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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Schutzzöllner in England.

le es Thorheit ist, alle Völker mit Einführung des konstitutionellen
Systems, durch Verwirklichung liberaler Grundsätze, durch republi¬
kanische Einrichtungen oder sonst auf eine ein- für allemal fest¬
stehende Weise glücklich machen zu wollen, so ist es auch sinnlos
zu glauben, daß es auf dem Gebiete der Tariffragen eine absolute,
für alle Nationen und Zeiten zutreffende Wahrheit gebe, und darnach zu Ver¬
fahren. Jedes Volk muß hier wissen oder durch Erfahrung an sich lernen, was
ihm frommt oder nicht. Ein Beispiel ist England. Es ist durch Schutzzölle
im Lause der Jahre so stark geworden, daß es den Freihandel einführen konnte.
Aber seit geraumer Zeit schon begegnen wir hier mehr oder minder lauten und
entschiedenen Bestrebungen nach erneutem Schutze der nationalen Arbeit gegen
fremde Konkurrenz. Bei Besprechung der Zusammenkunft der Zuckerrafsineure
in London wurde darauf hingewiesen, daß England bis 1861 nur fünf, in den
letzten Jahren dagegen fünfzig Prozent seines Bedarfs an raffinirtem Zucker
eingeführt habe, und dazu bemerkt: "Mit den 10 Millionen Pfund Sterling,
die dadurch jährlich aus dem Lande gehen, ernähren wir kontinentale Arbeiter
und unterstützen wir das Schutzzollsystem im Auslande auf Kosten unsrer Ar¬
beiter und Fabrikanten." Zu derselben Zeit berechnete der Arbeiterführer Potter
in der liinEs, daß der Kontinent sich durch seine Zuckerprämien Arbeit für
220 000 Mann gesichert habe, und fügte hinzu: "Wir eröffneten als Frei¬
händler unsre Märkte der ganzen Welt unter gleichen Bedingungen, nicht ahnend,
daß diese zu höchst ungleichen werden würden durch Schutzprämien der fremden
Staaten, die in ihren Wirkungen noch verderblicher sind als selbst Differenzial-
zölle; denn umsoviel diese Prämien die Nachfrage nach fremder Arbeit erhöhten,


Grenzboten IV. 1384. 44


Schutzzöllner in England.

le es Thorheit ist, alle Völker mit Einführung des konstitutionellen
Systems, durch Verwirklichung liberaler Grundsätze, durch republi¬
kanische Einrichtungen oder sonst auf eine ein- für allemal fest¬
stehende Weise glücklich machen zu wollen, so ist es auch sinnlos
zu glauben, daß es auf dem Gebiete der Tariffragen eine absolute,
für alle Nationen und Zeiten zutreffende Wahrheit gebe, und darnach zu Ver¬
fahren. Jedes Volk muß hier wissen oder durch Erfahrung an sich lernen, was
ihm frommt oder nicht. Ein Beispiel ist England. Es ist durch Schutzzölle
im Lause der Jahre so stark geworden, daß es den Freihandel einführen konnte.
Aber seit geraumer Zeit schon begegnen wir hier mehr oder minder lauten und
entschiedenen Bestrebungen nach erneutem Schutze der nationalen Arbeit gegen
fremde Konkurrenz. Bei Besprechung der Zusammenkunft der Zuckerrafsineure
in London wurde darauf hingewiesen, daß England bis 1861 nur fünf, in den
letzten Jahren dagegen fünfzig Prozent seines Bedarfs an raffinirtem Zucker
eingeführt habe, und dazu bemerkt: „Mit den 10 Millionen Pfund Sterling,
die dadurch jährlich aus dem Lande gehen, ernähren wir kontinentale Arbeiter
und unterstützen wir das Schutzzollsystem im Auslande auf Kosten unsrer Ar¬
beiter und Fabrikanten." Zu derselben Zeit berechnete der Arbeiterführer Potter
in der liinEs, daß der Kontinent sich durch seine Zuckerprämien Arbeit für
220 000 Mann gesichert habe, und fügte hinzu: „Wir eröffneten als Frei¬
händler unsre Märkte der ganzen Welt unter gleichen Bedingungen, nicht ahnend,
daß diese zu höchst ungleichen werden würden durch Schutzprämien der fremden
Staaten, die in ihren Wirkungen noch verderblicher sind als selbst Differenzial-
zölle; denn umsoviel diese Prämien die Nachfrage nach fremder Arbeit erhöhten,


Grenzboten IV. 1384. 44
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[0353] [Abbildung] Schutzzöllner in England. le es Thorheit ist, alle Völker mit Einführung des konstitutionellen Systems, durch Verwirklichung liberaler Grundsätze, durch republi¬ kanische Einrichtungen oder sonst auf eine ein- für allemal fest¬ stehende Weise glücklich machen zu wollen, so ist es auch sinnlos zu glauben, daß es auf dem Gebiete der Tariffragen eine absolute, für alle Nationen und Zeiten zutreffende Wahrheit gebe, und darnach zu Ver¬ fahren. Jedes Volk muß hier wissen oder durch Erfahrung an sich lernen, was ihm frommt oder nicht. Ein Beispiel ist England. Es ist durch Schutzzölle im Lause der Jahre so stark geworden, daß es den Freihandel einführen konnte. Aber seit geraumer Zeit schon begegnen wir hier mehr oder minder lauten und entschiedenen Bestrebungen nach erneutem Schutze der nationalen Arbeit gegen fremde Konkurrenz. Bei Besprechung der Zusammenkunft der Zuckerrafsineure in London wurde darauf hingewiesen, daß England bis 1861 nur fünf, in den letzten Jahren dagegen fünfzig Prozent seines Bedarfs an raffinirtem Zucker eingeführt habe, und dazu bemerkt: „Mit den 10 Millionen Pfund Sterling, die dadurch jährlich aus dem Lande gehen, ernähren wir kontinentale Arbeiter und unterstützen wir das Schutzzollsystem im Auslande auf Kosten unsrer Ar¬ beiter und Fabrikanten." Zu derselben Zeit berechnete der Arbeiterführer Potter in der liinEs, daß der Kontinent sich durch seine Zuckerprämien Arbeit für 220 000 Mann gesichert habe, und fügte hinzu: „Wir eröffneten als Frei¬ händler unsre Märkte der ganzen Welt unter gleichen Bedingungen, nicht ahnend, daß diese zu höchst ungleichen werden würden durch Schutzprämien der fremden Staaten, die in ihren Wirkungen noch verderblicher sind als selbst Differenzial- zölle; denn umsoviel diese Prämien die Nachfrage nach fremder Arbeit erhöhten, Grenzboten IV. 1384. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/353>, abgerufen am 27.12.2024.