuckcrfabrikation, ihr rapides Anwachsen, das Überwuchern des Rüben¬
baues in weiten Distrikten unsers Landes, die Überfüllung aller Märkte mit
deutschem Zucker, das Sinken des Zuckerprcises und alle Kalamitäten der Über¬
produktion anschaulich und gestützt auf zuverlässige Daten geschildert werden.
Die Berichte, die man ans heimischen Quellen über diesen Gegenstand erhalten
hat, stimmen in der Sache mit der Aal-loir überein, doch hat das Blatt Unrecht,
wenn es behauptet, man müsse die preußische Finanzpolitik studiren, um zu
sehen, wie es uicht gemacht werden dürfe.*)

Die Schuld lag in diesem Falle weniger an der Regierung, die, durchaus
entgegen dem von der Opposition unaufhörlich genährten Glauben an ihre Un¬
ersättlichkeit, von den Steuern, die sie hätte ziehen können, abgab, um einen
schwer kämpfenden Stand zu stützen; die Schuld lag hier, wie nahezu überall,
wo heute soziale Übelstände beklagt werden, an dem gierigen Kapital, welches
nicht duldet, daß sich irgendwo ein Gebiet menschlichen Fleißes und Unter¬
nehmungsgeistes eröffne, ohne daß ihm, ihm allein die Früchte zufließen; das
sich anf jeden Gewinn verheißenden Industriezweig stürzt und, wenn es geht,
solange an ihm "entwickelt," bis er glücklich dem "Krach" entgegengetrieben ist,
bei welchem noch von jeher, wie von Dieben bei Feuersbrünsten, am meisten
profitirt worden ist.

Wenn man sich des Jahres 1873 erinnert, wo Milliarden deutschen National¬
vermögens in den bekannten großen Geldsack wanderten, und während Banken
und andre gemeinnützige Unternehmungen unaufhörlich Ptene machten, die
Bankiers und die Unternehmer unermeßliche Reichtümer sammelten, so wird
man auch diesmal nicht im Zweifel sein, wer die Zeche bezahlen wird, wenn
unsre Znckcrindustrie wirklich zusammenbrechen sollte. Daß ein Heller von dem
Kapital, welches von Kapitalisten darin angelegt worden ist, verloren gehe,
braucht niemand zu glauben.


3.

Die Gedanken, die sich angesichts der eben geschilderten Kalamitäten auf-
drängen, sind untröstlicher Art.

Bietet doch Deutschland das wunderliche Schauspiel dar, wie ein großes
Gemeinwesen zur Zeit gewaltigen politischen Aufschwunges und unerhörter Macht-



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Der nordamerikanische Farmer und der deutsche Landwirt.

Eine andre, nicht minder charakteristische Maßregel unsrer heimischen Re¬
gierung, die Zahlung einer Exportbonifikation an die Zuckerindustrie, scheint
ihren Zweck verfehlt zu haben. Vor dem Schreiber dieses Aufsatzes liegt eine
Nummer der in Boston erscheinenden Wochenschrift U-Mon vom 23. Ok¬
tober 1884, in welcher in sachlicher und ruhiger Weise der derzeitige Stand
unsrer Zuckcrfabrikation, ihr rapides Anwachsen, das Überwuchern des Rüben¬
baues in weiten Distrikten unsers Landes, die Überfüllung aller Märkte mit
deutschem Zucker, das Sinken des Zuckerprcises und alle Kalamitäten der Über¬
produktion anschaulich und gestützt auf zuverlässige Daten geschildert werden.
Die Berichte, die man ans heimischen Quellen über diesen Gegenstand erhalten
hat, stimmen in der Sache mit der Aal-loir überein, doch hat das Blatt Unrecht,
wenn es behauptet, man müsse die preußische Finanzpolitik studiren, um zu
sehen, wie es uicht gemacht werden dürfe.*)

Die Schuld lag in diesem Falle weniger an der Regierung, die, durchaus
entgegen dem von der Opposition unaufhörlich genährten Glauben an ihre Un¬
ersättlichkeit, von den Steuern, die sie hätte ziehen können, abgab, um einen
schwer kämpfenden Stand zu stützen; die Schuld lag hier, wie nahezu überall,
wo heute soziale Übelstände beklagt werden, an dem gierigen Kapital, welches
nicht duldet, daß sich irgendwo ein Gebiet menschlichen Fleißes und Unter¬
nehmungsgeistes eröffne, ohne daß ihm, ihm allein die Früchte zufließen; das
sich anf jeden Gewinn verheißenden Industriezweig stürzt und, wenn es geht,
solange an ihm „entwickelt," bis er glücklich dem „Krach" entgegengetrieben ist,
bei welchem noch von jeher, wie von Dieben bei Feuersbrünsten, am meisten
profitirt worden ist.

Wenn man sich des Jahres 1873 erinnert, wo Milliarden deutschen National¬
vermögens in den bekannten großen Geldsack wanderten, und während Banken
und andre gemeinnützige Unternehmungen unaufhörlich Ptene machten, die
Bankiers und die Unternehmer unermeßliche Reichtümer sammelten, so wird
man auch diesmal nicht im Zweifel sein, wer die Zeche bezahlen wird, wenn
unsre Znckcrindustrie wirklich zusammenbrechen sollte. Daß ein Heller von dem
Kapital, welches von Kapitalisten darin angelegt worden ist, verloren gehe,
braucht niemand zu glauben.


3.

Die Gedanken, die sich angesichts der eben geschilderten Kalamitäten auf-
drängen, sind untröstlicher Art.

Bietet doch Deutschland das wunderliche Schauspiel dar, wie ein großes
Gemeinwesen zur Zeit gewaltigen politischen Aufschwunges und unerhörter Macht-



*) VKosvor vislios to 1o»im Kop not lo <1o it, onZKt to se»<1/ Lio ?rnssi!ni Kur>moi»1
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[0264] Der nordamerikanische Farmer und der deutsche Landwirt. Eine andre, nicht minder charakteristische Maßregel unsrer heimischen Re¬ gierung, die Zahlung einer Exportbonifikation an die Zuckerindustrie, scheint ihren Zweck verfehlt zu haben. Vor dem Schreiber dieses Aufsatzes liegt eine Nummer der in Boston erscheinenden Wochenschrift U-Mon vom 23. Ok¬ tober 1884, in welcher in sachlicher und ruhiger Weise der derzeitige Stand unsrer Zuckcrfabrikation, ihr rapides Anwachsen, das Überwuchern des Rüben¬ baues in weiten Distrikten unsers Landes, die Überfüllung aller Märkte mit deutschem Zucker, das Sinken des Zuckerprcises und alle Kalamitäten der Über¬ produktion anschaulich und gestützt auf zuverlässige Daten geschildert werden. Die Berichte, die man ans heimischen Quellen über diesen Gegenstand erhalten hat, stimmen in der Sache mit der Aal-loir überein, doch hat das Blatt Unrecht, wenn es behauptet, man müsse die preußische Finanzpolitik studiren, um zu sehen, wie es uicht gemacht werden dürfe.*) Die Schuld lag in diesem Falle weniger an der Regierung, die, durchaus entgegen dem von der Opposition unaufhörlich genährten Glauben an ihre Un¬ ersättlichkeit, von den Steuern, die sie hätte ziehen können, abgab, um einen schwer kämpfenden Stand zu stützen; die Schuld lag hier, wie nahezu überall, wo heute soziale Übelstände beklagt werden, an dem gierigen Kapital, welches nicht duldet, daß sich irgendwo ein Gebiet menschlichen Fleißes und Unter¬ nehmungsgeistes eröffne, ohne daß ihm, ihm allein die Früchte zufließen; das sich anf jeden Gewinn verheißenden Industriezweig stürzt und, wenn es geht, solange an ihm „entwickelt," bis er glücklich dem „Krach" entgegengetrieben ist, bei welchem noch von jeher, wie von Dieben bei Feuersbrünsten, am meisten profitirt worden ist. Wenn man sich des Jahres 1873 erinnert, wo Milliarden deutschen National¬ vermögens in den bekannten großen Geldsack wanderten, und während Banken und andre gemeinnützige Unternehmungen unaufhörlich Ptene machten, die Bankiers und die Unternehmer unermeßliche Reichtümer sammelten, so wird man auch diesmal nicht im Zweifel sein, wer die Zeche bezahlen wird, wenn unsre Znckcrindustrie wirklich zusammenbrechen sollte. Daß ein Heller von dem Kapital, welches von Kapitalisten darin angelegt worden ist, verloren gehe, braucht niemand zu glauben. 3. Die Gedanken, die sich angesichts der eben geschilderten Kalamitäten auf- drängen, sind untröstlicher Art. Bietet doch Deutschland das wunderliche Schauspiel dar, wie ein großes Gemeinwesen zur Zeit gewaltigen politischen Aufschwunges und unerhörter Macht- *) VKosvor vislios to 1o»im Kop not lo <1o it, onZKt to se»<1/ Lio ?rnssi!ni Kur>moi»1 xnli»^ in teils i'Wi>opt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/264>, abgerufen am 24.11.2024.