Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Hat die deutsche Renaissance eine Zukunft?
von Adolf Rosenberg. 1.

as Jahrhundert neigt sich seinem Ende zu, und noch immer
wollen sich nicht die Keime eines entwicklungsfähigen Knnststiles
zeigen, auf welchen man von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mit wach¬
sender Sehnsucht hofft. Noch nie zuvor hat der Eklektizismus
in gleicher Blüte gestanden, noch nie zuvor hat mau ihn mit
gleicher Sorgfalt, mit gleicher Gelehrsamkeit und -- wir dürfen auch sagen:
mit gleichem Geschmack gehandhabt wie in der Gegenwart. Wenn der Eklek¬
tizismus ein Stil wäre, brauchten wir uns sogar keine Sorge mehr zu machen,
und das neunzehnte Jahrhundert könnte auf seinen Lorbern ausruhen. Und
doch kann unser Jahrhundert nicht über Mangel an schöpferischen Geistern Klage
führen. Wir haben einen Cornelius, welcher sich an Tiefe und Kühnheit der
Gedanken mit den größten Geistern der Weltgeschichte messen kann, wir haben
einen Schinkel, einen Rauch und einen Rietschel gehabt, ohne der großen
Künstler des Auslandes zu gedenken, welche sich auch in Deutschland das Bürger¬
recht erworben haben, eines Canova und Thorwaldsen, eines Delacroix und
Delaroche. Wir haben in Feuerbach und Makart Künstler besessen, welche nach
gewissen Richtungen hin den Geist unsers Jahrhunderts völlig erschöpfte,? oder
doch richtig begriffen, und wir besitzen noch jetzt in Menzel, Kraus, Meissonnier
und Defregger -- um nur einige recht markante Persönlichkeiten zu nennen --
Künstler von so scharf ausgeprägter Physiognomie, daß gegen sie wenigstens
der Vorwurf des Eklektizismus nicht zu erheben ist.

Wir müssen übrigens die Malerei von den Betrachtungen, welche zur Be¬
antwortung unsrer Frage führen können, von vornherein ausschließen, weil der
malerische Stil viel enger mit der Persönlichkeit verwachsen ist als der pla¬
stische und vollends der architektonische. In der mittelalterlichen Kunst konnte
man freilich noch von einem byzantinischen und gothischen Stil der Malerei
sprechen. Damals schritten auch die Maler noch in gewissermaßen soldatischen
Kolonnen einher, aus deren Reihen niemand hervortrat, um das Licht seiner
Persönlichkeit leuchten zu lassen. Erst die Brüder van Eyck begannen das Be¬
freiungswerk, und die Renaissance vollendete es. Je persönlicher der malerische
Stil wurde, desto reicher und vielseitiger entfaltete sich die Malerei, und sie


Hat die deutsche Renaissance eine Zukunft?
von Adolf Rosenberg. 1.

as Jahrhundert neigt sich seinem Ende zu, und noch immer
wollen sich nicht die Keime eines entwicklungsfähigen Knnststiles
zeigen, auf welchen man von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mit wach¬
sender Sehnsucht hofft. Noch nie zuvor hat der Eklektizismus
in gleicher Blüte gestanden, noch nie zuvor hat mau ihn mit
gleicher Sorgfalt, mit gleicher Gelehrsamkeit und — wir dürfen auch sagen:
mit gleichem Geschmack gehandhabt wie in der Gegenwart. Wenn der Eklek¬
tizismus ein Stil wäre, brauchten wir uns sogar keine Sorge mehr zu machen,
und das neunzehnte Jahrhundert könnte auf seinen Lorbern ausruhen. Und
doch kann unser Jahrhundert nicht über Mangel an schöpferischen Geistern Klage
führen. Wir haben einen Cornelius, welcher sich an Tiefe und Kühnheit der
Gedanken mit den größten Geistern der Weltgeschichte messen kann, wir haben
einen Schinkel, einen Rauch und einen Rietschel gehabt, ohne der großen
Künstler des Auslandes zu gedenken, welche sich auch in Deutschland das Bürger¬
recht erworben haben, eines Canova und Thorwaldsen, eines Delacroix und
Delaroche. Wir haben in Feuerbach und Makart Künstler besessen, welche nach
gewissen Richtungen hin den Geist unsers Jahrhunderts völlig erschöpfte,? oder
doch richtig begriffen, und wir besitzen noch jetzt in Menzel, Kraus, Meissonnier
und Defregger — um nur einige recht markante Persönlichkeiten zu nennen —
Künstler von so scharf ausgeprägter Physiognomie, daß gegen sie wenigstens
der Vorwurf des Eklektizismus nicht zu erheben ist.

Wir müssen übrigens die Malerei von den Betrachtungen, welche zur Be¬
antwortung unsrer Frage führen können, von vornherein ausschließen, weil der
malerische Stil viel enger mit der Persönlichkeit verwachsen ist als der pla¬
stische und vollends der architektonische. In der mittelalterlichen Kunst konnte
man freilich noch von einem byzantinischen und gothischen Stil der Malerei
sprechen. Damals schritten auch die Maler noch in gewissermaßen soldatischen
Kolonnen einher, aus deren Reihen niemand hervortrat, um das Licht seiner
Persönlichkeit leuchten zu lassen. Erst die Brüder van Eyck begannen das Be¬
freiungswerk, und die Renaissance vollendete es. Je persönlicher der malerische
Stil wurde, desto reicher und vielseitiger entfaltete sich die Malerei, und sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194723"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Hat die deutsche Renaissance eine Zukunft?<lb/><note type="byline"> von Adolf Rosenberg.</note> 1.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_88"> as Jahrhundert neigt sich seinem Ende zu, und noch immer<lb/>
wollen sich nicht die Keime eines entwicklungsfähigen Knnststiles<lb/>
zeigen, auf welchen man von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mit wach¬<lb/>
sender Sehnsucht hofft. Noch nie zuvor hat der Eklektizismus<lb/>
in gleicher Blüte gestanden, noch nie zuvor hat mau ihn mit<lb/>
gleicher Sorgfalt, mit gleicher Gelehrsamkeit und &#x2014; wir dürfen auch sagen:<lb/>
mit gleichem Geschmack gehandhabt wie in der Gegenwart. Wenn der Eklek¬<lb/>
tizismus ein Stil wäre, brauchten wir uns sogar keine Sorge mehr zu machen,<lb/>
und das neunzehnte Jahrhundert könnte auf seinen Lorbern ausruhen. Und<lb/>
doch kann unser Jahrhundert nicht über Mangel an schöpferischen Geistern Klage<lb/>
führen. Wir haben einen Cornelius, welcher sich an Tiefe und Kühnheit der<lb/>
Gedanken mit den größten Geistern der Weltgeschichte messen kann, wir haben<lb/>
einen Schinkel, einen Rauch und einen Rietschel gehabt, ohne der großen<lb/>
Künstler des Auslandes zu gedenken, welche sich auch in Deutschland das Bürger¬<lb/>
recht erworben haben, eines Canova und Thorwaldsen, eines Delacroix und<lb/>
Delaroche. Wir haben in Feuerbach und Makart Künstler besessen, welche nach<lb/>
gewissen Richtungen hin den Geist unsers Jahrhunderts völlig erschöpfte,? oder<lb/>
doch richtig begriffen, und wir besitzen noch jetzt in Menzel, Kraus, Meissonnier<lb/>
und Defregger &#x2014; um nur einige recht markante Persönlichkeiten zu nennen &#x2014;<lb/>
Künstler von so scharf ausgeprägter Physiognomie, daß gegen sie wenigstens<lb/>
der Vorwurf des Eklektizismus nicht zu erheben ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_89" next="#ID_90"> Wir müssen übrigens die Malerei von den Betrachtungen, welche zur Be¬<lb/>
antwortung unsrer Frage führen können, von vornherein ausschließen, weil der<lb/>
malerische Stil viel enger mit der Persönlichkeit verwachsen ist als der pla¬<lb/>
stische und vollends der architektonische. In der mittelalterlichen Kunst konnte<lb/>
man freilich noch von einem byzantinischen und gothischen Stil der Malerei<lb/>
sprechen. Damals schritten auch die Maler noch in gewissermaßen soldatischen<lb/>
Kolonnen einher, aus deren Reihen niemand hervortrat, um das Licht seiner<lb/>
Persönlichkeit leuchten zu lassen. Erst die Brüder van Eyck begannen das Be¬<lb/>
freiungswerk, und die Renaissance vollendete es. Je persönlicher der malerische<lb/>
Stil wurde, desto reicher und vielseitiger entfaltete sich die Malerei, und sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] Hat die deutsche Renaissance eine Zukunft? von Adolf Rosenberg. 1. as Jahrhundert neigt sich seinem Ende zu, und noch immer wollen sich nicht die Keime eines entwicklungsfähigen Knnststiles zeigen, auf welchen man von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mit wach¬ sender Sehnsucht hofft. Noch nie zuvor hat der Eklektizismus in gleicher Blüte gestanden, noch nie zuvor hat mau ihn mit gleicher Sorgfalt, mit gleicher Gelehrsamkeit und — wir dürfen auch sagen: mit gleichem Geschmack gehandhabt wie in der Gegenwart. Wenn der Eklek¬ tizismus ein Stil wäre, brauchten wir uns sogar keine Sorge mehr zu machen, und das neunzehnte Jahrhundert könnte auf seinen Lorbern ausruhen. Und doch kann unser Jahrhundert nicht über Mangel an schöpferischen Geistern Klage führen. Wir haben einen Cornelius, welcher sich an Tiefe und Kühnheit der Gedanken mit den größten Geistern der Weltgeschichte messen kann, wir haben einen Schinkel, einen Rauch und einen Rietschel gehabt, ohne der großen Künstler des Auslandes zu gedenken, welche sich auch in Deutschland das Bürger¬ recht erworben haben, eines Canova und Thorwaldsen, eines Delacroix und Delaroche. Wir haben in Feuerbach und Makart Künstler besessen, welche nach gewissen Richtungen hin den Geist unsers Jahrhunderts völlig erschöpfte,? oder doch richtig begriffen, und wir besitzen noch jetzt in Menzel, Kraus, Meissonnier und Defregger — um nur einige recht markante Persönlichkeiten zu nennen — Künstler von so scharf ausgeprägter Physiognomie, daß gegen sie wenigstens der Vorwurf des Eklektizismus nicht zu erheben ist. Wir müssen übrigens die Malerei von den Betrachtungen, welche zur Be¬ antwortung unsrer Frage führen können, von vornherein ausschließen, weil der malerische Stil viel enger mit der Persönlichkeit verwachsen ist als der pla¬ stische und vollends der architektonische. In der mittelalterlichen Kunst konnte man freilich noch von einem byzantinischen und gothischen Stil der Malerei sprechen. Damals schritten auch die Maler noch in gewissermaßen soldatischen Kolonnen einher, aus deren Reihen niemand hervortrat, um das Licht seiner Persönlichkeit leuchten zu lassen. Erst die Brüder van Eyck begannen das Be¬ freiungswerk, und die Renaissance vollendete es. Je persönlicher der malerische Stil wurde, desto reicher und vielseitiger entfaltete sich die Malerei, und sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/47
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/47>, abgerufen am 12.11.2024.