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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

tümlicher Melodien, wie sie namentlich durch die rheinischen Männerchöre unüber¬
troffen ausgeführt werden, konnten ihn tief ergreifen.

Wir müssen uns versagen, auf den Inhalt der weitern Kapitel einzugehen
und bemerken mir, daß auch von den übrigen die meisten großes Interesse
bieten, und daß auch über die Krankheit des Königs und deren Entwicklung
bis zu ihrem letzten Stadium verschiedne neue Mitteilungen erfolgen, die als
Resultate eigner Beobachtung des Verfassers aus nächster Nähe besondern
Wert haben.




^wan Turgenjew in seinen Briefen.
Von August Scholz."
3.

ympathisch, wie Turgenjews menschliche Erscheinung, ist seine
literarische Physiognomie. Nirgends tritt in der umfangreichen
Korrespondenz, welche vor uns liegt, auch nur eine Spur jener
Autoreneitelkeit zutage, die auf so manche literarische Gestalt
ihren entstellenden Schatten wirft. Er kennt die Grenzen
seines Talents und fordert keine Huldigung für dasselbe. Er kennt auch die
Gemeinschaft erlesener Geister, in die er seinem ganzen Wesen nach gehört.
Sehr entschieden weist er eine Zusammenstellung mit Sander-Masons zurück,
den man sonderbarerweise mit ihm zusammengestellt hatte! "Ich habe niemals
begreifen können, schreibt er an den Petersburger Publizisten Suworin, worin
Man mich mit ihm vergleichen könnte." Als ihm wenige Jahre vor seinem
Tode eine Redaktion die Zumutung stellte, etwas von Balzac zu übersetzen,
wies er ein solches Ansinnen kurz ab, da ihm dieser Schriftsteller zuwider sei.
Dagegen erklärte er sich gern bereit, Rabelais, Montaigne, Cervantes oder
Flaubert dem russischen Publikum durch eine Übersetzung zugänglicher zu machen.
Man erzählte sich in Rußland von ihm, daß er einige seiner Novellen ur¬
sprünglich in französischer, andre in deutscher Sprache verfaßt habe. "Ich habe
in meinem Leben, erwiedert er auf diesen Vorwurf, für den Druck nicht eine
^nzige Zeile in nichtrussischer Sprache geschrieben; andernfalls wäre ich kein
Künstler, sondern ein geschwätziger Narr." Daß er in Gemeinschaft mit Ma¬
dame Viardot einige seiner Novellen, wie den "Triumphgesang der Liebe," ins


Grenzboten II. 1335. Ki
Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

tümlicher Melodien, wie sie namentlich durch die rheinischen Männerchöre unüber¬
troffen ausgeführt werden, konnten ihn tief ergreifen.

Wir müssen uns versagen, auf den Inhalt der weitern Kapitel einzugehen
und bemerken mir, daß auch von den übrigen die meisten großes Interesse
bieten, und daß auch über die Krankheit des Königs und deren Entwicklung
bis zu ihrem letzten Stadium verschiedne neue Mitteilungen erfolgen, die als
Resultate eigner Beobachtung des Verfassers aus nächster Nähe besondern
Wert haben.




^wan Turgenjew in seinen Briefen.
Von August Scholz.«
3.

ympathisch, wie Turgenjews menschliche Erscheinung, ist seine
literarische Physiognomie. Nirgends tritt in der umfangreichen
Korrespondenz, welche vor uns liegt, auch nur eine Spur jener
Autoreneitelkeit zutage, die auf so manche literarische Gestalt
ihren entstellenden Schatten wirft. Er kennt die Grenzen
seines Talents und fordert keine Huldigung für dasselbe. Er kennt auch die
Gemeinschaft erlesener Geister, in die er seinem ganzen Wesen nach gehört.
Sehr entschieden weist er eine Zusammenstellung mit Sander-Masons zurück,
den man sonderbarerweise mit ihm zusammengestellt hatte! „Ich habe niemals
begreifen können, schreibt er an den Petersburger Publizisten Suworin, worin
Man mich mit ihm vergleichen könnte." Als ihm wenige Jahre vor seinem
Tode eine Redaktion die Zumutung stellte, etwas von Balzac zu übersetzen,
wies er ein solches Ansinnen kurz ab, da ihm dieser Schriftsteller zuwider sei.
Dagegen erklärte er sich gern bereit, Rabelais, Montaigne, Cervantes oder
Flaubert dem russischen Publikum durch eine Übersetzung zugänglicher zu machen.
Man erzählte sich in Rußland von ihm, daß er einige seiner Novellen ur¬
sprünglich in französischer, andre in deutscher Sprache verfaßt habe. „Ich habe
in meinem Leben, erwiedert er auf diesen Vorwurf, für den Druck nicht eine
^nzige Zeile in nichtrussischer Sprache geschrieben; andernfalls wäre ich kein
Künstler, sondern ein geschwätziger Narr." Daß er in Gemeinschaft mit Ma¬
dame Viardot einige seiner Novellen, wie den „Triumphgesang der Liebe," ins


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[0406] Iwan Turgenjew in seinen Briefen. tümlicher Melodien, wie sie namentlich durch die rheinischen Männerchöre unüber¬ troffen ausgeführt werden, konnten ihn tief ergreifen. Wir müssen uns versagen, auf den Inhalt der weitern Kapitel einzugehen und bemerken mir, daß auch von den übrigen die meisten großes Interesse bieten, und daß auch über die Krankheit des Königs und deren Entwicklung bis zu ihrem letzten Stadium verschiedne neue Mitteilungen erfolgen, die als Resultate eigner Beobachtung des Verfassers aus nächster Nähe besondern Wert haben. ^wan Turgenjew in seinen Briefen. Von August Scholz.« 3. ympathisch, wie Turgenjews menschliche Erscheinung, ist seine literarische Physiognomie. Nirgends tritt in der umfangreichen Korrespondenz, welche vor uns liegt, auch nur eine Spur jener Autoreneitelkeit zutage, die auf so manche literarische Gestalt ihren entstellenden Schatten wirft. Er kennt die Grenzen seines Talents und fordert keine Huldigung für dasselbe. Er kennt auch die Gemeinschaft erlesener Geister, in die er seinem ganzen Wesen nach gehört. Sehr entschieden weist er eine Zusammenstellung mit Sander-Masons zurück, den man sonderbarerweise mit ihm zusammengestellt hatte! „Ich habe niemals begreifen können, schreibt er an den Petersburger Publizisten Suworin, worin Man mich mit ihm vergleichen könnte." Als ihm wenige Jahre vor seinem Tode eine Redaktion die Zumutung stellte, etwas von Balzac zu übersetzen, wies er ein solches Ansinnen kurz ab, da ihm dieser Schriftsteller zuwider sei. Dagegen erklärte er sich gern bereit, Rabelais, Montaigne, Cervantes oder Flaubert dem russischen Publikum durch eine Übersetzung zugänglicher zu machen. Man erzählte sich in Rußland von ihm, daß er einige seiner Novellen ur¬ sprünglich in französischer, andre in deutscher Sprache verfaßt habe. „Ich habe in meinem Leben, erwiedert er auf diesen Vorwurf, für den Druck nicht eine ^nzige Zeile in nichtrussischer Sprache geschrieben; andernfalls wäre ich kein Künstler, sondern ein geschwätziger Narr." Daß er in Gemeinschaft mit Ma¬ dame Viardot einige seiner Novellen, wie den „Triumphgesang der Liebe," ins Grenzboten II. 1335. Ki

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/406>, abgerufen am 22.07.2024.