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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Das soziale Königtum.

urz vor seinem Tode hatte Lassalle, der sich stets offen zum Re¬
publikanismus bekannte, geschrieben, daß nichts eine größere Zu¬
kunft und eine segensreichere Rolle haben könnte, als das König¬
tum, wenn es sich nur entschließen könnte, soziales Königtum zu
werden. Das Banner eines solchen Königtums wollte er, wie er
sich weiter äußerte, mit Leidenschaft tragen, aber er bezweifelte, ob sich über¬
haupt ein solches finden würde.

Man weiß, daß Lassalle in seinen letzten Lebenstagen vielfach über die
Enttäuschungen zu klagen hatte, die er gerade aus der Reihe seiner Anhänger
erlebte. Schon damals bildeten sich jene gewerbsmäßigen Agitatoren aus,
welche aus der Arbeiterfrage für sich selbst einen bequemen Lebensunterhalt
schöpfen wollten. Da zu jener Zeit die Organisation erst im Werden war, so
gab es aus der Tasche der Arbeiter selbst wenig zu holen, und deshalb mußte
Lassalle mit seinen reichen Mitteln solange herhalten, bis er in seinem Unmut
fast verzweifelte, seine Reform mit Hilfe der Beteiligten durchführen zu können.
In einem solchen Augenblicke mag es dem Manne doch wieder zum Bewußtsein
gekommen sein, daß das Königtum der Hohenzollern auch in unsrer Zeit be¬
rufen sei, ein soziales zu werden, wie es bereits in früheren Jahrhunderten der
Beschützer der Armen und Unterdrückten gewesen ist. Die Epoche freilich, in
der Lassalle zu seiner geistigen Entwicklung gelangt war, erschien geeignet, an
dieser Mission des Königtums zu zweifeln. Nur mühselig und unter schweren
Entbehrungen und Kämpfen hatte sich der bunt zusammengewürfelte Staat von
den traurigen Folgen der langen Kriegsjahre erholt. Die Schaffung des
Zollvereins war die wichtigste und nationalste That König Friedrich Wil¬
helms III. gewesen. Seitdem hatte das öffentliche Leben immer mehr stagnirt; jede


Grenzboten IV. 1884. 26


Das soziale Königtum.

urz vor seinem Tode hatte Lassalle, der sich stets offen zum Re¬
publikanismus bekannte, geschrieben, daß nichts eine größere Zu¬
kunft und eine segensreichere Rolle haben könnte, als das König¬
tum, wenn es sich nur entschließen könnte, soziales Königtum zu
werden. Das Banner eines solchen Königtums wollte er, wie er
sich weiter äußerte, mit Leidenschaft tragen, aber er bezweifelte, ob sich über¬
haupt ein solches finden würde.

Man weiß, daß Lassalle in seinen letzten Lebenstagen vielfach über die
Enttäuschungen zu klagen hatte, die er gerade aus der Reihe seiner Anhänger
erlebte. Schon damals bildeten sich jene gewerbsmäßigen Agitatoren aus,
welche aus der Arbeiterfrage für sich selbst einen bequemen Lebensunterhalt
schöpfen wollten. Da zu jener Zeit die Organisation erst im Werden war, so
gab es aus der Tasche der Arbeiter selbst wenig zu holen, und deshalb mußte
Lassalle mit seinen reichen Mitteln solange herhalten, bis er in seinem Unmut
fast verzweifelte, seine Reform mit Hilfe der Beteiligten durchführen zu können.
In einem solchen Augenblicke mag es dem Manne doch wieder zum Bewußtsein
gekommen sein, daß das Königtum der Hohenzollern auch in unsrer Zeit be¬
rufen sei, ein soziales zu werden, wie es bereits in früheren Jahrhunderten der
Beschützer der Armen und Unterdrückten gewesen ist. Die Epoche freilich, in
der Lassalle zu seiner geistigen Entwicklung gelangt war, erschien geeignet, an
dieser Mission des Königtums zu zweifeln. Nur mühselig und unter schweren
Entbehrungen und Kämpfen hatte sich der bunt zusammengewürfelte Staat von
den traurigen Folgen der langen Kriegsjahre erholt. Die Schaffung des
Zollvereins war die wichtigste und nationalste That König Friedrich Wil¬
helms III. gewesen. Seitdem hatte das öffentliche Leben immer mehr stagnirt; jede


Grenzboten IV. 1884. 26
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[0209] [Abbildung] Das soziale Königtum. urz vor seinem Tode hatte Lassalle, der sich stets offen zum Re¬ publikanismus bekannte, geschrieben, daß nichts eine größere Zu¬ kunft und eine segensreichere Rolle haben könnte, als das König¬ tum, wenn es sich nur entschließen könnte, soziales Königtum zu werden. Das Banner eines solchen Königtums wollte er, wie er sich weiter äußerte, mit Leidenschaft tragen, aber er bezweifelte, ob sich über¬ haupt ein solches finden würde. Man weiß, daß Lassalle in seinen letzten Lebenstagen vielfach über die Enttäuschungen zu klagen hatte, die er gerade aus der Reihe seiner Anhänger erlebte. Schon damals bildeten sich jene gewerbsmäßigen Agitatoren aus, welche aus der Arbeiterfrage für sich selbst einen bequemen Lebensunterhalt schöpfen wollten. Da zu jener Zeit die Organisation erst im Werden war, so gab es aus der Tasche der Arbeiter selbst wenig zu holen, und deshalb mußte Lassalle mit seinen reichen Mitteln solange herhalten, bis er in seinem Unmut fast verzweifelte, seine Reform mit Hilfe der Beteiligten durchführen zu können. In einem solchen Augenblicke mag es dem Manne doch wieder zum Bewußtsein gekommen sein, daß das Königtum der Hohenzollern auch in unsrer Zeit be¬ rufen sei, ein soziales zu werden, wie es bereits in früheren Jahrhunderten der Beschützer der Armen und Unterdrückten gewesen ist. Die Epoche freilich, in der Lassalle zu seiner geistigen Entwicklung gelangt war, erschien geeignet, an dieser Mission des Königtums zu zweifeln. Nur mühselig und unter schweren Entbehrungen und Kämpfen hatte sich der bunt zusammengewürfelte Staat von den traurigen Folgen der langen Kriegsjahre erholt. Die Schaffung des Zollvereins war die wichtigste und nationalste That König Friedrich Wil¬ helms III. gewesen. Seitdem hatte das öffentliche Leben immer mehr stagnirt; jede Grenzboten IV. 1884. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/209>, abgerufen am 27.12.2024.