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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Großvater, dein Urgroßvater, dein Ururgroßvater war, den er schug, oder wenn
nicht der Übelthäter selbst mehr am Leben ist, sondern nnr noch sein Sohn,
sein Enkel, sein Urenkel, die aber alle die Stirn hoch tragen oder hoch tragen
dürfen, weil sie für jene Unbill noch nicht zu büßen brauchten? Doch wohin
verirre ich mich? Da steigt die Sonne über die Berge Jstriens empor. Werfen
wir in Andacht noch einen Blick rückwärts auf die lombardische Ebene, wo seit
Jahrtausenden der Boden mit dem Blute solcher Tapfern gedüngt worden ist,
die eine ihnen angethane Unbill nicht ungesühnt lassen wollten. Und nun zu
Roß und heim nach Mcmtuci!




Zehntes Aapitel.

Es war ein schöner, wolkenfreier Tag heraufgezogen. Verona lag den
Reitern im Rücken, und die Pferde durften endlich fröhlich auskrähen.

Was kann ich machen? hatte sich Florida mit den Ängsten, unter denen
sie litt, abzufinden gesucht; was bleibt mir übrig, als den Dingen ihren Lauf
zu lassen und daheim fleißig zur Madonna und zur heiligen Barbara zu beten?

Der Rappe des alten Buonaeolsi war ein echter Vollbluttraber, durch
dessen Hitze zu Zeiten auch Floridas Apfelschimmel -- damals die beliebteste
Farbe für Damenpferde -- sich zu übereilten Tempo verführen ließ. Lcizzaro
mußte daher mit seinem schon etwas gemächlichen Fuchswallach an die Seite
seines Gebieters rücken, sodaß die Ungeduld des von der Lust am Heimkommen
erfüllten Rappen sich einigermaßen legte.

An die Seite Floridas rückte nun Eusemia.

Sie wollte sofort ihrer Herrin wieder von Vorsichtsmaßregeln reden, durch
welche das etwaige Mißtrauen des gnädigen Herrn abzulenken sei, aber Florida,
von der Schönheit des Morgens und dem Reiz der Landschaft erfüllt und
nicht minder von dem Bedürfnis beherrscht, mit dem Geliebten im Geiste allein
zu sein, blieb stumm und lächelte nur ohne zuzuhören wie im Traume vor sich
hin, sodaß die Friaulerin endlich ihren Nededrang eindämmte.

In der That war Floridas Seele von lieblichen Bildern umgaukelt. Sie
hatte sich wenig mit der Welt berührt, hatte viel in Legenden und heiligen
Müren gelebt, hatte nie die täglich sich wiederholenden Wunder des Sonnen¬
auf- und Unterganges und der Sternenpracht, der Blumendüfte und der Farben¬
spiele von den Wundern, welche die Heiligen verrichteten, getrennt, noch auch, wenn
es ihr zugemutet worden wäre, zu trennen vermocht. Mitten in einem der hol¬
desten Wunder, das fühlte sie, schwebte sie seit gestern selbst. Oder war die
Liebe kein Wunder? Ließ sie sich besser erklären als das Sonnenlicht und der
Sternenschimmer, als der Duft der Rose und das Grün des Waldes? War
all ihr Denken und Sinnen ihrem Herzen jemals früher so willenlos unter-
thänig gewesen? Hatte sie nicht bis gestern als zu der einzigen Obrigkeit über


Großvater, dein Urgroßvater, dein Ururgroßvater war, den er schug, oder wenn
nicht der Übelthäter selbst mehr am Leben ist, sondern nnr noch sein Sohn,
sein Enkel, sein Urenkel, die aber alle die Stirn hoch tragen oder hoch tragen
dürfen, weil sie für jene Unbill noch nicht zu büßen brauchten? Doch wohin
verirre ich mich? Da steigt die Sonne über die Berge Jstriens empor. Werfen
wir in Andacht noch einen Blick rückwärts auf die lombardische Ebene, wo seit
Jahrtausenden der Boden mit dem Blute solcher Tapfern gedüngt worden ist,
die eine ihnen angethane Unbill nicht ungesühnt lassen wollten. Und nun zu
Roß und heim nach Mcmtuci!




Zehntes Aapitel.

Es war ein schöner, wolkenfreier Tag heraufgezogen. Verona lag den
Reitern im Rücken, und die Pferde durften endlich fröhlich auskrähen.

Was kann ich machen? hatte sich Florida mit den Ängsten, unter denen
sie litt, abzufinden gesucht; was bleibt mir übrig, als den Dingen ihren Lauf
zu lassen und daheim fleißig zur Madonna und zur heiligen Barbara zu beten?

Der Rappe des alten Buonaeolsi war ein echter Vollbluttraber, durch
dessen Hitze zu Zeiten auch Floridas Apfelschimmel — damals die beliebteste
Farbe für Damenpferde — sich zu übereilten Tempo verführen ließ. Lcizzaro
mußte daher mit seinem schon etwas gemächlichen Fuchswallach an die Seite
seines Gebieters rücken, sodaß die Ungeduld des von der Lust am Heimkommen
erfüllten Rappen sich einigermaßen legte.

An die Seite Floridas rückte nun Eusemia.

Sie wollte sofort ihrer Herrin wieder von Vorsichtsmaßregeln reden, durch
welche das etwaige Mißtrauen des gnädigen Herrn abzulenken sei, aber Florida,
von der Schönheit des Morgens und dem Reiz der Landschaft erfüllt und
nicht minder von dem Bedürfnis beherrscht, mit dem Geliebten im Geiste allein
zu sein, blieb stumm und lächelte nur ohne zuzuhören wie im Traume vor sich
hin, sodaß die Friaulerin endlich ihren Nededrang eindämmte.

In der That war Floridas Seele von lieblichen Bildern umgaukelt. Sie
hatte sich wenig mit der Welt berührt, hatte viel in Legenden und heiligen
Müren gelebt, hatte nie die täglich sich wiederholenden Wunder des Sonnen¬
auf- und Unterganges und der Sternenpracht, der Blumendüfte und der Farben¬
spiele von den Wundern, welche die Heiligen verrichteten, getrennt, noch auch, wenn
es ihr zugemutet worden wäre, zu trennen vermocht. Mitten in einem der hol¬
desten Wunder, das fühlte sie, schwebte sie seit gestern selbst. Oder war die
Liebe kein Wunder? Ließ sie sich besser erklären als das Sonnenlicht und der
Sternenschimmer, als der Duft der Rose und das Grün des Waldes? War
all ihr Denken und Sinnen ihrem Herzen jemals früher so willenlos unter-
thänig gewesen? Hatte sie nicht bis gestern als zu der einzigen Obrigkeit über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/700>, abgerufen am 12.11.2024.