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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Notiz.

Nun? riefen beide Alten aus einem Tone, da er nicht gleich das rechte
Wort fand.

Die Sache ist -- ich habe sie nämlich -- geküßt.

Hermine?

Nein, die andre.

Die Kammerjungfer?

Wenn sie das ist, also gut: ich habe die Kammerjungfer geküßt.

Frau Anna stieg das Blut in die rundlichen Backen.

Kaspar Benedikt lachte. Das ist alles? sagte er; ich dachte Wunder, du
hättest in ihr eine Spitzbübin erkannt, von der du drüben in Amerika beschwin¬
delt worden wärest. Es kommt auch schon aus Amerika Gesindel nach Europa,
nicht bloß umgekehrt.

(Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Zur Charakteristik unsrer Preßzustände. Der Artikel "Ein Wort
<in die Presse" an der Spitze der ersten diesjährigen Grenzbotennnmmer ist allen
ernsthaften, ihre Aufgabe gewissenhaft erfüllenden Journalisten aus der Seele ge¬
schrieben. Nichts erniedrigt den Journalisten mehr als das Bewußtsein, im Dienste
eines Geschäftsmannes zu stehen, der kein andres Interesse kennt, als Geld zu¬
sammenzuschlagen, und dem jedes Mittel dazu recht ist. Es giebt in Deutsch¬
land mir wenige große Zeitungen, welche daran festhalten, ihren Lesern "das
Beste, Durchdachteste, am meisten von patriotischem Geiste Erfüllte" zu bieten. Sehr
viele Zeitungsverleger haben, durch den scheinbaren Erfolg von Blättern wie
..Börsenkourier" und "Berliner Tageblatt" geblendet, sich der atemloser Jagd
"nachdem Neuesten, Überraschendsten,Unglaublichsten und Geheimsten" angeschlossen.
Die konservativen Zeitungen -- zu ihrem Ruhme sei es gesagt -- haben sich von
dieser undeutschen Art bis jetzt möglichst freizuhalten gewußt, während von den
liberalen Blättern nur ein geringer Bruchteil es verschmäht, der Mosseschen Spur
Zu folgen.

Man mustere die Berliner Zeitungen. Mit Ausnahme der konservativen haben
fast alle ihre Spalten geöffnet den pikanten Lokalnachrichten der politischen Sen-
sationsmacherei, den falschen Originaltelegrammen. Man vergleiche z. B. die
"Nationalzeitung" unter der heutigen Redaktion mit der, welche Friedrich Zabel
redigirte. Damals war alles Gemachte, künstlich Aufgebauschte, die vulgäre Phrase
grundsätzlich ausgeschlossen, heute überwuchern in der "Nationalzcitung" die Ber¬
liner Nachrichten, die pikant sein sollenden Lokalnotizen, die Privatdepeschen mit
richtigen Inhalt. Unter Zabel erließ die "Nationalzeitung" kaum eine Abvnnc-
mentscinladung, heute wird sie "in einem Stil angepriesen, als ob es sich um
einen Ausverkauf handelte." In der Geschichte der Berliner Presse wird die


Notiz.

Nun? riefen beide Alten aus einem Tone, da er nicht gleich das rechte
Wort fand.

Die Sache ist — ich habe sie nämlich — geküßt.

Hermine?

Nein, die andre.

Die Kammerjungfer?

Wenn sie das ist, also gut: ich habe die Kammerjungfer geküßt.

Frau Anna stieg das Blut in die rundlichen Backen.

Kaspar Benedikt lachte. Das ist alles? sagte er; ich dachte Wunder, du
hättest in ihr eine Spitzbübin erkannt, von der du drüben in Amerika beschwin¬
delt worden wärest. Es kommt auch schon aus Amerika Gesindel nach Europa,
nicht bloß umgekehrt.

(Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Zur Charakteristik unsrer Preßzustände. Der Artikel „Ein Wort
<in die Presse" an der Spitze der ersten diesjährigen Grenzbotennnmmer ist allen
ernsthaften, ihre Aufgabe gewissenhaft erfüllenden Journalisten aus der Seele ge¬
schrieben. Nichts erniedrigt den Journalisten mehr als das Bewußtsein, im Dienste
eines Geschäftsmannes zu stehen, der kein andres Interesse kennt, als Geld zu¬
sammenzuschlagen, und dem jedes Mittel dazu recht ist. Es giebt in Deutsch¬
land mir wenige große Zeitungen, welche daran festhalten, ihren Lesern „das
Beste, Durchdachteste, am meisten von patriotischem Geiste Erfüllte" zu bieten. Sehr
viele Zeitungsverleger haben, durch den scheinbaren Erfolg von Blättern wie
..Börsenkourier" und „Berliner Tageblatt" geblendet, sich der atemloser Jagd
„nachdem Neuesten, Überraschendsten,Unglaublichsten und Geheimsten" angeschlossen.
Die konservativen Zeitungen — zu ihrem Ruhme sei es gesagt — haben sich von
dieser undeutschen Art bis jetzt möglichst freizuhalten gewußt, während von den
liberalen Blättern nur ein geringer Bruchteil es verschmäht, der Mosseschen Spur
Zu folgen.

Man mustere die Berliner Zeitungen. Mit Ausnahme der konservativen haben
fast alle ihre Spalten geöffnet den pikanten Lokalnachrichten der politischen Sen-
sationsmacherei, den falschen Originaltelegrammen. Man vergleiche z. B. die
„Nationalzeitung" unter der heutigen Redaktion mit der, welche Friedrich Zabel
redigirte. Damals war alles Gemachte, künstlich Aufgebauschte, die vulgäre Phrase
grundsätzlich ausgeschlossen, heute überwuchern in der „Nationalzcitung" die Ber¬
liner Nachrichten, die pikant sein sollenden Lokalnotizen, die Privatdepeschen mit
richtigen Inhalt. Unter Zabel erließ die „Nationalzeitung" kaum eine Abvnnc-
mentscinladung, heute wird sie „in einem Stil angepriesen, als ob es sich um
einen Ausverkauf handelte." In der Geschichte der Berliner Presse wird die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/223>, abgerufen am 27.06.2024.