Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.Notizen. darüber zu nehmen, daß ihre Ersparnisse zu Zwecken verwendet werden, an deren Aus Sparkassenüberschussen sogenannte polizeiliche Anstalten herzustellen, deren Es ist die unerläßliche Pflicht jedes wohldenkenden Patrioten, gegen derartige Unverfroren. Gegen die sprachliche Zulässigkeit dieses erst in neuerer Zeit Vielleicht dürfte man durch eine ganz kleine Aenderung zu einer Erklärung Bürgerrecht dürfte das Wort aber auch nach diesem anspruchslosen Erklärungs¬ Notizen. darüber zu nehmen, daß ihre Ersparnisse zu Zwecken verwendet werden, an deren Aus Sparkassenüberschussen sogenannte polizeiliche Anstalten herzustellen, deren Es ist die unerläßliche Pflicht jedes wohldenkenden Patrioten, gegen derartige Unverfroren. Gegen die sprachliche Zulässigkeit dieses erst in neuerer Zeit Vielleicht dürfte man durch eine ganz kleine Aenderung zu einer Erklärung Bürgerrecht dürfte das Wort aber auch nach diesem anspruchslosen Erklärungs¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195721"/> <fw type="header" place="top"> Notizen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1162" prev="#ID_1161"> darüber zu nehmen, daß ihre Ersparnisse zu Zwecken verwendet werden, an deren<lb/> Vorteilen in der Regel nur die Wohlhabenden teilnehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1163"> Aus Sparkassenüberschussen sogenannte polizeiliche Anstalten herzustellen, deren<lb/> Mitgenuß jedermann unentgeltlich freisteht, wie z. B. Straßenbeleuchtung, Anlegung<lb/> von Trottoirs u. s. w,, ist erlaubt und löblich, aber unstatthaft ist die Herstellung<lb/> und Erhaltung vou sogenannten Kommuualanstalten ans Sparkassenmitteln, also<lb/> Anstalten, deren Mitbenutzung mir gegen besondre Bezahlung gestattet ist, wie<lb/> z. B. Wasserwerke, Markthallen, Wnarenhciuser, Lagerhäuser, Docks- und Hafen¬<lb/> anlagen, Schlachthäuser, Bade- und Waschanstalten, Pferdebahnen, Gasanstalten,<lb/> Omnibus- und Pferdebahnen, höhere Unterrichtsanstalten, namentlich aber Stadt¬<lb/> theater. Diese Anlagen sind Unternehmungen der Gemeinde, welche sich entweder<lb/> durch sich selbst oder durch Zuschüsse aus der Kommunalkasse, niemals aber ans<lb/> der Sparkasse erhalten müssen, sofern nicht mit Bestimmtheit nachgewiesen wird,<lb/> daß diese Ueberschüsse ausschließlich aus den Einlagen der Kapitalisten entstanden sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1164"> Es ist die unerläßliche Pflicht jedes wohldenkenden Patrioten, gegen derartige<lb/> Mißbräuche im Interesse des sparenden Volkes öffentlich Protest zu erheben.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Unverfroren.</head> <p xml:id="ID_1165"> Gegen die sprachliche Zulässigkeit dieses erst in neuerer Zeit<lb/> öfter gebrauchten Wortes werden auf S. 368 und 371 des vorigen Quartals der Grenz¬<lb/> boten mit vollem Rechte Bedenken erhoben. Zunächst denkt man bei dem Worte<lb/> doch an „frieren" oder „erfrieren," denn „derfrieren" ist schlechtes oder vielmehr<lb/> gar kein Deutsch. Außerdem hat ein keckes oder ungenirtes Wesen (das soll doch<lb/> durch „unverfroren" bezeichnet werden) mit „frieren" unter keinen Umständen irgend-<lb/> etwas zu thun. Woher das Wort stammt, wo es zuerst gebraucht worden ist,<lb/> wird sich schwer ermitteln lassen, es kaun aber Wohl kaum einem Zweifel unter¬<lb/> liegen, daß die Wiege des seltsamen Wortungeheuers in Berlin gestanden hat.<lb/> Bttchmann führt es zwar in seinen „Geflügelten Worten" (12. Auflage) uicht auf,<lb/> obwohl in dieser Sammlung ähnliche Redensarten aus der Berliner Volkssprache<lb/> einen Platz gefunden haben, vielleicht findet man es aber in dem „Nichtigen<lb/> Berliner" oder ähnlichen Sammlungen. Jedenfalls ist und bleibt es in der jetzt<lb/> üblichen sprech- und Schreibweise ein etymologisch uuerklärbnres, ja sogar ein sinn¬<lb/> widriges und sinnloses Wort.</p><lb/> <p xml:id="ID_1166"> Vielleicht dürfte man durch eine ganz kleine Aenderung zu einer Erklärung<lb/> gelangen: wenn man nämlich das Wort statt „unverfroren," mit Weglassung des<lb/> r im Stamme, „unverforeu" aussprechen oder schreiben wollte. Dann könnte hin¬<lb/> gewiesen werden auf das mittelhochdeutsche Wort vorvvrnu oder vurvöwn (s wie »,o<lb/> zu sprechen), welches bedeutet: jemanden außer Fassung bringen oder erschrecken.<lb/> Dies Wort ist auch heute noch nicht ausgestorben, ist vielmehr in etwas veränderter<lb/> Form im niedersächsischen noch immer gebräuchlich. Fritz Reuter sagt z. B. in<lb/> der „Frcmzosentid" (fast am Schlüsse des sechsten Kapitels): „De oll Herr Amts-<lb/> hauptmanu verfirt sick dagen," d. h. „der alte Herr Amtshauptmanu erschrickt<lb/> gewaltig." Im Magdeburgischen sagt mau „Verfahren," im Brnunschweigischen<lb/> „verföhrcn," und es ist uicht unwahrscheinlich, daß die Volkssprache daraus das<lb/> Partizipium „verfuhren" oder „verfvren" gebildet hat, wonach dann ein „uuver-<lb/> forencr" Mensch so viel bedeuten würde als ein unerschrockener, nicht leicht aus<lb/> der Fassung zu dringender.</p><lb/> <p xml:id="ID_1167"> Bürgerrecht dürfte das Wort aber auch nach diesem anspruchslosen Erklärungs¬<lb/> versuche in der Sprache der Gebildeten schwerlich jemals erlangen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0332]
Notizen.
darüber zu nehmen, daß ihre Ersparnisse zu Zwecken verwendet werden, an deren
Vorteilen in der Regel nur die Wohlhabenden teilnehmen.
Aus Sparkassenüberschussen sogenannte polizeiliche Anstalten herzustellen, deren
Mitgenuß jedermann unentgeltlich freisteht, wie z. B. Straßenbeleuchtung, Anlegung
von Trottoirs u. s. w,, ist erlaubt und löblich, aber unstatthaft ist die Herstellung
und Erhaltung vou sogenannten Kommuualanstalten ans Sparkassenmitteln, also
Anstalten, deren Mitbenutzung mir gegen besondre Bezahlung gestattet ist, wie
z. B. Wasserwerke, Markthallen, Wnarenhciuser, Lagerhäuser, Docks- und Hafen¬
anlagen, Schlachthäuser, Bade- und Waschanstalten, Pferdebahnen, Gasanstalten,
Omnibus- und Pferdebahnen, höhere Unterrichtsanstalten, namentlich aber Stadt¬
theater. Diese Anlagen sind Unternehmungen der Gemeinde, welche sich entweder
durch sich selbst oder durch Zuschüsse aus der Kommunalkasse, niemals aber ans
der Sparkasse erhalten müssen, sofern nicht mit Bestimmtheit nachgewiesen wird,
daß diese Ueberschüsse ausschließlich aus den Einlagen der Kapitalisten entstanden sind.
Es ist die unerläßliche Pflicht jedes wohldenkenden Patrioten, gegen derartige
Mißbräuche im Interesse des sparenden Volkes öffentlich Protest zu erheben.
Unverfroren. Gegen die sprachliche Zulässigkeit dieses erst in neuerer Zeit
öfter gebrauchten Wortes werden auf S. 368 und 371 des vorigen Quartals der Grenz¬
boten mit vollem Rechte Bedenken erhoben. Zunächst denkt man bei dem Worte
doch an „frieren" oder „erfrieren," denn „derfrieren" ist schlechtes oder vielmehr
gar kein Deutsch. Außerdem hat ein keckes oder ungenirtes Wesen (das soll doch
durch „unverfroren" bezeichnet werden) mit „frieren" unter keinen Umständen irgend-
etwas zu thun. Woher das Wort stammt, wo es zuerst gebraucht worden ist,
wird sich schwer ermitteln lassen, es kaun aber Wohl kaum einem Zweifel unter¬
liegen, daß die Wiege des seltsamen Wortungeheuers in Berlin gestanden hat.
Bttchmann führt es zwar in seinen „Geflügelten Worten" (12. Auflage) uicht auf,
obwohl in dieser Sammlung ähnliche Redensarten aus der Berliner Volkssprache
einen Platz gefunden haben, vielleicht findet man es aber in dem „Nichtigen
Berliner" oder ähnlichen Sammlungen. Jedenfalls ist und bleibt es in der jetzt
üblichen sprech- und Schreibweise ein etymologisch uuerklärbnres, ja sogar ein sinn¬
widriges und sinnloses Wort.
Vielleicht dürfte man durch eine ganz kleine Aenderung zu einer Erklärung
gelangen: wenn man nämlich das Wort statt „unverfroren," mit Weglassung des
r im Stamme, „unverforeu" aussprechen oder schreiben wollte. Dann könnte hin¬
gewiesen werden auf das mittelhochdeutsche Wort vorvvrnu oder vurvöwn (s wie »,o
zu sprechen), welches bedeutet: jemanden außer Fassung bringen oder erschrecken.
Dies Wort ist auch heute noch nicht ausgestorben, ist vielmehr in etwas veränderter
Form im niedersächsischen noch immer gebräuchlich. Fritz Reuter sagt z. B. in
der „Frcmzosentid" (fast am Schlüsse des sechsten Kapitels): „De oll Herr Amts-
hauptmanu verfirt sick dagen," d. h. „der alte Herr Amtshauptmanu erschrickt
gewaltig." Im Magdeburgischen sagt mau „Verfahren," im Brnunschweigischen
„verföhrcn," und es ist uicht unwahrscheinlich, daß die Volkssprache daraus das
Partizipium „verfuhren" oder „verfvren" gebildet hat, wonach dann ein „uuver-
forencr" Mensch so viel bedeuten würde als ein unerschrockener, nicht leicht aus
der Fassung zu dringender.
Bürgerrecht dürfte das Wort aber auch nach diesem anspruchslosen Erklärungs¬
versuche in der Sprache der Gebildeten schwerlich jemals erlangen.
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