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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Kommilitonen.
Novelle von A. R. w. Uschner. (Fortsetzung.1

er "blasse Heinrich" durcheilte die Stadtparkpflanzung und kenn
an die Stelle der Rosenbosketts, eine schwächliche Strauchanlage,
ein hirnlos hingenommenes Tauschstiick für die ehemaligen vier
Riesenulmen mit der Steinsäule, jenes dauerhafte Erbstück aus
markiger Vorzeit, Der Zeitenwechsel trat ihm hier recht deutlich
vor die Augen -- nicht aus dem blätterschüttelnden Herbste, von dem Bäume
und Büsche zeugten, sie füllen sich ja im Frühling mit neuem Grün --, wohl
aber aus dem Menschenwerk und dem Menschen selbst als Einzelwesen! Er kam
sich altgeworden vor, allein übriggeblieben aus einer früheren Zeit. Wehmut
beschlich ihn und begann seine Erbitterung zu lösen.

Dann gelangte er an die Steinterrasse der Arkaden, den untern Vorbau
zu der höher gelegenen Klosterschule. Die Terrasse fand er unverändert, ebenso
die Arkaden, einen etwa sechzig Schritt langen, bedeckten Säulengang, der gleich¬
laufend mit dem Klosterbau in frühern Zeiten wohl durch Seitengänge mit
ihm verbunden gewesen sein mochte. Er unterließ es, den Blick von hier ans
über deu Fluß hinüber zu richten, wo er alles verändert wußte; er tauchte
vielmehr in den Schatten des Säulenganges und hier verweilte er, um über
seinen Vortrag nachzudenken.

Aber er fand keine Sammlung, die Stimmung fehlte, er vermochte deu
überreichen Stoff nicht zu ordnen, auch gewaltsame Anstrengung erwies sich als
wirkungslos. Er wurde unzufrieden mit sich selbst, wie ihm es noch nie er¬
gangen war. Dann trat er wieder auf die Terrasse ins Helle, bis vor an das
Geländer, an welchem dichter Epheu wucherte wie vordem; um diese knorrigen
Ranken klammerte sich seine Seele an, er fühlte eine Art Halt und Aufrichtung.

Indem er das Geländer entlang mit der Hand über das frische, feuchte




Die Kommilitonen.
Novelle von A. R. w. Uschner. (Fortsetzung.1

er „blasse Heinrich" durcheilte die Stadtparkpflanzung und kenn
an die Stelle der Rosenbosketts, eine schwächliche Strauchanlage,
ein hirnlos hingenommenes Tauschstiick für die ehemaligen vier
Riesenulmen mit der Steinsäule, jenes dauerhafte Erbstück aus
markiger Vorzeit, Der Zeitenwechsel trat ihm hier recht deutlich
vor die Augen — nicht aus dem blätterschüttelnden Herbste, von dem Bäume
und Büsche zeugten, sie füllen sich ja im Frühling mit neuem Grün —, wohl
aber aus dem Menschenwerk und dem Menschen selbst als Einzelwesen! Er kam
sich altgeworden vor, allein übriggeblieben aus einer früheren Zeit. Wehmut
beschlich ihn und begann seine Erbitterung zu lösen.

Dann gelangte er an die Steinterrasse der Arkaden, den untern Vorbau
zu der höher gelegenen Klosterschule. Die Terrasse fand er unverändert, ebenso
die Arkaden, einen etwa sechzig Schritt langen, bedeckten Säulengang, der gleich¬
laufend mit dem Klosterbau in frühern Zeiten wohl durch Seitengänge mit
ihm verbunden gewesen sein mochte. Er unterließ es, den Blick von hier ans
über deu Fluß hinüber zu richten, wo er alles verändert wußte; er tauchte
vielmehr in den Schatten des Säulenganges und hier verweilte er, um über
seinen Vortrag nachzudenken.

Aber er fand keine Sammlung, die Stimmung fehlte, er vermochte deu
überreichen Stoff nicht zu ordnen, auch gewaltsame Anstrengung erwies sich als
wirkungslos. Er wurde unzufrieden mit sich selbst, wie ihm es noch nie er¬
gangen war. Dann trat er wieder auf die Terrasse ins Helle, bis vor an das
Geländer, an welchem dichter Epheu wucherte wie vordem; um diese knorrigen
Ranken klammerte sich seine Seele an, er fühlte eine Art Halt und Aufrichtung.

Indem er das Geländer entlang mit der Hand über das frische, feuchte


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[0371] [Abbildung] Die Kommilitonen. Novelle von A. R. w. Uschner. (Fortsetzung.1 er „blasse Heinrich" durcheilte die Stadtparkpflanzung und kenn an die Stelle der Rosenbosketts, eine schwächliche Strauchanlage, ein hirnlos hingenommenes Tauschstiick für die ehemaligen vier Riesenulmen mit der Steinsäule, jenes dauerhafte Erbstück aus markiger Vorzeit, Der Zeitenwechsel trat ihm hier recht deutlich vor die Augen — nicht aus dem blätterschüttelnden Herbste, von dem Bäume und Büsche zeugten, sie füllen sich ja im Frühling mit neuem Grün —, wohl aber aus dem Menschenwerk und dem Menschen selbst als Einzelwesen! Er kam sich altgeworden vor, allein übriggeblieben aus einer früheren Zeit. Wehmut beschlich ihn und begann seine Erbitterung zu lösen. Dann gelangte er an die Steinterrasse der Arkaden, den untern Vorbau zu der höher gelegenen Klosterschule. Die Terrasse fand er unverändert, ebenso die Arkaden, einen etwa sechzig Schritt langen, bedeckten Säulengang, der gleich¬ laufend mit dem Klosterbau in frühern Zeiten wohl durch Seitengänge mit ihm verbunden gewesen sein mochte. Er unterließ es, den Blick von hier ans über deu Fluß hinüber zu richten, wo er alles verändert wußte; er tauchte vielmehr in den Schatten des Säulenganges und hier verweilte er, um über seinen Vortrag nachzudenken. Aber er fand keine Sammlung, die Stimmung fehlte, er vermochte deu überreichen Stoff nicht zu ordnen, auch gewaltsame Anstrengung erwies sich als wirkungslos. Er wurde unzufrieden mit sich selbst, wie ihm es noch nie er¬ gangen war. Dann trat er wieder auf die Terrasse ins Helle, bis vor an das Geländer, an welchem dichter Epheu wucherte wie vordem; um diese knorrigen Ranken klammerte sich seine Seele an, er fühlte eine Art Halt und Aufrichtung. Indem er das Geländer entlang mit der Hand über das frische, feuchte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/371>, abgerufen am 12.11.2024.