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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Der Rongostcmt,

England willens und militärisch imstande ist, den Kampf mit Rußland ohne
Bundesgenossen aufzunehmen und nochmals mit einem britischen Expeditions¬
korps den Chaiberpaß zu überschreiten, an dem so traurige Erinnerungen
haften. Eine entscheidende Stimme wird hierbei die öffentliche Meinung in
England haben. Vielleicht gelingt es aber den Optimisten, der Whigpartei,
ihre Landsleute zu überzeugen, daß eine russische Annexion Afghanistans für
Englands Machtstellung in Indien ebensowenig bedrohlich sei, als die Besetzung
Chiwas und Merws, und hierin würden sie in gewissem Sinne nicht Unrecht
haben, denn Rußland -- das heutige Zarenreich Rußland -- strebt nicht
nach dem Besitz Indiens, Ein solcher Gebietszuwachs würde das ohnehin schon
übermäßig ausgedehnte Staatsgebiet einem innern Zerfall und Teilungsprozeß
entgegenführen, Rußland strebt vielmehr, wie schon oben erwähnt, dem Meere
zu und kann dies auch mit Umgehung britischen Kvlonialgebiets erreichen. Die
Entfernung von Herat nach Kandahar beträgt 325 englische Meilen, von dort
nach der Küste des Arabischen Meeres ungefähr 500 englische Meilen, d, h.
wenig mehr als das doppelte der von Kandahar nach Silvi führenden Straße.
Welche Richtung der russische Vormarsch nach der eventuellen Einnahme von
Kandahar dereinst einschlagen wird, darüber würden wohl die sekreter Akten
des russischen Generalstabs heute noch keine Auskunft geben. Diese Richtung
wird bestimmt von dem seitlichen Gegendruck oder auch von dem Widerstande,
den eine britische Armee ausüben würde.

Herat, Kabul, Kandahar, diese drei Orte werden wohl, falls nicht diplo¬
matische Beschwörungen die Aktion noch vorübergehend aufhalten, in den nächsten
Monaten viel genannt werden. Wer wird heute zu bestimmen wagen, wieviel
Zeit noch verstreicht, bis ans den Reihen der russischen Vorhut in der harten
Umbildung asiatischer Mundart der klassische Freudenruf ertönt: //"/l"?.^




Der Kongostaat.

le westafrikanische Konferenz, das Werk des deutschen Reichs¬
kanzlers und die erste thatsächliche Folge seiner wohlgelungenen
Bemühungen um gutes Einvernehmen und Zusammenwirken mit
der französischen Regierung, hat als denkwürdigstes ihrer Er¬
gebnisse einen afrikanischen Staat hinterlassen, der allem Anscheine
nach eine bedeutende Zukunft hat und in der Geschichte des bisher in seinem
Innern dunkeln, jetzt aber sich rasch aufhellenden dritten Erdteils der alten


Der Rongostcmt,

England willens und militärisch imstande ist, den Kampf mit Rußland ohne
Bundesgenossen aufzunehmen und nochmals mit einem britischen Expeditions¬
korps den Chaiberpaß zu überschreiten, an dem so traurige Erinnerungen
haften. Eine entscheidende Stimme wird hierbei die öffentliche Meinung in
England haben. Vielleicht gelingt es aber den Optimisten, der Whigpartei,
ihre Landsleute zu überzeugen, daß eine russische Annexion Afghanistans für
Englands Machtstellung in Indien ebensowenig bedrohlich sei, als die Besetzung
Chiwas und Merws, und hierin würden sie in gewissem Sinne nicht Unrecht
haben, denn Rußland — das heutige Zarenreich Rußland — strebt nicht
nach dem Besitz Indiens, Ein solcher Gebietszuwachs würde das ohnehin schon
übermäßig ausgedehnte Staatsgebiet einem innern Zerfall und Teilungsprozeß
entgegenführen, Rußland strebt vielmehr, wie schon oben erwähnt, dem Meere
zu und kann dies auch mit Umgehung britischen Kvlonialgebiets erreichen. Die
Entfernung von Herat nach Kandahar beträgt 325 englische Meilen, von dort
nach der Küste des Arabischen Meeres ungefähr 500 englische Meilen, d, h.
wenig mehr als das doppelte der von Kandahar nach Silvi führenden Straße.
Welche Richtung der russische Vormarsch nach der eventuellen Einnahme von
Kandahar dereinst einschlagen wird, darüber würden wohl die sekreter Akten
des russischen Generalstabs heute noch keine Auskunft geben. Diese Richtung
wird bestimmt von dem seitlichen Gegendruck oder auch von dem Widerstande,
den eine britische Armee ausüben würde.

Herat, Kabul, Kandahar, diese drei Orte werden wohl, falls nicht diplo¬
matische Beschwörungen die Aktion noch vorübergehend aufhalten, in den nächsten
Monaten viel genannt werden. Wer wird heute zu bestimmen wagen, wieviel
Zeit noch verstreicht, bis ans den Reihen der russischen Vorhut in der harten
Umbildung asiatischer Mundart der klassische Freudenruf ertönt: //«/l«?.^




Der Kongostaat.

le westafrikanische Konferenz, das Werk des deutschen Reichs¬
kanzlers und die erste thatsächliche Folge seiner wohlgelungenen
Bemühungen um gutes Einvernehmen und Zusammenwirken mit
der französischen Regierung, hat als denkwürdigstes ihrer Er¬
gebnisse einen afrikanischen Staat hinterlassen, der allem Anscheine
nach eine bedeutende Zukunft hat und in der Geschichte des bisher in seinem
Innern dunkeln, jetzt aber sich rasch aufhellenden dritten Erdteils der alten


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[0612] Der Rongostcmt, England willens und militärisch imstande ist, den Kampf mit Rußland ohne Bundesgenossen aufzunehmen und nochmals mit einem britischen Expeditions¬ korps den Chaiberpaß zu überschreiten, an dem so traurige Erinnerungen haften. Eine entscheidende Stimme wird hierbei die öffentliche Meinung in England haben. Vielleicht gelingt es aber den Optimisten, der Whigpartei, ihre Landsleute zu überzeugen, daß eine russische Annexion Afghanistans für Englands Machtstellung in Indien ebensowenig bedrohlich sei, als die Besetzung Chiwas und Merws, und hierin würden sie in gewissem Sinne nicht Unrecht haben, denn Rußland — das heutige Zarenreich Rußland — strebt nicht nach dem Besitz Indiens, Ein solcher Gebietszuwachs würde das ohnehin schon übermäßig ausgedehnte Staatsgebiet einem innern Zerfall und Teilungsprozeß entgegenführen, Rußland strebt vielmehr, wie schon oben erwähnt, dem Meere zu und kann dies auch mit Umgehung britischen Kvlonialgebiets erreichen. Die Entfernung von Herat nach Kandahar beträgt 325 englische Meilen, von dort nach der Küste des Arabischen Meeres ungefähr 500 englische Meilen, d, h. wenig mehr als das doppelte der von Kandahar nach Silvi führenden Straße. Welche Richtung der russische Vormarsch nach der eventuellen Einnahme von Kandahar dereinst einschlagen wird, darüber würden wohl die sekreter Akten des russischen Generalstabs heute noch keine Auskunft geben. Diese Richtung wird bestimmt von dem seitlichen Gegendruck oder auch von dem Widerstande, den eine britische Armee ausüben würde. Herat, Kabul, Kandahar, diese drei Orte werden wohl, falls nicht diplo¬ matische Beschwörungen die Aktion noch vorübergehend aufhalten, in den nächsten Monaten viel genannt werden. Wer wird heute zu bestimmen wagen, wieviel Zeit noch verstreicht, bis ans den Reihen der russischen Vorhut in der harten Umbildung asiatischer Mundart der klassische Freudenruf ertönt: //«/l«?.^ Der Kongostaat. le westafrikanische Konferenz, das Werk des deutschen Reichs¬ kanzlers und die erste thatsächliche Folge seiner wohlgelungenen Bemühungen um gutes Einvernehmen und Zusammenwirken mit der französischen Regierung, hat als denkwürdigstes ihrer Er¬ gebnisse einen afrikanischen Staat hinterlassen, der allem Anscheine nach eine bedeutende Zukunft hat und in der Geschichte des bisher in seinem Innern dunkeln, jetzt aber sich rasch aufhellenden dritten Erdteils der alten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/612>, abgerufen am 12.11.2024.