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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Notizen.

Bravo! frohlockte der Oberst dazwischen.

Meine Wiederaufnahme in das Heer -- ich bin als Vicefeldwebel abge¬
gangen -- war "unmöglich" gemacht, fügte der "blasse Heinrich" bei.

Du bist also ebenfalls ein Märtyrer, hob Mirbl mit Nachdruck an,
nämlich ein burschenschaftlicher.

Bei diesen Worten nahm Kautschuk rasch seinen Hut und ging mit den
Worten ab: Die Bedingung unsers Zusammenbleibens war, daß politische Er¬
örterungen fernbleiben sollten; diese Bedingung ist verletzt!

Haha! lachte Mirbl ihm nach, der Ministerialrat wittert hier Demagogie!
Überlebter Standpunkt! Fürst Bismarck hat selbst das Reichsbanner entfaltet
und sieghaft aufgepflanzt, das man den Burschenschaftern einst entwunden hatte!

Kinder! unterbrach ihn Genserich, lassen wir das! Es streift in der That
ein Gebiet, das wir aus unsrer harmlosen Vereinigung ausgeschlossen wissen
wollten.

Er war aufgestanden, Ratz flüsterte ihm noch etwas zu und wandte sich
dann auch an Mirbl.

Das versteht sich von selbst, sagte der Oberst, es hätte längst aufgeklärt
Werden müssen. (Fortsetzung folgt.)




Notizen.

Peter der Große auf Reisen. Der nachfolgende, 1717 französisch ge¬
schriebene Brief, ein bisher nicht an die Öffentlichkeit gelangter authentischer Bericht
eines ungenannten Verfassers, bietet eine Schilderung des berühmten Zaren, wie
sie drastischer und ungeschminkter wohl selten gefunden werden wird. Er bezieht
sich auf den Aufenthalt Peters des Großen, den er 1717 auf seiner Reise in das
Bad Pyrmont auf dem Schlosse zu Harburg nahm. Peter war Anfang April
vom Haag nach Paris gereist, blieb dort vier Monate, ging dann nach Amsterdam
zurück, wird im August in Pyrmont gewesen sein und traf am 21. Oktober 1717
wieder in Se. Petersburg ein. Der Brief lautet:

Mein Herr! Der Zur hat nach seiner löblichen Gewohnheit einen ganzen Tag
unnützerweise auf sich warten lassen. Er kam endlich letzte Mittwoch gegen sieben
Uhr abends in einer kleinen, schmucken, achtrudrigen Schaluppe an, die Ruderer in
Binsen und mit kleinen roten Mützen auf dem Kopfe. Der Zar saß allein am Steuer¬
ruder, die Herren seines Gefolges zu seiner Rechten und Linken, alle unter einem
Zeltdach, ausgenommen die Ruderer. Se. Majestät wurde bei ihrer Ankunft durch
eine dreimalige Abfeuerung von neununddreißig Kanonen begrüßt. Sie war sehr
nachlässig gekleidet: ein scheußlicher blauer Rock, ein Gürtel von schwarzem Leder,
ehemals mit feinen Goldfäden gestickt, in Violet spielende Matrosenhosen, zimmt-
farbenc Strümpfe und ein alter Hut ohne Garnirung, sodaß ihm die Knopfseite auf
die Nase herabhing; vielleicht hatte er ihn absichtlich so machen lassen, um gegen die


Notizen.

Bravo! frohlockte der Oberst dazwischen.

Meine Wiederaufnahme in das Heer — ich bin als Vicefeldwebel abge¬
gangen — war „unmöglich" gemacht, fügte der „blasse Heinrich" bei.

Du bist also ebenfalls ein Märtyrer, hob Mirbl mit Nachdruck an,
nämlich ein burschenschaftlicher.

Bei diesen Worten nahm Kautschuk rasch seinen Hut und ging mit den
Worten ab: Die Bedingung unsers Zusammenbleibens war, daß politische Er¬
örterungen fernbleiben sollten; diese Bedingung ist verletzt!

Haha! lachte Mirbl ihm nach, der Ministerialrat wittert hier Demagogie!
Überlebter Standpunkt! Fürst Bismarck hat selbst das Reichsbanner entfaltet
und sieghaft aufgepflanzt, das man den Burschenschaftern einst entwunden hatte!

Kinder! unterbrach ihn Genserich, lassen wir das! Es streift in der That
ein Gebiet, das wir aus unsrer harmlosen Vereinigung ausgeschlossen wissen
wollten.

Er war aufgestanden, Ratz flüsterte ihm noch etwas zu und wandte sich
dann auch an Mirbl.

Das versteht sich von selbst, sagte der Oberst, es hätte längst aufgeklärt
Werden müssen. (Fortsetzung folgt.)




Notizen.

Peter der Große auf Reisen. Der nachfolgende, 1717 französisch ge¬
schriebene Brief, ein bisher nicht an die Öffentlichkeit gelangter authentischer Bericht
eines ungenannten Verfassers, bietet eine Schilderung des berühmten Zaren, wie
sie drastischer und ungeschminkter wohl selten gefunden werden wird. Er bezieht
sich auf den Aufenthalt Peters des Großen, den er 1717 auf seiner Reise in das
Bad Pyrmont auf dem Schlosse zu Harburg nahm. Peter war Anfang April
vom Haag nach Paris gereist, blieb dort vier Monate, ging dann nach Amsterdam
zurück, wird im August in Pyrmont gewesen sein und traf am 21. Oktober 1717
wieder in Se. Petersburg ein. Der Brief lautet:

Mein Herr! Der Zur hat nach seiner löblichen Gewohnheit einen ganzen Tag
unnützerweise auf sich warten lassen. Er kam endlich letzte Mittwoch gegen sieben
Uhr abends in einer kleinen, schmucken, achtrudrigen Schaluppe an, die Ruderer in
Binsen und mit kleinen roten Mützen auf dem Kopfe. Der Zar saß allein am Steuer¬
ruder, die Herren seines Gefolges zu seiner Rechten und Linken, alle unter einem
Zeltdach, ausgenommen die Ruderer. Se. Majestät wurde bei ihrer Ankunft durch
eine dreimalige Abfeuerung von neununddreißig Kanonen begrüßt. Sie war sehr
nachlässig gekleidet: ein scheußlicher blauer Rock, ein Gürtel von schwarzem Leder,
ehemals mit feinen Goldfäden gestickt, in Violet spielende Matrosenhosen, zimmt-
farbenc Strümpfe und ein alter Hut ohne Garnirung, sodaß ihm die Knopfseite auf
die Nase herabhing; vielleicht hatte er ihn absichtlich so machen lassen, um gegen die


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[0271] Notizen. Bravo! frohlockte der Oberst dazwischen. Meine Wiederaufnahme in das Heer — ich bin als Vicefeldwebel abge¬ gangen — war „unmöglich" gemacht, fügte der „blasse Heinrich" bei. Du bist also ebenfalls ein Märtyrer, hob Mirbl mit Nachdruck an, nämlich ein burschenschaftlicher. Bei diesen Worten nahm Kautschuk rasch seinen Hut und ging mit den Worten ab: Die Bedingung unsers Zusammenbleibens war, daß politische Er¬ örterungen fernbleiben sollten; diese Bedingung ist verletzt! Haha! lachte Mirbl ihm nach, der Ministerialrat wittert hier Demagogie! Überlebter Standpunkt! Fürst Bismarck hat selbst das Reichsbanner entfaltet und sieghaft aufgepflanzt, das man den Burschenschaftern einst entwunden hatte! Kinder! unterbrach ihn Genserich, lassen wir das! Es streift in der That ein Gebiet, das wir aus unsrer harmlosen Vereinigung ausgeschlossen wissen wollten. Er war aufgestanden, Ratz flüsterte ihm noch etwas zu und wandte sich dann auch an Mirbl. Das versteht sich von selbst, sagte der Oberst, es hätte längst aufgeklärt Werden müssen. (Fortsetzung folgt.) Notizen. Peter der Große auf Reisen. Der nachfolgende, 1717 französisch ge¬ schriebene Brief, ein bisher nicht an die Öffentlichkeit gelangter authentischer Bericht eines ungenannten Verfassers, bietet eine Schilderung des berühmten Zaren, wie sie drastischer und ungeschminkter wohl selten gefunden werden wird. Er bezieht sich auf den Aufenthalt Peters des Großen, den er 1717 auf seiner Reise in das Bad Pyrmont auf dem Schlosse zu Harburg nahm. Peter war Anfang April vom Haag nach Paris gereist, blieb dort vier Monate, ging dann nach Amsterdam zurück, wird im August in Pyrmont gewesen sein und traf am 21. Oktober 1717 wieder in Se. Petersburg ein. Der Brief lautet: Mein Herr! Der Zur hat nach seiner löblichen Gewohnheit einen ganzen Tag unnützerweise auf sich warten lassen. Er kam endlich letzte Mittwoch gegen sieben Uhr abends in einer kleinen, schmucken, achtrudrigen Schaluppe an, die Ruderer in Binsen und mit kleinen roten Mützen auf dem Kopfe. Der Zar saß allein am Steuer¬ ruder, die Herren seines Gefolges zu seiner Rechten und Linken, alle unter einem Zeltdach, ausgenommen die Ruderer. Se. Majestät wurde bei ihrer Ankunft durch eine dreimalige Abfeuerung von neununddreißig Kanonen begrüßt. Sie war sehr nachlässig gekleidet: ein scheußlicher blauer Rock, ein Gürtel von schwarzem Leder, ehemals mit feinen Goldfäden gestickt, in Violet spielende Matrosenhosen, zimmt- farbenc Strümpfe und ein alter Hut ohne Garnirung, sodaß ihm die Knopfseite auf die Nase herabhing; vielleicht hatte er ihn absichtlich so machen lassen, um gegen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/271>, abgerufen am 12.11.2024.