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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Zustände in der Campagna.

er sich aus den italienischen Zeitungen ein Bild von den Zu¬
ständen in der Campagna machen wollte, würde zu völlig falschen
Anschauungen gelangen. Die römische Publizistik berichtet lediglich
über Räubereien, welche zur Kenntnis der Polizei kommen, ver¬
schweigt aber -- ob mit oder ohne Absicht, ist gleichgiltig --, daß diese
sogenannten Zi-ass^ioni, wenn auch keineswegs gering an Zahl, dennoch nur einen
geringen Teil der vorkommenden Eigentumsverbrechen ausmachen. Der wohl¬
habende Bürger irgendeiner kleinen Stadt der Provinz, welcher ein Gewehr über
eine Mauer hervorragen sieht und dem Befehle des oder (in den meisten Fällen)
der feigen Schurken, die dahinter stecken, seine Baarschaft und seine Uhr auf
den Weg niederzulegen, nachkommen muß, wird sich Wohl hüten, der Polizei
Anzeige zu machen, selbst wenn er weiß oder zu wissen glaubt, wer hinter der
Mauer lag. Ob die Polizei ihm hilft, ist zweifelhaft, ob die Geschwornen den
Gauner verurteilen, den der Advokat regelmäßig mit Irrsinn oder Unzurech¬
nungsfähigkeit verteidigt, ist noch zweifelhafter; daß ihm aber die Anzeige einen
Messerstich oder eine wohlgezielte Kugel einträgt, ist so gut wie sicher.

Die Mörder des Advokaten Bastle, der im August bei Monte Rotondo
getötet wurde, fuhren den Tiber hinnus, landeten gegenüber von Foglici, und ver¬
steckten sich in der waldigen Gegend von Civita Castellana und Gallese. Daß
die Gauner sich in der Gegend herumtrieben, war bekannt, aber umsonst be¬
mühte sich der Graf Ginnasi, dem Foglia gehört, um polizeiliche Hilfe. Der
Prätor (Chef des Sicherheitsdienstes) glaubte nicht an Räuber, der Sindaeo
von Maglicmo war zu seiner Erholung auf dem Lande, und ein Landmann, der
kurz vorher angefallen worden war und die Sache unvorsichtigermeise denun-
zirt hatte, wurde wegen "Mystifikation der Behörde" im Gefängnis gehalten.

Am 24. September ritt der Sindaeo von Cieigliano, Basiliv Pascueei, ans
Gallese, wo er seine verheiratete Tochter besucht hatte, nach Hanse. Die Länge
des Weges beträgt zehn Kilometer. Als er nur noch etwa drei Kilometer von
Cieigliano, dessen Glocken er eben zum Avemaria läuten hörte, entfernt war,
fielen in dem dichten Walde, durch welchen der Reitweg geht, zwei Flinten¬
schüsse, die ihn in den Rücken trafen. Zwei Kerle stürzten aus dem Dickicht
auf ihn zu, rissen ihn vom Pferde, nahmen ihm die Brieftasche mit tausend
Franks Inhalt, sowie sein Pferd und ließen ihn in seinem Blute liegen. Die


Die Zustände in der Campagna.

er sich aus den italienischen Zeitungen ein Bild von den Zu¬
ständen in der Campagna machen wollte, würde zu völlig falschen
Anschauungen gelangen. Die römische Publizistik berichtet lediglich
über Räubereien, welche zur Kenntnis der Polizei kommen, ver¬
schweigt aber — ob mit oder ohne Absicht, ist gleichgiltig —, daß diese
sogenannten Zi-ass^ioni, wenn auch keineswegs gering an Zahl, dennoch nur einen
geringen Teil der vorkommenden Eigentumsverbrechen ausmachen. Der wohl¬
habende Bürger irgendeiner kleinen Stadt der Provinz, welcher ein Gewehr über
eine Mauer hervorragen sieht und dem Befehle des oder (in den meisten Fällen)
der feigen Schurken, die dahinter stecken, seine Baarschaft und seine Uhr auf
den Weg niederzulegen, nachkommen muß, wird sich Wohl hüten, der Polizei
Anzeige zu machen, selbst wenn er weiß oder zu wissen glaubt, wer hinter der
Mauer lag. Ob die Polizei ihm hilft, ist zweifelhaft, ob die Geschwornen den
Gauner verurteilen, den der Advokat regelmäßig mit Irrsinn oder Unzurech¬
nungsfähigkeit verteidigt, ist noch zweifelhafter; daß ihm aber die Anzeige einen
Messerstich oder eine wohlgezielte Kugel einträgt, ist so gut wie sicher.

Die Mörder des Advokaten Bastle, der im August bei Monte Rotondo
getötet wurde, fuhren den Tiber hinnus, landeten gegenüber von Foglici, und ver¬
steckten sich in der waldigen Gegend von Civita Castellana und Gallese. Daß
die Gauner sich in der Gegend herumtrieben, war bekannt, aber umsonst be¬
mühte sich der Graf Ginnasi, dem Foglia gehört, um polizeiliche Hilfe. Der
Prätor (Chef des Sicherheitsdienstes) glaubte nicht an Räuber, der Sindaeo
von Maglicmo war zu seiner Erholung auf dem Lande, und ein Landmann, der
kurz vorher angefallen worden war und die Sache unvorsichtigermeise denun-
zirt hatte, wurde wegen „Mystifikation der Behörde" im Gefängnis gehalten.

Am 24. September ritt der Sindaeo von Cieigliano, Basiliv Pascueei, ans
Gallese, wo er seine verheiratete Tochter besucht hatte, nach Hanse. Die Länge
des Weges beträgt zehn Kilometer. Als er nur noch etwa drei Kilometer von
Cieigliano, dessen Glocken er eben zum Avemaria läuten hörte, entfernt war,
fielen in dem dichten Walde, durch welchen der Reitweg geht, zwei Flinten¬
schüsse, die ihn in den Rücken trafen. Zwei Kerle stürzten aus dem Dickicht
auf ihn zu, rissen ihn vom Pferde, nahmen ihm die Brieftasche mit tausend
Franks Inhalt, sowie sein Pferd und ließen ihn in seinem Blute liegen. Die


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[0626] Die Zustände in der Campagna. er sich aus den italienischen Zeitungen ein Bild von den Zu¬ ständen in der Campagna machen wollte, würde zu völlig falschen Anschauungen gelangen. Die römische Publizistik berichtet lediglich über Räubereien, welche zur Kenntnis der Polizei kommen, ver¬ schweigt aber — ob mit oder ohne Absicht, ist gleichgiltig —, daß diese sogenannten Zi-ass^ioni, wenn auch keineswegs gering an Zahl, dennoch nur einen geringen Teil der vorkommenden Eigentumsverbrechen ausmachen. Der wohl¬ habende Bürger irgendeiner kleinen Stadt der Provinz, welcher ein Gewehr über eine Mauer hervorragen sieht und dem Befehle des oder (in den meisten Fällen) der feigen Schurken, die dahinter stecken, seine Baarschaft und seine Uhr auf den Weg niederzulegen, nachkommen muß, wird sich Wohl hüten, der Polizei Anzeige zu machen, selbst wenn er weiß oder zu wissen glaubt, wer hinter der Mauer lag. Ob die Polizei ihm hilft, ist zweifelhaft, ob die Geschwornen den Gauner verurteilen, den der Advokat regelmäßig mit Irrsinn oder Unzurech¬ nungsfähigkeit verteidigt, ist noch zweifelhafter; daß ihm aber die Anzeige einen Messerstich oder eine wohlgezielte Kugel einträgt, ist so gut wie sicher. Die Mörder des Advokaten Bastle, der im August bei Monte Rotondo getötet wurde, fuhren den Tiber hinnus, landeten gegenüber von Foglici, und ver¬ steckten sich in der waldigen Gegend von Civita Castellana und Gallese. Daß die Gauner sich in der Gegend herumtrieben, war bekannt, aber umsonst be¬ mühte sich der Graf Ginnasi, dem Foglia gehört, um polizeiliche Hilfe. Der Prätor (Chef des Sicherheitsdienstes) glaubte nicht an Räuber, der Sindaeo von Maglicmo war zu seiner Erholung auf dem Lande, und ein Landmann, der kurz vorher angefallen worden war und die Sache unvorsichtigermeise denun- zirt hatte, wurde wegen „Mystifikation der Behörde" im Gefängnis gehalten. Am 24. September ritt der Sindaeo von Cieigliano, Basiliv Pascueei, ans Gallese, wo er seine verheiratete Tochter besucht hatte, nach Hanse. Die Länge des Weges beträgt zehn Kilometer. Als er nur noch etwa drei Kilometer von Cieigliano, dessen Glocken er eben zum Avemaria läuten hörte, entfernt war, fielen in dem dichten Walde, durch welchen der Reitweg geht, zwei Flinten¬ schüsse, die ihn in den Rücken trafen. Zwei Kerle stürzten aus dem Dickicht auf ihn zu, rissen ihn vom Pferde, nahmen ihm die Brieftasche mit tausend Franks Inhalt, sowie sein Pferd und ließen ihn in seinem Blute liegen. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/626>, abgerufen am 27.12.2024.