Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Die Presse im Gerichtssaal. or dem Stuttgarter Schwurgericht wurde in den ersten Tagen Am 23. Februar d. I. wurde der Pfandleiher Reinhardt abends 9 Uhr So konnte es nicht fehlen, daß auch bei der Hauptverhandlung der "Fall Die Geschworenen erkannten aber auf Nichtschuldig, und der Angeklagte Ausführlicher als sonst hatten auch die Zeitungen über den Fall berichtet, Die Presse im Gerichtssaal. or dem Stuttgarter Schwurgericht wurde in den ersten Tagen Am 23. Februar d. I. wurde der Pfandleiher Reinhardt abends 9 Uhr So konnte es nicht fehlen, daß auch bei der Hauptverhandlung der „Fall Die Geschworenen erkannten aber auf Nichtschuldig, und der Angeklagte Ausführlicher als sonst hatten auch die Zeitungen über den Fall berichtet, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157091"/> </div> <div n="1"> <head> Die Presse im Gerichtssaal.</head><lb/> <p xml:id="ID_561"> or dem Stuttgarter Schwurgericht wurde in den ersten Tagen<lb/> des Oktober ein viertägiger Raubmordprozeß verhandelt, der eine<lb/> Episode im Gefolge hatte, welche die Aufmerksamkeit weiterer<lb/> Kreise beansprucht. Zum Verständnis des Falles sei kurz folgendes<lb/> vorangeschickt.</p><lb/> <p xml:id="ID_562"> Am 23. Februar d. I. wurde der Pfandleiher Reinhardt abends 9 Uhr<lb/> in seinem Laden auf dem Leonhardtsplatz in Stuttgart von unbekannten Thätern<lb/> ermordet und beraubt. Ein Verdacht erhob sich gegen den Kutscher Döttling.<lb/> auf welchen sich im Laufe einer langen, mit peinlicher Sorgfalt geführten Vor¬<lb/> untersuchung, sowie durch die Ergebnisse der Hauptverhandlung eine Menge<lb/> einzelner Belastungsmomente häuften, ohne daß völlig überzeugende Schuld¬<lb/> beweise beigebracht werden konnten. Der Fall war juristisch außerordentlich<lb/> interessant, hielt aber mehr noch die breiten Schichten der Bevölkerung in Auf¬<lb/> regung, innerhalb deren für und wider den Angeklagten förmliche Parteiungen<lb/> entstanden. (Es ist dies umso erklärlicher, als kurz vorher der anarchistische<lb/> Raubmordversuch auf Bankier Heilbrvnner — Stellmacher-Kammerer-Kumitsch —<lb/> die Gemüter in Schrecken gesetzt hatte und bei der auffallenden Ergebnislosigkeit<lb/> der polizeilichen Untersuchung ein starkes Gefühl der Unsicherheit die Stadt<lb/> beherrschte.)</p><lb/> <p xml:id="ID_563"> So konnte es nicht fehlen, daß auch bei der Hauptverhandlung der „Fall<lb/> Döttling" aufs neue die ganze Stadt in Atem hielt. Bis zum letzten Augenblick<lb/> war nicht vorherzusehen, wie der Spruch der Geschworenen ausfallen würde;<lb/> denn trotz mannichfacher betastenden Zeugenaussagen wußte der Angeklagte ein<lb/> Alibi aufrecht zu erhalten, das durch die Ergebnisse der Untersuchung nur mit<lb/> Mühe auf eine kurze Spannes Zeit zu durchbrechen war, welche allerdings zur<lb/> Ausführung der That gerade hingereicht hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_564"> Die Geschworenen erkannten aber auf Nichtschuldig, und der Angeklagte<lb/> mußte in Freiheit gesetzt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_565" next="#ID_566"> Ausführlicher als sonst hatten auch die Zeitungen über den Fall berichtet,<lb/> am ausführlichsten das „Neue Tagblatt," das gelesenste Blatt Stuttgarts,<lb/> dessen Berichterstatter den dramatischen Gang der Verhöre nach Art der Wiener<lb/> und Berliner Gerichtsberichte wiederzugeben bemüht war. Am Morgen des<lb/> vierten Verhandlungstages nun, unmittelbar ehe den Geschworenen die Fragen<lb/> vorgelegt wurden und die Plaidoyers begannen, nahm der Präsident des Schwur-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0166]
Die Presse im Gerichtssaal.
or dem Stuttgarter Schwurgericht wurde in den ersten Tagen
des Oktober ein viertägiger Raubmordprozeß verhandelt, der eine
Episode im Gefolge hatte, welche die Aufmerksamkeit weiterer
Kreise beansprucht. Zum Verständnis des Falles sei kurz folgendes
vorangeschickt.
Am 23. Februar d. I. wurde der Pfandleiher Reinhardt abends 9 Uhr
in seinem Laden auf dem Leonhardtsplatz in Stuttgart von unbekannten Thätern
ermordet und beraubt. Ein Verdacht erhob sich gegen den Kutscher Döttling.
auf welchen sich im Laufe einer langen, mit peinlicher Sorgfalt geführten Vor¬
untersuchung, sowie durch die Ergebnisse der Hauptverhandlung eine Menge
einzelner Belastungsmomente häuften, ohne daß völlig überzeugende Schuld¬
beweise beigebracht werden konnten. Der Fall war juristisch außerordentlich
interessant, hielt aber mehr noch die breiten Schichten der Bevölkerung in Auf¬
regung, innerhalb deren für und wider den Angeklagten förmliche Parteiungen
entstanden. (Es ist dies umso erklärlicher, als kurz vorher der anarchistische
Raubmordversuch auf Bankier Heilbrvnner — Stellmacher-Kammerer-Kumitsch —
die Gemüter in Schrecken gesetzt hatte und bei der auffallenden Ergebnislosigkeit
der polizeilichen Untersuchung ein starkes Gefühl der Unsicherheit die Stadt
beherrschte.)
So konnte es nicht fehlen, daß auch bei der Hauptverhandlung der „Fall
Döttling" aufs neue die ganze Stadt in Atem hielt. Bis zum letzten Augenblick
war nicht vorherzusehen, wie der Spruch der Geschworenen ausfallen würde;
denn trotz mannichfacher betastenden Zeugenaussagen wußte der Angeklagte ein
Alibi aufrecht zu erhalten, das durch die Ergebnisse der Untersuchung nur mit
Mühe auf eine kurze Spannes Zeit zu durchbrechen war, welche allerdings zur
Ausführung der That gerade hingereicht hätte.
Die Geschworenen erkannten aber auf Nichtschuldig, und der Angeklagte
mußte in Freiheit gesetzt werden.
Ausführlicher als sonst hatten auch die Zeitungen über den Fall berichtet,
am ausführlichsten das „Neue Tagblatt," das gelesenste Blatt Stuttgarts,
dessen Berichterstatter den dramatischen Gang der Verhöre nach Art der Wiener
und Berliner Gerichtsberichte wiederzugeben bemüht war. Am Morgen des
vierten Verhandlungstages nun, unmittelbar ehe den Geschworenen die Fragen
vorgelegt wurden und die Plaidoyers begannen, nahm der Präsident des Schwur-
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