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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Schiller und Bürger.

Inzwischen fuhr der Mahdi fort, den Fanatismus der Sudanesen anzu¬
fachen. Man solle sich, schrieb er dem Mufti von Suakin, durch nichts von
dem heiligen Kriege abhalten lassen. Das ewige Feuer der Hölle erwarte die
Verstockten, welche vor Schwierigkeiten zurückschreckten, dagegen würden diejenigen
unter die Heiligen des Herrn aufgenommen, welche ihr Leben für die Religion
Gottes ließen. An die Scheichs erließ er eine Proklamation, worin er befahl,
daß jeder, welcher fünf Sklaven besitze, einen gegen die Ungläubigen hergeben
müsse. Man solle sich nicht um den Anbau des Landes kümmern, sondern immer
vorwärts gehen, er werde für Lebensmittel sorgen. Dergleichen Mahnungen
blieben nicht ohne Wirkung. Der Aufstand dehnte sich immer mehr nach Norden
ans. Anfang Juni fiel Berber, dessen Garnison niedergemetzelt wurde. Dongola
und Korosko erschienen bedroht. Nun wurden britische Streitkräfte nach Ober¬
ägypten dirigirt. Auch erwog Gladstone die Möglichkeit einer Expedition im
Süden von Ägypten, desgleichen die Zweckmäßigkeit des Baues einer Eisenbahn
von Suakin nach dem Nil. Bis jetzt ist indessen thatsächlich noch nichts erheb¬
liches geschehen. Andrerseits hat der mohamedanische Fastenmonat (Ramadan)
die Anhänger des Mahdi einige Zeit hindurch in Unthätigkeit gehalten. Die
nächste Zukunft wird zeigen, inwieweit die Hoffnungen auf energische Maßregeln
der britischen Regierung begründet sind.


B. König.


Schiller und Bürger.
Von Heinrich Pröhle.

chillers Rezension von Bürgers Gedichten bezeichnet für die deutsche
Literatur unter anderm auch den heilsamen Gegensatz zu Ten¬
denzen, wie sie seit Goethes "Stella" manche Verwirrung ange¬
richtet hatten. Die Zeiten der sittlichen Wiedergeburt Deutsch¬
lands waren nicht mehr so fern, die "Wahlverwandtschaften"
gingen ihnen beinahe noch vorher, und der Ehebruch durfte vor dem Gerichts¬
hofe der poetischen Gerechtigkeit nicht länger ungestraft bleiben. Niemand aber
verdiente auf dem deutschen Parnasse eine moralische Zurechtweisung mehr als
Bürger. War doch bei ihm nicht bloß in der Jugend, sondern mich das ganze
Mannesalter hindurch eine Thorheit der andern gefolgt. Überdies war die un¬
günstige Kritik Schillers über Bürger durch Anspielungen auf die Schillersche
Muse provozirt worden. Freilich, daß Bürger in irgendeiner Weise von Schiller


Schiller und Bürger.

Inzwischen fuhr der Mahdi fort, den Fanatismus der Sudanesen anzu¬
fachen. Man solle sich, schrieb er dem Mufti von Suakin, durch nichts von
dem heiligen Kriege abhalten lassen. Das ewige Feuer der Hölle erwarte die
Verstockten, welche vor Schwierigkeiten zurückschreckten, dagegen würden diejenigen
unter die Heiligen des Herrn aufgenommen, welche ihr Leben für die Religion
Gottes ließen. An die Scheichs erließ er eine Proklamation, worin er befahl,
daß jeder, welcher fünf Sklaven besitze, einen gegen die Ungläubigen hergeben
müsse. Man solle sich nicht um den Anbau des Landes kümmern, sondern immer
vorwärts gehen, er werde für Lebensmittel sorgen. Dergleichen Mahnungen
blieben nicht ohne Wirkung. Der Aufstand dehnte sich immer mehr nach Norden
ans. Anfang Juni fiel Berber, dessen Garnison niedergemetzelt wurde. Dongola
und Korosko erschienen bedroht. Nun wurden britische Streitkräfte nach Ober¬
ägypten dirigirt. Auch erwog Gladstone die Möglichkeit einer Expedition im
Süden von Ägypten, desgleichen die Zweckmäßigkeit des Baues einer Eisenbahn
von Suakin nach dem Nil. Bis jetzt ist indessen thatsächlich noch nichts erheb¬
liches geschehen. Andrerseits hat der mohamedanische Fastenmonat (Ramadan)
die Anhänger des Mahdi einige Zeit hindurch in Unthätigkeit gehalten. Die
nächste Zukunft wird zeigen, inwieweit die Hoffnungen auf energische Maßregeln
der britischen Regierung begründet sind.


B. König.


Schiller und Bürger.
Von Heinrich Pröhle.

chillers Rezension von Bürgers Gedichten bezeichnet für die deutsche
Literatur unter anderm auch den heilsamen Gegensatz zu Ten¬
denzen, wie sie seit Goethes „Stella" manche Verwirrung ange¬
richtet hatten. Die Zeiten der sittlichen Wiedergeburt Deutsch¬
lands waren nicht mehr so fern, die „Wahlverwandtschaften"
gingen ihnen beinahe noch vorher, und der Ehebruch durfte vor dem Gerichts¬
hofe der poetischen Gerechtigkeit nicht länger ungestraft bleiben. Niemand aber
verdiente auf dem deutschen Parnasse eine moralische Zurechtweisung mehr als
Bürger. War doch bei ihm nicht bloß in der Jugend, sondern mich das ganze
Mannesalter hindurch eine Thorheit der andern gefolgt. Überdies war die un¬
günstige Kritik Schillers über Bürger durch Anspielungen auf die Schillersche
Muse provozirt worden. Freilich, daß Bürger in irgendeiner Weise von Schiller


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[0023] Schiller und Bürger. Inzwischen fuhr der Mahdi fort, den Fanatismus der Sudanesen anzu¬ fachen. Man solle sich, schrieb er dem Mufti von Suakin, durch nichts von dem heiligen Kriege abhalten lassen. Das ewige Feuer der Hölle erwarte die Verstockten, welche vor Schwierigkeiten zurückschreckten, dagegen würden diejenigen unter die Heiligen des Herrn aufgenommen, welche ihr Leben für die Religion Gottes ließen. An die Scheichs erließ er eine Proklamation, worin er befahl, daß jeder, welcher fünf Sklaven besitze, einen gegen die Ungläubigen hergeben müsse. Man solle sich nicht um den Anbau des Landes kümmern, sondern immer vorwärts gehen, er werde für Lebensmittel sorgen. Dergleichen Mahnungen blieben nicht ohne Wirkung. Der Aufstand dehnte sich immer mehr nach Norden ans. Anfang Juni fiel Berber, dessen Garnison niedergemetzelt wurde. Dongola und Korosko erschienen bedroht. Nun wurden britische Streitkräfte nach Ober¬ ägypten dirigirt. Auch erwog Gladstone die Möglichkeit einer Expedition im Süden von Ägypten, desgleichen die Zweckmäßigkeit des Baues einer Eisenbahn von Suakin nach dem Nil. Bis jetzt ist indessen thatsächlich noch nichts erheb¬ liches geschehen. Andrerseits hat der mohamedanische Fastenmonat (Ramadan) die Anhänger des Mahdi einige Zeit hindurch in Unthätigkeit gehalten. Die nächste Zukunft wird zeigen, inwieweit die Hoffnungen auf energische Maßregeln der britischen Regierung begründet sind. B. König. Schiller und Bürger. Von Heinrich Pröhle. chillers Rezension von Bürgers Gedichten bezeichnet für die deutsche Literatur unter anderm auch den heilsamen Gegensatz zu Ten¬ denzen, wie sie seit Goethes „Stella" manche Verwirrung ange¬ richtet hatten. Die Zeiten der sittlichen Wiedergeburt Deutsch¬ lands waren nicht mehr so fern, die „Wahlverwandtschaften" gingen ihnen beinahe noch vorher, und der Ehebruch durfte vor dem Gerichts¬ hofe der poetischen Gerechtigkeit nicht länger ungestraft bleiben. Niemand aber verdiente auf dem deutschen Parnasse eine moralische Zurechtweisung mehr als Bürger. War doch bei ihm nicht bloß in der Jugend, sondern mich das ganze Mannesalter hindurch eine Thorheit der andern gefolgt. Überdies war die un¬ günstige Kritik Schillers über Bürger durch Anspielungen auf die Schillersche Muse provozirt worden. Freilich, daß Bürger in irgendeiner Weise von Schiller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/23>, abgerufen am 27.12.2024.