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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Ungehaltene Reden eines NichtgewLhlten,

sucht das Gefühl für poetischen Gehalt, poetische Stimmung und den Reiz der
Ausführung verdrängt haben, ist wahr, aber für diesen Erzähler kein Argument,
Er hat uns nicht gewöhnt, ihm in der Reihe derer zu begegnen, welche den
Romandichter aus dem Halbbruder des Dichters in seinen verkommensten Vetter
verwandeln. Weil dem aber so ist, müssen wir aufs entschiedenste den Lob¬
preisungen widersprechen, mit denen aus tendenziösen Gründen ein durch und
durch unfertiges und in sich widerspruchsvolles Buch angekündigt wird. Wir
sind uns bewußt, dem verdienten Verfasser mit keinerlei unfreundlichem Vor¬
urteil gegenüberzustehen, aber des alten Horaz goldenes Wort:


Rso t-Mön, IwL tridusus äsäsriw HU0<ZUS vstsrs,, NÄM sie
M I^Ädsri rmwos ut pulolir^ xoöiQ"t". ruirsr

muß auch in diesem Falle in Ehren bleiben.




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
2.

o sehr ich auch von der Notwendigkeit des Sparens überzeugt
bin, so glaube ich doch die Erhöhung einer Position in An¬
regung bringen zu dürfen, nämlich der Dotation der Reichstags¬
bibliothek. Es ist ein leidiger Zustand, wenn ein Abgeordneter
zum Studium einer Frage, über welche er am nächsten Tage
eine Rede halten will, nichts zu seiner Verfügung findet, als etwa die erste
Auflage des Rotteckschen Staatslexikous, Zeitungen aus den Jahre 1848,
Publikationen des Cobden-Klubs und alte Jahrgänge der "Germania," weil
alles andre schon zu dem gleichen Zwecke mit Beschlag belegt worden ist.
Und daß solche "Zwangslagen" vorkommen, haben die letzten Debatten wohl
zur Genüge dargethan. Mir ist allerdings bekannt, daß die Hauptsache ist,
daß, nicht was und wie geredet wird. Allein die Mühe wäre ja nicht größer,
wenn Argumente herangezogen würden, welche nicht schon hundertmal widerlegt
sind, und Theorien aufgestellt, über die nicht schon unsre Väter gelächelt haben;
deshalb brauchten die neuen noch nicht besser zu sein, sie brächten wenigstens
einige Abwechslung. Welche ehrwürdigen Quellen muß z. B. der Abgeordnete
Bebel für seine große Budgetrede benutzt haben! Da wurde die schöne
Bürgerwehr- und Freischarenzeit mit ihrer gemütlichen Disziplin wieder lebendig,
die Zeit, in der es noch ein Vergnügen war, gelegentlich den Schießprügel auf


Ungehaltene Reden eines NichtgewLhlten,

sucht das Gefühl für poetischen Gehalt, poetische Stimmung und den Reiz der
Ausführung verdrängt haben, ist wahr, aber für diesen Erzähler kein Argument,
Er hat uns nicht gewöhnt, ihm in der Reihe derer zu begegnen, welche den
Romandichter aus dem Halbbruder des Dichters in seinen verkommensten Vetter
verwandeln. Weil dem aber so ist, müssen wir aufs entschiedenste den Lob¬
preisungen widersprechen, mit denen aus tendenziösen Gründen ein durch und
durch unfertiges und in sich widerspruchsvolles Buch angekündigt wird. Wir
sind uns bewußt, dem verdienten Verfasser mit keinerlei unfreundlichem Vor¬
urteil gegenüberzustehen, aber des alten Horaz goldenes Wort:


Rso t-Mön, IwL tridusus äsäsriw HU0<ZUS vstsrs,, NÄM sie
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muß auch in diesem Falle in Ehren bleiben.




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
2.

o sehr ich auch von der Notwendigkeit des Sparens überzeugt
bin, so glaube ich doch die Erhöhung einer Position in An¬
regung bringen zu dürfen, nämlich der Dotation der Reichstags¬
bibliothek. Es ist ein leidiger Zustand, wenn ein Abgeordneter
zum Studium einer Frage, über welche er am nächsten Tage
eine Rede halten will, nichts zu seiner Verfügung findet, als etwa die erste
Auflage des Rotteckschen Staatslexikous, Zeitungen aus den Jahre 1848,
Publikationen des Cobden-Klubs und alte Jahrgänge der „Germania," weil
alles andre schon zu dem gleichen Zwecke mit Beschlag belegt worden ist.
Und daß solche „Zwangslagen" vorkommen, haben die letzten Debatten wohl
zur Genüge dargethan. Mir ist allerdings bekannt, daß die Hauptsache ist,
daß, nicht was und wie geredet wird. Allein die Mühe wäre ja nicht größer,
wenn Argumente herangezogen würden, welche nicht schon hundertmal widerlegt
sind, und Theorien aufgestellt, über die nicht schon unsre Väter gelächelt haben;
deshalb brauchten die neuen noch nicht besser zu sein, sie brächten wenigstens
einige Abwechslung. Welche ehrwürdigen Quellen muß z. B. der Abgeordnete
Bebel für seine große Budgetrede benutzt haben! Da wurde die schöne
Bürgerwehr- und Freischarenzeit mit ihrer gemütlichen Disziplin wieder lebendig,
die Zeit, in der es noch ein Vergnügen war, gelegentlich den Schießprügel auf


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[0595] Ungehaltene Reden eines NichtgewLhlten, sucht das Gefühl für poetischen Gehalt, poetische Stimmung und den Reiz der Ausführung verdrängt haben, ist wahr, aber für diesen Erzähler kein Argument, Er hat uns nicht gewöhnt, ihm in der Reihe derer zu begegnen, welche den Romandichter aus dem Halbbruder des Dichters in seinen verkommensten Vetter verwandeln. Weil dem aber so ist, müssen wir aufs entschiedenste den Lob¬ preisungen widersprechen, mit denen aus tendenziösen Gründen ein durch und durch unfertiges und in sich widerspruchsvolles Buch angekündigt wird. Wir sind uns bewußt, dem verdienten Verfasser mit keinerlei unfreundlichem Vor¬ urteil gegenüberzustehen, aber des alten Horaz goldenes Wort: Rso t-Mön, IwL tridusus äsäsriw HU0<ZUS vstsrs,, NÄM sie M I^Ädsri rmwos ut pulolir^ xoöiQ»t». ruirsr muß auch in diesem Falle in Ehren bleiben. Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten. 2. o sehr ich auch von der Notwendigkeit des Sparens überzeugt bin, so glaube ich doch die Erhöhung einer Position in An¬ regung bringen zu dürfen, nämlich der Dotation der Reichstags¬ bibliothek. Es ist ein leidiger Zustand, wenn ein Abgeordneter zum Studium einer Frage, über welche er am nächsten Tage eine Rede halten will, nichts zu seiner Verfügung findet, als etwa die erste Auflage des Rotteckschen Staatslexikous, Zeitungen aus den Jahre 1848, Publikationen des Cobden-Klubs und alte Jahrgänge der „Germania," weil alles andre schon zu dem gleichen Zwecke mit Beschlag belegt worden ist. Und daß solche „Zwangslagen" vorkommen, haben die letzten Debatten wohl zur Genüge dargethan. Mir ist allerdings bekannt, daß die Hauptsache ist, daß, nicht was und wie geredet wird. Allein die Mühe wäre ja nicht größer, wenn Argumente herangezogen würden, welche nicht schon hundertmal widerlegt sind, und Theorien aufgestellt, über die nicht schon unsre Väter gelächelt haben; deshalb brauchten die neuen noch nicht besser zu sein, sie brächten wenigstens einige Abwechslung. Welche ehrwürdigen Quellen muß z. B. der Abgeordnete Bebel für seine große Budgetrede benutzt haben! Da wurde die schöne Bürgerwehr- und Freischarenzeit mit ihrer gemütlichen Disziplin wieder lebendig, die Zeit, in der es noch ein Vergnügen war, gelegentlich den Schießprügel auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/595>, abgerufen am 27.12.2024.