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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen dos Frankfurter Parlaments.

höhern Formen, Musikfesten u, dergl., noch sehr unentwickelt. Dagegen herrscht
viel Theatersinn, wenigstens insofern, als auch die Mittelstädte sich bemühen,
etwas besseres als bloße Schmieren-Gesellschaften zu erhalten, und als in der
That eine oder zwei "Operngesellschaften" sich bemühen, das Publikum dieser
Städte mit den neuesten Operetten vertraut zu macheu. Darüber hinaus gehts
freilich kaum. Auch gestaltet sich die finanzielle Seite dieser Unternehmungen
fast immer sehr zweifelhaft. Königsberg selbst hat in der Wintersaison el"
leidliches Theater (etwa von dem Range des Kölner) und im Sommer eine ganze
Schnar von Sommerbühnen sowie von tingeltangelartigeu Vergnügungsstätten.
Im übrigen ist der lctztangedcutete Unfug in Ostpreußen "och ein wenig ent¬
wickelter, was wohl in der schwächern Entwicklung des Wirtshauslebens überhaupt
seinen Grund hat. In letzterer Hinsicht sowie hinsichtlich des Mangels eigentlich
nächtlichen Treibens kann selbst Königsberg eine "solide Stadt" genannt werden.




Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

meer den zahllosen beglückmünscheuden Adresse", welche unserm
Reichskanzler a" seinem siebzigjährigen Geburtstage zugingen, ist
vielleicht die merkwürdigste diejenige der dreißig Veteranen jener
alten erbkaiserlichen Partei, welche am 28. März 1849 in der
Stärke von 290 Männern die Kaiserkrone an König Friedrich
Wilhelm den Vierten von Preußen zu übertragen beschloß. Mit vollem Rechte
hoben die Unterzeichner hervor, daß Fürst BiSmcirck "ihren Glauben zur That ge¬
macht" habe. Denn so wenig Bestand das Verfassungswcrk des ersten deutschen
Parlaments anch gehabt hat und, wie die Dinge einmal sich entwickelten, haben
kounte, das Verdienst kann ihm niemand abstreiten, zuerst in einem beispiellos
großartigen dialektischen Prozesse unwiderleglich festgestellt zu haben, daß die
Zukunft Deutschlands einerseits in einer bundesstaatlich-monarchischen Gestaltung
unter der Führung der Krone Preußens, andrerseits in dem Aufschlüsse Öster¬
reichs aus dem engeren staatsrechtlichen Verbände der deutschen Staaten beruhe.
Vor einiger Zeit brachten diese Blätter eine Schilderung der ersten Anfänge
dieses Parlaments; hier mögen einige Skizzen zur Geschichte seiner letzten
Wochen, seines Todeskampfes von der Ablehnung der Kaiserkrone bis zum Aus¬
tritt der Erbkaiserpartei folgen.


Aus den letzten Tagen dos Frankfurter Parlaments.

höhern Formen, Musikfesten u, dergl., noch sehr unentwickelt. Dagegen herrscht
viel Theatersinn, wenigstens insofern, als auch die Mittelstädte sich bemühen,
etwas besseres als bloße Schmieren-Gesellschaften zu erhalten, und als in der
That eine oder zwei „Operngesellschaften" sich bemühen, das Publikum dieser
Städte mit den neuesten Operetten vertraut zu macheu. Darüber hinaus gehts
freilich kaum. Auch gestaltet sich die finanzielle Seite dieser Unternehmungen
fast immer sehr zweifelhaft. Königsberg selbst hat in der Wintersaison el»
leidliches Theater (etwa von dem Range des Kölner) und im Sommer eine ganze
Schnar von Sommerbühnen sowie von tingeltangelartigeu Vergnügungsstätten.
Im übrigen ist der lctztangedcutete Unfug in Ostpreußen »och ein wenig ent¬
wickelter, was wohl in der schwächern Entwicklung des Wirtshauslebens überhaupt
seinen Grund hat. In letzterer Hinsicht sowie hinsichtlich des Mangels eigentlich
nächtlichen Treibens kann selbst Königsberg eine „solide Stadt" genannt werden.




Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

meer den zahllosen beglückmünscheuden Adresse», welche unserm
Reichskanzler a» seinem siebzigjährigen Geburtstage zugingen, ist
vielleicht die merkwürdigste diejenige der dreißig Veteranen jener
alten erbkaiserlichen Partei, welche am 28. März 1849 in der
Stärke von 290 Männern die Kaiserkrone an König Friedrich
Wilhelm den Vierten von Preußen zu übertragen beschloß. Mit vollem Rechte
hoben die Unterzeichner hervor, daß Fürst BiSmcirck „ihren Glauben zur That ge¬
macht" habe. Denn so wenig Bestand das Verfassungswcrk des ersten deutschen
Parlaments anch gehabt hat und, wie die Dinge einmal sich entwickelten, haben
kounte, das Verdienst kann ihm niemand abstreiten, zuerst in einem beispiellos
großartigen dialektischen Prozesse unwiderleglich festgestellt zu haben, daß die
Zukunft Deutschlands einerseits in einer bundesstaatlich-monarchischen Gestaltung
unter der Führung der Krone Preußens, andrerseits in dem Aufschlüsse Öster¬
reichs aus dem engeren staatsrechtlichen Verbände der deutschen Staaten beruhe.
Vor einiger Zeit brachten diese Blätter eine Schilderung der ersten Anfänge
dieses Parlaments; hier mögen einige Skizzen zur Geschichte seiner letzten
Wochen, seines Todeskampfes von der Ablehnung der Kaiserkrone bis zum Aus¬
tritt der Erbkaiserpartei folgen.


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[0242] Aus den letzten Tagen dos Frankfurter Parlaments. höhern Formen, Musikfesten u, dergl., noch sehr unentwickelt. Dagegen herrscht viel Theatersinn, wenigstens insofern, als auch die Mittelstädte sich bemühen, etwas besseres als bloße Schmieren-Gesellschaften zu erhalten, und als in der That eine oder zwei „Operngesellschaften" sich bemühen, das Publikum dieser Städte mit den neuesten Operetten vertraut zu macheu. Darüber hinaus gehts freilich kaum. Auch gestaltet sich die finanzielle Seite dieser Unternehmungen fast immer sehr zweifelhaft. Königsberg selbst hat in der Wintersaison el» leidliches Theater (etwa von dem Range des Kölner) und im Sommer eine ganze Schnar von Sommerbühnen sowie von tingeltangelartigeu Vergnügungsstätten. Im übrigen ist der lctztangedcutete Unfug in Ostpreußen »och ein wenig ent¬ wickelter, was wohl in der schwächern Entwicklung des Wirtshauslebens überhaupt seinen Grund hat. In letzterer Hinsicht sowie hinsichtlich des Mangels eigentlich nächtlichen Treibens kann selbst Königsberg eine „solide Stadt" genannt werden. Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. meer den zahllosen beglückmünscheuden Adresse», welche unserm Reichskanzler a» seinem siebzigjährigen Geburtstage zugingen, ist vielleicht die merkwürdigste diejenige der dreißig Veteranen jener alten erbkaiserlichen Partei, welche am 28. März 1849 in der Stärke von 290 Männern die Kaiserkrone an König Friedrich Wilhelm den Vierten von Preußen zu übertragen beschloß. Mit vollem Rechte hoben die Unterzeichner hervor, daß Fürst BiSmcirck „ihren Glauben zur That ge¬ macht" habe. Denn so wenig Bestand das Verfassungswcrk des ersten deutschen Parlaments anch gehabt hat und, wie die Dinge einmal sich entwickelten, haben kounte, das Verdienst kann ihm niemand abstreiten, zuerst in einem beispiellos großartigen dialektischen Prozesse unwiderleglich festgestellt zu haben, daß die Zukunft Deutschlands einerseits in einer bundesstaatlich-monarchischen Gestaltung unter der Führung der Krone Preußens, andrerseits in dem Aufschlüsse Öster¬ reichs aus dem engeren staatsrechtlichen Verbände der deutschen Staaten beruhe. Vor einiger Zeit brachten diese Blätter eine Schilderung der ersten Anfänge dieses Parlaments; hier mögen einige Skizzen zur Geschichte seiner letzten Wochen, seines Todeskampfes von der Ablehnung der Kaiserkrone bis zum Aus¬ tritt der Erbkaiserpartei folgen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/242>, abgerufen am 22.07.2024.