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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Literatur.

Hermann. Deutsches Heldengedicht in zwölf Gesängen von M, E, delle Grazie. Zweite
vielfach verbesserte Anfluge, Wien, Konegen, 13L5. -- Die Zigeunerin. Eine Erzählung
aus dem ungarischen Haidelande, von ebdsb. -- Saul. Tragödie in fünf Akten, von ebdsb.

An die Lektüre dieser drei Werke sind wir mit großer Erwartung gegangen.
Von vielen Seiten hatten wir ein ganz ungewöhnliches Lob ihres Verfassers gehört.
Vom "Hermann" hieß es, die moderne Epik habe nicht viel erzeugt, was ihm an
die Seite gesetzt werden könne; vom "Saul" hatten wir gelesen, der verstorbene
Laube habe ihn, so wie er vorliege, d. h, ohne Abstrich, was bei dem streichlustigcn
alten Dramaturgen nicht wenig sagen wollte, für die Bühuenausführung fähig
erklärt; die Erzählung schließlich wurde kurzweg in einem Wiener Blatte, als "wahres
Kabinetsstück" gefeiert. Mehr als einen vollen Druckbogen im Lob übersprudelnder
Rezensionen aus vielen deutschen Blättern konnte der Verleger jedem Buche anheften.
Daraus erfuhren wir auch, daß der Dichter ein Fräulein sei, Marie Eugenie
delle Grazie heiße, ans Ungarisch - Weißenburg stamme, jetzt Wohl in Wien lebe,
noch nicht ganz zwanzig Jahre alt sei, daß man sich das großartigste von ihm
verspreche, daß ein in der Aesthetik berühmter Wiener Professor die Dame eifrigst
beschütze, und daß sie, wie es in jenem erwähnten Wiener Blatte hieß, ohne darum
anzusuchen, ein zweites mal von der Schwestern-Fröhlich-Stiftung sür würdige
Künstler einen Ehrensold bekommen habe. Wir müssen, ans die Gefahr hin, recht
ungalant zu erscheinen, unsrer Verwunderung über all dieses maßlose Lob und die,
wie uns scheint, ungemeine Überschätzung des Wertes obiger Dichtungen Ausdruck
geben, nachdem uns die Lektüre derselben so bitter enttäuscht hat. Wir wollen
nicht behaupten, daß jenes Lob der Clique und ihrer brutale" Reklame entstamme;
ein zwanzigjähriges Mädchen kann nicht das literarische Geschäft betreiben, und
ferner ist auch der Ton jener ästhetischen Rezensionen im ganzen zu ehrlich und
aufrichtig. Aber wenn wir auch annehmen wollen, daß ein großer Teil jener
Anpreisungen auf Rechnung der zwanzig Jahre der produzireuden Dame zu setzen
sei, welches jugendliche Alter die Nachsicht zu erfordern scheint -- scheint, sagen
wir, denn das Alter geht uus nichts an, wer zwingt sie, in die Öffentlichkeit zu
treten? und wenn es geschieht, hält sie sich damit nicht für reif genug dafür? --, so
bleibt doch immerhin noch soviel Lob übrig, daß wir es in seinem Umfange keines¬
wegs berechtigt finden können. Eben jene Eigenschaft, welche um meisten an Fräulein
delle Grazie gepriesen wird, die ungewöhnliche Herrschaft über die Sprache, scheint
uns die größte Reserve von selten einer ancrkennungslustigen Kritik zur Pflicht
zu macheu. Aber freilich müßten mehr Menschen, als es der Fall ist, einmal zu
der Einsicht gekommen sein, daß der Dichter ein Bildner sei, daß Poesie und
Rhetorik zwei grnndvcrschiedne Thätigkeiten sind, daß es in der Dichtkunst nicht
aufs Schönreden, sondern aufs Schöngestalten ankommt, und daß das Stammeln
des jugendlichen Genius bedeutungsvoller für seine Zukunft sein kann, als der in
mächtigem Schwalle sich ergießende Strom eines äußerlichen Talentes. Wäre diese
Erkenntnis verbreiteter, so würde man auch im Urteile über Fräulein delle Grazie
vorsichtiger sein. Das einzig bewundernswerte, was wir an ihr fanden, war die
nie verlegene Suada in ihren Büchern: eine sentimentale, durch keine tiefere
innerliche Arbeit aufgehaltene, urbildliche Rhetorik, die allerdings als solche un¬
gewöhnlich ist. Von einem höheren künstlerischen Gestaltungstriebe, Volt jener
Keuschheit, die nie das letzte Wort sagt, von jenein Lakonismus, der mit wenig
Worten seiner Wirkung sicher ist, von jenem Sprechen in Bildern, welches dem
Genie eigen ist -- von alledem keine Spur. Und wie es schon in der menschlichen
Natur liegt, daß jedermann, bewußt oder unbewußt, in der Sphäre seiner ihm


Literatur.

Hermann. Deutsches Heldengedicht in zwölf Gesängen von M, E, delle Grazie. Zweite
vielfach verbesserte Anfluge, Wien, Konegen, 13L5. — Die Zigeunerin. Eine Erzählung
aus dem ungarischen Haidelande, von ebdsb. — Saul. Tragödie in fünf Akten, von ebdsb.

An die Lektüre dieser drei Werke sind wir mit großer Erwartung gegangen.
Von vielen Seiten hatten wir ein ganz ungewöhnliches Lob ihres Verfassers gehört.
Vom „Hermann" hieß es, die moderne Epik habe nicht viel erzeugt, was ihm an
die Seite gesetzt werden könne; vom „Saul" hatten wir gelesen, der verstorbene
Laube habe ihn, so wie er vorliege, d. h, ohne Abstrich, was bei dem streichlustigcn
alten Dramaturgen nicht wenig sagen wollte, für die Bühuenausführung fähig
erklärt; die Erzählung schließlich wurde kurzweg in einem Wiener Blatte, als „wahres
Kabinetsstück" gefeiert. Mehr als einen vollen Druckbogen im Lob übersprudelnder
Rezensionen aus vielen deutschen Blättern konnte der Verleger jedem Buche anheften.
Daraus erfuhren wir auch, daß der Dichter ein Fräulein sei, Marie Eugenie
delle Grazie heiße, ans Ungarisch - Weißenburg stamme, jetzt Wohl in Wien lebe,
noch nicht ganz zwanzig Jahre alt sei, daß man sich das großartigste von ihm
verspreche, daß ein in der Aesthetik berühmter Wiener Professor die Dame eifrigst
beschütze, und daß sie, wie es in jenem erwähnten Wiener Blatte hieß, ohne darum
anzusuchen, ein zweites mal von der Schwestern-Fröhlich-Stiftung sür würdige
Künstler einen Ehrensold bekommen habe. Wir müssen, ans die Gefahr hin, recht
ungalant zu erscheinen, unsrer Verwunderung über all dieses maßlose Lob und die,
wie uns scheint, ungemeine Überschätzung des Wertes obiger Dichtungen Ausdruck
geben, nachdem uns die Lektüre derselben so bitter enttäuscht hat. Wir wollen
nicht behaupten, daß jenes Lob der Clique und ihrer brutale» Reklame entstamme;
ein zwanzigjähriges Mädchen kann nicht das literarische Geschäft betreiben, und
ferner ist auch der Ton jener ästhetischen Rezensionen im ganzen zu ehrlich und
aufrichtig. Aber wenn wir auch annehmen wollen, daß ein großer Teil jener
Anpreisungen auf Rechnung der zwanzig Jahre der produzireuden Dame zu setzen
sei, welches jugendliche Alter die Nachsicht zu erfordern scheint — scheint, sagen
wir, denn das Alter geht uus nichts an, wer zwingt sie, in die Öffentlichkeit zu
treten? und wenn es geschieht, hält sie sich damit nicht für reif genug dafür? —, so
bleibt doch immerhin noch soviel Lob übrig, daß wir es in seinem Umfange keines¬
wegs berechtigt finden können. Eben jene Eigenschaft, welche um meisten an Fräulein
delle Grazie gepriesen wird, die ungewöhnliche Herrschaft über die Sprache, scheint
uns die größte Reserve von selten einer ancrkennungslustigen Kritik zur Pflicht
zu macheu. Aber freilich müßten mehr Menschen, als es der Fall ist, einmal zu
der Einsicht gekommen sein, daß der Dichter ein Bildner sei, daß Poesie und
Rhetorik zwei grnndvcrschiedne Thätigkeiten sind, daß es in der Dichtkunst nicht
aufs Schönreden, sondern aufs Schöngestalten ankommt, und daß das Stammeln
des jugendlichen Genius bedeutungsvoller für seine Zukunft sein kann, als der in
mächtigem Schwalle sich ergießende Strom eines äußerlichen Talentes. Wäre diese
Erkenntnis verbreiteter, so würde man auch im Urteile über Fräulein delle Grazie
vorsichtiger sein. Das einzig bewundernswerte, was wir an ihr fanden, war die
nie verlegene Suada in ihren Büchern: eine sentimentale, durch keine tiefere
innerliche Arbeit aufgehaltene, urbildliche Rhetorik, die allerdings als solche un¬
gewöhnlich ist. Von einem höheren künstlerischen Gestaltungstriebe, Volt jener
Keuschheit, die nie das letzte Wort sagt, von jenein Lakonismus, der mit wenig
Worten seiner Wirkung sicher ist, von jenem Sprechen in Bildern, welches dem
Genie eigen ist — von alledem keine Spur. Und wie es schon in der menschlichen
Natur liegt, daß jedermann, bewußt oder unbewußt, in der Sphäre seiner ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/711>, abgerufen am 12.11.2024.