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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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F. M. Dostojewsky.

n ungewöhnlich kurzer Zeit hat sich der Ruf Dostojewskys in
Deutschland verbreitet. In die weiteren Kreise der Gelnldeten
ist vor ihm von den russischen Dichten nur Turgenjew gedrungen,
den die deutsche Kritik mit großer Begeisterung pries und geradezu
als den "Shakespeare der Novelle" bezeichnete. Gewiß war es
die liebenswürdige Kunstform der Novelle mit unter den andern großartigen
Vorzügen, welche ihm seinen Triumphzug nicht bloß durch Deutschland ermög¬
lichte und erleichterte. Eine kurze Novelle, eine Skizze aus dem "Tagebuch
eines Jägers," ein dünner Nomanband sind schnell gelesen.. Über seine Anti¬
pathie gegen die Deutschen als Volk, die er mit jedem Russen teilte, sah man
umso leichter hinweg, als Turgenjew nie seine vorwiegend aus deutschen Quellen
geschöpfte Bildung -- er hatte ja Anfang der vierziger Jahre an der Berliner
Hochschule Vorlesungen gehört -- und ganz besonders seine große Verelmmg
für Goethe und seine Belesenheit in dessen Schriften verleugnete.

Einen ungleich schwierigeren Stand hatte Dostojewski), der zwei Jahre
vor Turgenjew, um 28. Januar 1881, starb und erst zwei Jahre nach seinem
Tode durch die Übersetzung eines älteren, schon aus dem Jahre 1867 stammenden
Romanes (Raskolnikow) in Deutschland bekannt wurde. Ein mehrbändiger
Roman erfordert mehr Hingabe vom Leser als eine kurze Novelle, die übrigens
auch noch deu Geist ihres Autors, wie in einem Focus konzentrirt, ausstrahlt
Und Dostojewski) bedarf, recht im Gegensatze zu Turgenjew, ganz ungewöhnlich
viel Raum, um sich zu entwickeln und alles, was er zu sagen hat, auszusprechen,
eine Eigenschaft, die noch keineswegs eine Jnferioritüt dem Novellisten gegen¬
über begründet. Aber trotz seiner größeren Ansprüche an die Aufmerksamkeit
des Lesers hat es Dostojewski) nach kaum zwei Jahren soweit gebracht, daß
er jetzt auch bei uns als eines der größten dichterischen Genies der Gegenwart
überhaupt anerkannt wird, so wie es in seinem Vaterlande schon längst feststeht,
wo die Begeisterung und Liebe seines Volkes sich bei seinem Tode in der im-
ponuendsten Weise durch eine allgemein nationale Beteiligung an seinem Leichen¬
begängnisse kundgab.

Und noch eine Schwierigkeit hat Dostojewski), im Vergleich mit Turgenjew,
im Auslande zu überwinden gehabt, eine Schwierigkeit allerdings, die in seinem
ganzen Wesen ebenso tief begründet war, als der Mangel derselben in dem
Turgenjews. Der letztere äußerte sich in einem (nach seinem Tode veröffent¬
lichten) deutschgeschriebenen Briefe vom 16. April 1879: "Daß ich mein Vater-


F. M. Dostojewsky.

n ungewöhnlich kurzer Zeit hat sich der Ruf Dostojewskys in
Deutschland verbreitet. In die weiteren Kreise der Gelnldeten
ist vor ihm von den russischen Dichten nur Turgenjew gedrungen,
den die deutsche Kritik mit großer Begeisterung pries und geradezu
als den „Shakespeare der Novelle" bezeichnete. Gewiß war es
die liebenswürdige Kunstform der Novelle mit unter den andern großartigen
Vorzügen, welche ihm seinen Triumphzug nicht bloß durch Deutschland ermög¬
lichte und erleichterte. Eine kurze Novelle, eine Skizze aus dem „Tagebuch
eines Jägers," ein dünner Nomanband sind schnell gelesen.. Über seine Anti¬
pathie gegen die Deutschen als Volk, die er mit jedem Russen teilte, sah man
umso leichter hinweg, als Turgenjew nie seine vorwiegend aus deutschen Quellen
geschöpfte Bildung — er hatte ja Anfang der vierziger Jahre an der Berliner
Hochschule Vorlesungen gehört — und ganz besonders seine große Verelmmg
für Goethe und seine Belesenheit in dessen Schriften verleugnete.

Einen ungleich schwierigeren Stand hatte Dostojewski), der zwei Jahre
vor Turgenjew, um 28. Januar 1881, starb und erst zwei Jahre nach seinem
Tode durch die Übersetzung eines älteren, schon aus dem Jahre 1867 stammenden
Romanes (Raskolnikow) in Deutschland bekannt wurde. Ein mehrbändiger
Roman erfordert mehr Hingabe vom Leser als eine kurze Novelle, die übrigens
auch noch deu Geist ihres Autors, wie in einem Focus konzentrirt, ausstrahlt
Und Dostojewski) bedarf, recht im Gegensatze zu Turgenjew, ganz ungewöhnlich
viel Raum, um sich zu entwickeln und alles, was er zu sagen hat, auszusprechen,
eine Eigenschaft, die noch keineswegs eine Jnferioritüt dem Novellisten gegen¬
über begründet. Aber trotz seiner größeren Ansprüche an die Aufmerksamkeit
des Lesers hat es Dostojewski) nach kaum zwei Jahren soweit gebracht, daß
er jetzt auch bei uns als eines der größten dichterischen Genies der Gegenwart
überhaupt anerkannt wird, so wie es in seinem Vaterlande schon längst feststeht,
wo die Begeisterung und Liebe seines Volkes sich bei seinem Tode in der im-
ponuendsten Weise durch eine allgemein nationale Beteiligung an seinem Leichen¬
begängnisse kundgab.

Und noch eine Schwierigkeit hat Dostojewski), im Vergleich mit Turgenjew,
im Auslande zu überwinden gehabt, eine Schwierigkeit allerdings, die in seinem
ganzen Wesen ebenso tief begründet war, als der Mangel derselben in dem
Turgenjews. Der letztere äußerte sich in einem (nach seinem Tode veröffent¬
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[0354] F. M. Dostojewsky. n ungewöhnlich kurzer Zeit hat sich der Ruf Dostojewskys in Deutschland verbreitet. In die weiteren Kreise der Gelnldeten ist vor ihm von den russischen Dichten nur Turgenjew gedrungen, den die deutsche Kritik mit großer Begeisterung pries und geradezu als den „Shakespeare der Novelle" bezeichnete. Gewiß war es die liebenswürdige Kunstform der Novelle mit unter den andern großartigen Vorzügen, welche ihm seinen Triumphzug nicht bloß durch Deutschland ermög¬ lichte und erleichterte. Eine kurze Novelle, eine Skizze aus dem „Tagebuch eines Jägers," ein dünner Nomanband sind schnell gelesen.. Über seine Anti¬ pathie gegen die Deutschen als Volk, die er mit jedem Russen teilte, sah man umso leichter hinweg, als Turgenjew nie seine vorwiegend aus deutschen Quellen geschöpfte Bildung — er hatte ja Anfang der vierziger Jahre an der Berliner Hochschule Vorlesungen gehört — und ganz besonders seine große Verelmmg für Goethe und seine Belesenheit in dessen Schriften verleugnete. Einen ungleich schwierigeren Stand hatte Dostojewski), der zwei Jahre vor Turgenjew, um 28. Januar 1881, starb und erst zwei Jahre nach seinem Tode durch die Übersetzung eines älteren, schon aus dem Jahre 1867 stammenden Romanes (Raskolnikow) in Deutschland bekannt wurde. Ein mehrbändiger Roman erfordert mehr Hingabe vom Leser als eine kurze Novelle, die übrigens auch noch deu Geist ihres Autors, wie in einem Focus konzentrirt, ausstrahlt Und Dostojewski) bedarf, recht im Gegensatze zu Turgenjew, ganz ungewöhnlich viel Raum, um sich zu entwickeln und alles, was er zu sagen hat, auszusprechen, eine Eigenschaft, die noch keineswegs eine Jnferioritüt dem Novellisten gegen¬ über begründet. Aber trotz seiner größeren Ansprüche an die Aufmerksamkeit des Lesers hat es Dostojewski) nach kaum zwei Jahren soweit gebracht, daß er jetzt auch bei uns als eines der größten dichterischen Genies der Gegenwart überhaupt anerkannt wird, so wie es in seinem Vaterlande schon längst feststeht, wo die Begeisterung und Liebe seines Volkes sich bei seinem Tode in der im- ponuendsten Weise durch eine allgemein nationale Beteiligung an seinem Leichen¬ begängnisse kundgab. Und noch eine Schwierigkeit hat Dostojewski), im Vergleich mit Turgenjew, im Auslande zu überwinden gehabt, eine Schwierigkeit allerdings, die in seinem ganzen Wesen ebenso tief begründet war, als der Mangel derselben in dem Turgenjews. Der letztere äußerte sich in einem (nach seinem Tode veröffent¬ lichten) deutschgeschriebenen Briefe vom 16. April 1879: „Daß ich mein Vater-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/354>, abgerufen am 12.11.2024.