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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Notizen.

Und so schloß sie denn ihren Brief an Iran von Mockritz nach ausführ-
licher Schilderung der leidigen Affäre mit den Worten: Mama, ich liebe ihn
jetzt wirklich, ich liebe ihn, glaube ich, von Herzen.

Sie hatte, um in der Villa täglich nachfragen zu lassen, immer Lore schicken
wolle", aber so ernst nahm sie plötzlich ihr Verhältnis zu Berthold, daß sie,
die nie früher von eifersüchtigen Regungen berührt worden war, doch nachträg-
lich Gegenordre gab und statt Lore den Gärtner hinüberschicktc. Jeden Tag
brachte er dem Kranken ein Bouquet "eigenhändig von Fräulein von Mockritz ge¬
pflückter Rosen" und kam dafür mit Nachrichten zurück, welche zwar täglich
beruhigender lauteten, ihr jedoch nur zu geringer Befriedigung gereichten.

Da Papa Hartig aber bis zum Eintreffen der Frau von Mockritz nicht
erlauben wollte, daß Frau Anna hinüberging, und da andrerseits Hermione die
Hartigsche Villa nicht besuchen durfte -- Frau von Mockritz hatte "aus Eti¬
ketterücksichten" es streng verboten --, so beschwor Hermione endlich ihre
Mutter, heimzukommen, wobei ihr Brief wieder leidenschaftlich genug mit dem
Vorwürfe schloß: Du weißt wohl gar nicht mehr, Mama, wie sehr einem seh¬
nenden Mädchenherzen die Tage zu Jahren werden!

(Fortsetzung folgt.)




Notizen.
Ein Italiener über Bismarck.

In Mailand hat im Dezember v. I.
Gaetano Negri ein Buch über Bismarck veröffentlicht, in welchem er das historische
Bild von Europa während der letzten zwanzig Jahre entwirft, und in welchem
die mächtige Gestalt des deutschen Kanzlers selbstverständlich eine hervorragende
Stelle einnimmt. Bismarck wird dort wie folgt zu charakterisiren versucht:

"Dieser Mann ist eine der interessanteste" und überraschendsten Erscheinungen,
die je die Weltbühne betreten haben. Denken wir uns einen Ostgothen, auf den
die ausgesuchtesten Verfeinerungen der modernen Gesittung gepfropft sind. Vou
der einen Seite betrachtet, kommt er uns wie ein Geist, der nur den Kultus der
Kraft kennt, gewaltthätig, rauh, unbarmherzig vor, von anderen Gesichtspunkte ge¬
sehen, offenbart er sich uns als begabt mit einer außerordentlichen Feinheit des
Geistes und zugänglich den Einflüssen der reinsten und erhabensten Empfindungen.
Die Gegensätze, die sich in ihm begegnen, sind sehr stark und auffällig, weil der
Reichtum seines Geistes wundervoll groß und seine Befähigung, den verschiedensten
Eingebungen zu entsprechen, einzig ist. Wer ihn als Staatsmann betrachtet und
sein Verfahren beurteilt, kann vielleicht glauben, er sei ein Mann aus einen, Stücke,
sein Denken gehe zwar in die Tiefe, aber nicht sehr in die Breite, sein Geist sei
ein Instrument, das wenig Saite" habe und wenig Töne gebe. Ein derartiges


Notizen.

Und so schloß sie denn ihren Brief an Iran von Mockritz nach ausführ-
licher Schilderung der leidigen Affäre mit den Worten: Mama, ich liebe ihn
jetzt wirklich, ich liebe ihn, glaube ich, von Herzen.

Sie hatte, um in der Villa täglich nachfragen zu lassen, immer Lore schicken
wolle», aber so ernst nahm sie plötzlich ihr Verhältnis zu Berthold, daß sie,
die nie früher von eifersüchtigen Regungen berührt worden war, doch nachträg-
lich Gegenordre gab und statt Lore den Gärtner hinüberschicktc. Jeden Tag
brachte er dem Kranken ein Bouquet „eigenhändig von Fräulein von Mockritz ge¬
pflückter Rosen" und kam dafür mit Nachrichten zurück, welche zwar täglich
beruhigender lauteten, ihr jedoch nur zu geringer Befriedigung gereichten.

Da Papa Hartig aber bis zum Eintreffen der Frau von Mockritz nicht
erlauben wollte, daß Frau Anna hinüberging, und da andrerseits Hermione die
Hartigsche Villa nicht besuchen durfte — Frau von Mockritz hatte „aus Eti¬
ketterücksichten" es streng verboten —, so beschwor Hermione endlich ihre
Mutter, heimzukommen, wobei ihr Brief wieder leidenschaftlich genug mit dem
Vorwürfe schloß: Du weißt wohl gar nicht mehr, Mama, wie sehr einem seh¬
nenden Mädchenherzen die Tage zu Jahren werden!

(Fortsetzung folgt.)




Notizen.
Ein Italiener über Bismarck.

In Mailand hat im Dezember v. I.
Gaetano Negri ein Buch über Bismarck veröffentlicht, in welchem er das historische
Bild von Europa während der letzten zwanzig Jahre entwirft, und in welchem
die mächtige Gestalt des deutschen Kanzlers selbstverständlich eine hervorragende
Stelle einnimmt. Bismarck wird dort wie folgt zu charakterisiren versucht:

„Dieser Mann ist eine der interessanteste» und überraschendsten Erscheinungen,
die je die Weltbühne betreten haben. Denken wir uns einen Ostgothen, auf den
die ausgesuchtesten Verfeinerungen der modernen Gesittung gepfropft sind. Vou
der einen Seite betrachtet, kommt er uns wie ein Geist, der nur den Kultus der
Kraft kennt, gewaltthätig, rauh, unbarmherzig vor, von anderen Gesichtspunkte ge¬
sehen, offenbart er sich uns als begabt mit einer außerordentlichen Feinheit des
Geistes und zugänglich den Einflüssen der reinsten und erhabensten Empfindungen.
Die Gegensätze, die sich in ihm begegnen, sind sehr stark und auffällig, weil der
Reichtum seines Geistes wundervoll groß und seine Befähigung, den verschiedensten
Eingebungen zu entsprechen, einzig ist. Wer ihn als Staatsmann betrachtet und
sein Verfahren beurteilt, kann vielleicht glauben, er sei ein Mann aus einen, Stücke,
sein Denken gehe zwar in die Tiefe, aber nicht sehr in die Breite, sein Geist sei
ein Instrument, das wenig Saite» habe und wenig Töne gebe. Ein derartiges


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/324>, abgerufen am 27.06.2024.