Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Notizen, Würde es nicht allen gerechten Ansprüchen besser genügen, wenn dem Autor Neue Parteinamen, Wenn wir freisinnigen Stimmen trauen dürfen, so Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlcm von F. L. Hcrbio, in Loipzia. -- Druck von Carl Marquart in Reudnitz-Leipzig. Notizen, Würde es nicht allen gerechten Ansprüchen besser genügen, wenn dem Autor Neue Parteinamen, Wenn wir freisinnigen Stimmen trauen dürfen, so Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlcm von F. L. Hcrbio, in Loipzia. — Druck von Carl Marquart in Reudnitz-Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157133"/> <fw type="header" place="top"> Notizen,</fw><lb/> <p xml:id="ID_764"> Würde es nicht allen gerechten Ansprüchen besser genügen, wenn dem Autor<lb/> die Berechtigung zuerkannt würde, von jedem Uebersetzer seines Werkes innerhalb<lb/> einer gewissen Frist irgendeine Tantieme oder eine bestimmte Abfindung zu erheben?<lb/> Dann gäbe es nicht mehr ein Privilegium für den Zuerstgekommenen, und der<lb/> Eigentümer des Originals würde sich häufig dabei besser stehen als jetzt.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Neue Parteinamen,</head> <p xml:id="ID_765"> Wenn wir freisinnigen Stimmen trauen dürfen, so<lb/> ist zu hoffen, daß im nächsten Reichstage die Reichshauptstadt nicht mehr aus¬<lb/> schließlich durch Trabanten des Herrn Richter vertreten sein werde. Vielleicht<lb/> schildern sie die Zustände besser, als sie wirklich sind, um dem liberalen Philister<lb/> bange zu machen; aber schon daß dergleichen für nötig erachtet wird, beweist doch,<lb/> daß die Partei des gesunden Menschenverstandes seit den letzten Wahlen in Berlin<lb/> beträchtlich an Boden gewonnen haben muß. Ein bekannter „freisinniger" Korre¬<lb/> spondent beruhigt die Leser einer österreichischen Zeitung, welchen natürlich das<lb/> Schicksal des deutschen Reiches sehr am Herzen liegen muß, insoweit, daß die<lb/> großen Politiker Richter, Löwe, Virchow, Munckel u. s. w. schließlich wieder Sieger<lb/> bleiben würden. Aber „für Berlin steht diesmal die Frage so, ob die Sozial¬<lb/> demokratin! oder die Antisemiten — denn etwas andres sind die Berliner sogenannten<lb/> Konservativen nicht — die zweite Stelle einnehmen werden." Selbstverständlich<lb/> glaubt er den Konservativen mit dem „nichts andres" eine tötliche Beleidigung zu¬<lb/> zufügen. Allein uns dünkt, er habe damit eine kleine Unvorsichtigkeit begangen.<lb/> Erstens wenn alle Berliner Wähler, welche weder einem Fortschrittler noch einem<lb/> Sozialdemokraten die Stimme geben mögen, Antisemiten sind, so wird man den<lb/> Richterschen Heerbann als Juden und Judengenossen bezeichnen dürfen. Zweitens<lb/> konstatirt er mit Ziffern, daß die „Antisemiten" schon im Jahre 1881 es zu recht<lb/> erheblichen Minoritäten gebracht haben. Er rechnet zusammen, daß damals<lb/> 86 000 Stimmen für die Freisinnigen, 43 000 für die Antisemiten, 32 S00 für<lb/> die Sozialdemokraten abgegeben worden sind, und hält wenigstens die Möglichkeit<lb/> nicht für ausgeschlossen, daß diesmal Adolf Wagner über Ludwig Löwe siegen<lb/> werde, wie Singer über Träger und Hasenclcvcr über Klotz. Die Wahl des<lb/> Professor Wagner würde also den Sieg des Antisemitismus über deu Semiten<lb/> bedeuten, während man sonst verächtlich von dem Häuflein der Antisemiten sprach,<lb/> und jede Niederlage eines Mitgliedes der Semitenpartei als den Erfolg der An¬<lb/> strengungen einer Koalition aller Feinde der Freiheit, der Anwendung von Agitations¬<lb/> mitteln, wie sie nur deu Fortschrittlern wohlanstehen, zu bezeichnen pflegte. Wir<lb/> fürchten, der Korrespondent wird sich von Herrn Richter einen Verweis zuziehen.<lb/> Uebrigens, wenn die Herren wünschen, daß Patriotismus und Antisemitismus<lb/> künftig als Synonyme gebraucht werden sollen — den Gefallen könnte man ihnen<lb/> ja thun!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.<lb/> Verlcm von F. L. Hcrbio, in Loipzia. — Druck von Carl Marquart in Reudnitz-Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0208]
Notizen,
Würde es nicht allen gerechten Ansprüchen besser genügen, wenn dem Autor
die Berechtigung zuerkannt würde, von jedem Uebersetzer seines Werkes innerhalb
einer gewissen Frist irgendeine Tantieme oder eine bestimmte Abfindung zu erheben?
Dann gäbe es nicht mehr ein Privilegium für den Zuerstgekommenen, und der
Eigentümer des Originals würde sich häufig dabei besser stehen als jetzt.
Neue Parteinamen, Wenn wir freisinnigen Stimmen trauen dürfen, so
ist zu hoffen, daß im nächsten Reichstage die Reichshauptstadt nicht mehr aus¬
schließlich durch Trabanten des Herrn Richter vertreten sein werde. Vielleicht
schildern sie die Zustände besser, als sie wirklich sind, um dem liberalen Philister
bange zu machen; aber schon daß dergleichen für nötig erachtet wird, beweist doch,
daß die Partei des gesunden Menschenverstandes seit den letzten Wahlen in Berlin
beträchtlich an Boden gewonnen haben muß. Ein bekannter „freisinniger" Korre¬
spondent beruhigt die Leser einer österreichischen Zeitung, welchen natürlich das
Schicksal des deutschen Reiches sehr am Herzen liegen muß, insoweit, daß die
großen Politiker Richter, Löwe, Virchow, Munckel u. s. w. schließlich wieder Sieger
bleiben würden. Aber „für Berlin steht diesmal die Frage so, ob die Sozial¬
demokratin! oder die Antisemiten — denn etwas andres sind die Berliner sogenannten
Konservativen nicht — die zweite Stelle einnehmen werden." Selbstverständlich
glaubt er den Konservativen mit dem „nichts andres" eine tötliche Beleidigung zu¬
zufügen. Allein uns dünkt, er habe damit eine kleine Unvorsichtigkeit begangen.
Erstens wenn alle Berliner Wähler, welche weder einem Fortschrittler noch einem
Sozialdemokraten die Stimme geben mögen, Antisemiten sind, so wird man den
Richterschen Heerbann als Juden und Judengenossen bezeichnen dürfen. Zweitens
konstatirt er mit Ziffern, daß die „Antisemiten" schon im Jahre 1881 es zu recht
erheblichen Minoritäten gebracht haben. Er rechnet zusammen, daß damals
86 000 Stimmen für die Freisinnigen, 43 000 für die Antisemiten, 32 S00 für
die Sozialdemokraten abgegeben worden sind, und hält wenigstens die Möglichkeit
nicht für ausgeschlossen, daß diesmal Adolf Wagner über Ludwig Löwe siegen
werde, wie Singer über Träger und Hasenclcvcr über Klotz. Die Wahl des
Professor Wagner würde also den Sieg des Antisemitismus über deu Semiten
bedeuten, während man sonst verächtlich von dem Häuflein der Antisemiten sprach,
und jede Niederlage eines Mitgliedes der Semitenpartei als den Erfolg der An¬
strengungen einer Koalition aller Feinde der Freiheit, der Anwendung von Agitations¬
mitteln, wie sie nur deu Fortschrittlern wohlanstehen, zu bezeichnen pflegte. Wir
fürchten, der Korrespondent wird sich von Herrn Richter einen Verweis zuziehen.
Uebrigens, wenn die Herren wünschen, daß Patriotismus und Antisemitismus
künftig als Synonyme gebraucht werden sollen — den Gefallen könnte man ihnen
ja thun!
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlcm von F. L. Hcrbio, in Loipzia. — Druck von Carl Marquart in Reudnitz-Leipzig.
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