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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine Perle.

brummte er, wozu auch! Der Sturz giebt ihm den Rest. So möge es alleu
Gonzagas ergehen!




Zwanzigstes Aapitel.

In demselben Augenblicke dröhnte es ans der Tiefe dumpf herauf. Der unheim¬
liche Ton war weder in Mantua noch in Verona ganz unbekannt, denn sein Haus¬
recht Pflegte, wer eine Waffe führen konnte, hier wie dort in rascher Weise und vor
aller Welt zu wahren, und sowohl die Balkonthüren wie die bis auf den Fußboden
hinnbrcichenden Fenster der Zimmer luden nach geschehenem Sühneakt zu rascher
Beseitigung des Opfers ein. Aber der Totschlag im Zodiaeo-Güßchen hatte
doch eine allzu politische Seite, als daß er die aus ihrem ersten Schlafe auf¬
gestörte Nachbarschaft und bald auch ganz Mantua nicht in ungewöhnliche Er¬
regung versetzt hätte, und dies umsomehr, als keine Augenzeugen da waren,
welche Genaues über das Verbleiben des Erschlagenen zu berichten wußten.
Erst weit später stellte sich heraus, daß auf Antonio Marias Betreiben
Häscher sowohl Giuseppes frühere nächtlichen Gänge nach dem Zodiaeo-Gäßchen
wie auch dieses sei" verhängnisvolles Eindringen in den Palazzo Passerino be¬
lauschten, und daß sie über den Ablauf seines Unternehmens nicht nur in dein
engen Gcißchen selbst wachten, nein, auch auf der Rückseite des Palazzo, in dem
Garten desselben, wohin jeuer Balkon ging. Dieser Garten lag weit höher als
die Straße, sodaß selbst von jenem Balkon leicht mittelst einer Strickleiter herab-
zukommen gewesen wäre, weshalb Antonio Maria auch vorausgesetzt hatte,
das Liebespaar werde seine Flucht auf dieser Seite bewerkstelligen.

Solcherart kamen schon tags darauf die wunderlichsten Erzählungen über
den in Dunkel gehüllten Vorgang in Umlauf. Das bereits hinter den Zy¬
pressen und Pinien des alten Gartens des Palazzo Passeriuo verschwunden ge¬
wesene erste Mondviertel war, so hieß es, nochmals über die Wipfel derselben
heraufgestiegen, als habe es dein Toten einen mitleidigen Scheideblick nachsenden
wollen. Andre wollten wissen, bis zur Morgenstunde habe, ohne daß sich der
Himmel umwölkte, ein sanfter Regen die Blutspuren von dein Basaltpflaster
des Zodiaeo-Gäßchens abgewaschen; den" es herrschte Uneinigkeit über die Frage,
von welchem Balkon der Erschlagene hinabgeschleudert worden war, und diejenigen,
welche den Sturz auf der Seite des Gäßchens wahrgenommen haben wollten,
hatten anch jenen wolkenlosen Regen rieseln hören. Noch andre behaupteten,
in dem Augenblicke, als das Schwerterllirrcn verstummte, habe der Sterbende
mit schwacher Stimme die Worte: I7n llno am-u-o! Ein bitteres Ende! ausge-
stoßen, den Anfang eines bekannten Sprichworts.

Aber neben diesen phantastischen Erfindungen wagte sich hie und da eine
genauere Angabe hervor, deren Urheber jedoch aus Furcht vor der grünen
Kammer im Torre belin Gabbia auf näheres Befragen sich so stellten, als sei


Um eine Perle.

brummte er, wozu auch! Der Sturz giebt ihm den Rest. So möge es alleu
Gonzagas ergehen!




Zwanzigstes Aapitel.

In demselben Augenblicke dröhnte es ans der Tiefe dumpf herauf. Der unheim¬
liche Ton war weder in Mantua noch in Verona ganz unbekannt, denn sein Haus¬
recht Pflegte, wer eine Waffe führen konnte, hier wie dort in rascher Weise und vor
aller Welt zu wahren, und sowohl die Balkonthüren wie die bis auf den Fußboden
hinnbrcichenden Fenster der Zimmer luden nach geschehenem Sühneakt zu rascher
Beseitigung des Opfers ein. Aber der Totschlag im Zodiaeo-Güßchen hatte
doch eine allzu politische Seite, als daß er die aus ihrem ersten Schlafe auf¬
gestörte Nachbarschaft und bald auch ganz Mantua nicht in ungewöhnliche Er¬
regung versetzt hätte, und dies umsomehr, als keine Augenzeugen da waren,
welche Genaues über das Verbleiben des Erschlagenen zu berichten wußten.
Erst weit später stellte sich heraus, daß auf Antonio Marias Betreiben
Häscher sowohl Giuseppes frühere nächtlichen Gänge nach dem Zodiaeo-Gäßchen
wie auch dieses sei» verhängnisvolles Eindringen in den Palazzo Passerino be¬
lauschten, und daß sie über den Ablauf seines Unternehmens nicht nur in dein
engen Gcißchen selbst wachten, nein, auch auf der Rückseite des Palazzo, in dem
Garten desselben, wohin jeuer Balkon ging. Dieser Garten lag weit höher als
die Straße, sodaß selbst von jenem Balkon leicht mittelst einer Strickleiter herab-
zukommen gewesen wäre, weshalb Antonio Maria auch vorausgesetzt hatte,
das Liebespaar werde seine Flucht auf dieser Seite bewerkstelligen.

Solcherart kamen schon tags darauf die wunderlichsten Erzählungen über
den in Dunkel gehüllten Vorgang in Umlauf. Das bereits hinter den Zy¬
pressen und Pinien des alten Gartens des Palazzo Passeriuo verschwunden ge¬
wesene erste Mondviertel war, so hieß es, nochmals über die Wipfel derselben
heraufgestiegen, als habe es dein Toten einen mitleidigen Scheideblick nachsenden
wollen. Andre wollten wissen, bis zur Morgenstunde habe, ohne daß sich der
Himmel umwölkte, ein sanfter Regen die Blutspuren von dein Basaltpflaster
des Zodiaeo-Gäßchens abgewaschen; den» es herrschte Uneinigkeit über die Frage,
von welchem Balkon der Erschlagene hinabgeschleudert worden war, und diejenigen,
welche den Sturz auf der Seite des Gäßchens wahrgenommen haben wollten,
hatten anch jenen wolkenlosen Regen rieseln hören. Noch andre behaupteten,
in dem Augenblicke, als das Schwerterllirrcn verstummte, habe der Sterbende
mit schwacher Stimme die Worte: I7n llno am-u-o! Ein bitteres Ende! ausge-
stoßen, den Anfang eines bekannten Sprichworts.

Aber neben diesen phantastischen Erfindungen wagte sich hie und da eine
genauere Angabe hervor, deren Urheber jedoch aus Furcht vor der grünen
Kammer im Torre belin Gabbia auf näheres Befragen sich so stellten, als sei


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[0327] Um eine Perle. brummte er, wozu auch! Der Sturz giebt ihm den Rest. So möge es alleu Gonzagas ergehen! Zwanzigstes Aapitel. In demselben Augenblicke dröhnte es ans der Tiefe dumpf herauf. Der unheim¬ liche Ton war weder in Mantua noch in Verona ganz unbekannt, denn sein Haus¬ recht Pflegte, wer eine Waffe führen konnte, hier wie dort in rascher Weise und vor aller Welt zu wahren, und sowohl die Balkonthüren wie die bis auf den Fußboden hinnbrcichenden Fenster der Zimmer luden nach geschehenem Sühneakt zu rascher Beseitigung des Opfers ein. Aber der Totschlag im Zodiaeo-Güßchen hatte doch eine allzu politische Seite, als daß er die aus ihrem ersten Schlafe auf¬ gestörte Nachbarschaft und bald auch ganz Mantua nicht in ungewöhnliche Er¬ regung versetzt hätte, und dies umsomehr, als keine Augenzeugen da waren, welche Genaues über das Verbleiben des Erschlagenen zu berichten wußten. Erst weit später stellte sich heraus, daß auf Antonio Marias Betreiben Häscher sowohl Giuseppes frühere nächtlichen Gänge nach dem Zodiaeo-Gäßchen wie auch dieses sei» verhängnisvolles Eindringen in den Palazzo Passerino be¬ lauschten, und daß sie über den Ablauf seines Unternehmens nicht nur in dein engen Gcißchen selbst wachten, nein, auch auf der Rückseite des Palazzo, in dem Garten desselben, wohin jeuer Balkon ging. Dieser Garten lag weit höher als die Straße, sodaß selbst von jenem Balkon leicht mittelst einer Strickleiter herab- zukommen gewesen wäre, weshalb Antonio Maria auch vorausgesetzt hatte, das Liebespaar werde seine Flucht auf dieser Seite bewerkstelligen. Solcherart kamen schon tags darauf die wunderlichsten Erzählungen über den in Dunkel gehüllten Vorgang in Umlauf. Das bereits hinter den Zy¬ pressen und Pinien des alten Gartens des Palazzo Passeriuo verschwunden ge¬ wesene erste Mondviertel war, so hieß es, nochmals über die Wipfel derselben heraufgestiegen, als habe es dein Toten einen mitleidigen Scheideblick nachsenden wollen. Andre wollten wissen, bis zur Morgenstunde habe, ohne daß sich der Himmel umwölkte, ein sanfter Regen die Blutspuren von dein Basaltpflaster des Zodiaeo-Gäßchens abgewaschen; den» es herrschte Uneinigkeit über die Frage, von welchem Balkon der Erschlagene hinabgeschleudert worden war, und diejenigen, welche den Sturz auf der Seite des Gäßchens wahrgenommen haben wollten, hatten anch jenen wolkenlosen Regen rieseln hören. Noch andre behaupteten, in dem Augenblicke, als das Schwerterllirrcn verstummte, habe der Sterbende mit schwacher Stimme die Worte: I7n llno am-u-o! Ein bitteres Ende! ausge- stoßen, den Anfang eines bekannten Sprichworts. Aber neben diesen phantastischen Erfindungen wagte sich hie und da eine genauere Angabe hervor, deren Urheber jedoch aus Furcht vor der grünen Kammer im Torre belin Gabbia auf näheres Befragen sich so stellten, als sei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/327>, abgerufen am 22.07.2024.