Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den Tagen der Klassiker,

Es ist nichts weniger als unwahrscheinlich, daß ein englischer, italienischer oder
deutscher Militär, Seemann oder Geschäftsträger es gerade jetzt schwieriger
finden würde, französischer Herausforderung gegenüber seine Selbstbeherrschung
zu bewahren, als vor einiger Zeit,

Es ist natürlich unnötig, zu sagen, daß die französische Regierung für diese
Überhebung nicht verantwortlich ist, oder gar sich gegen die Meinung zu ver¬
wahren, man glaube, dieselbe teile im stillen dieses Gefühl. Einzelne Minister
mögen, nach Erfahrungen zu urteilen, denselben nicht fern stehen, und zwar
könnte man dies gerade vom Leiter des auswärtigen Departements annehmen.
Indeß zweifeln wir nicht, daß der Einfluß Ferrhs genügen wird, in dieser Be¬
ziehung Maßlosigkeit zu verhüten. Andrerseits aber ist und bleibt am Ende
die französische Negierung eine Negierung des "Volkes," eine solche, wo dieses
zuletzt den Ausschlag giebt, und wer das "Volk" ist, weiß man ja: es ist immer
die stärkste Partei und die, welche am besten organisirt und am lautesten und
thatkräftigsten ist. Die Chauvinisten aber sind auf alle Fälle die lauteste und
rührigste unter allen Parteien des heutigen Frankreichs und -- wenigstens in
Paris und andern Großstädten -- die stärkste, da ihr Leute aller übrigen
Parteien angehören, und das ist zwar keine große Gefahr für die Nachbarn,
wohl aber für Frankreich selbst.




Aus den Tagen der Klassiker.
i.
Karl von Dcilberg, der Roadjutor und Fürstxrimas.

nichst den Gestalten und Lebensbeziehungen unsrer eignen Zeit
sind der Mehrzahl der gebildeten Deutschen keine Menschen und
Zustände so vertraut wie die unsrer klassischen Literaturperiode.
Die ausgebreitete Detailforschung, welche gerade dieser Periode
gewidmet worden ist und noch beständig gewidmet wird, eine
Forschung, die es nicht verschmäht, gelegentlich zum Nichtigen oder doch ganz
Unwesentlichen herabzusteigen, hat kaum eine Existenz, die jemals in Berührung
mit der Goethes oder Schillers gekommen ist, unberücksichtigt gelassen, und selbst
Karl Ruckstuhl und Anton Fürnsteiu der Naturdichter von Falkenau haben ihre
Monographien und Abhandlungen erhalten. Menschen, Verhältnisse, Sitten,
Lokale und Kostüme der klassischen Periode haben so eingehende Berücksichtigung


Aus den Tagen der Klassiker,

Es ist nichts weniger als unwahrscheinlich, daß ein englischer, italienischer oder
deutscher Militär, Seemann oder Geschäftsträger es gerade jetzt schwieriger
finden würde, französischer Herausforderung gegenüber seine Selbstbeherrschung
zu bewahren, als vor einiger Zeit,

Es ist natürlich unnötig, zu sagen, daß die französische Regierung für diese
Überhebung nicht verantwortlich ist, oder gar sich gegen die Meinung zu ver¬
wahren, man glaube, dieselbe teile im stillen dieses Gefühl. Einzelne Minister
mögen, nach Erfahrungen zu urteilen, denselben nicht fern stehen, und zwar
könnte man dies gerade vom Leiter des auswärtigen Departements annehmen.
Indeß zweifeln wir nicht, daß der Einfluß Ferrhs genügen wird, in dieser Be¬
ziehung Maßlosigkeit zu verhüten. Andrerseits aber ist und bleibt am Ende
die französische Negierung eine Negierung des „Volkes," eine solche, wo dieses
zuletzt den Ausschlag giebt, und wer das „Volk" ist, weiß man ja: es ist immer
die stärkste Partei und die, welche am besten organisirt und am lautesten und
thatkräftigsten ist. Die Chauvinisten aber sind auf alle Fälle die lauteste und
rührigste unter allen Parteien des heutigen Frankreichs und — wenigstens in
Paris und andern Großstädten — die stärkste, da ihr Leute aller übrigen
Parteien angehören, und das ist zwar keine große Gefahr für die Nachbarn,
wohl aber für Frankreich selbst.




Aus den Tagen der Klassiker.
i.
Karl von Dcilberg, der Roadjutor und Fürstxrimas.

nichst den Gestalten und Lebensbeziehungen unsrer eignen Zeit
sind der Mehrzahl der gebildeten Deutschen keine Menschen und
Zustände so vertraut wie die unsrer klassischen Literaturperiode.
Die ausgebreitete Detailforschung, welche gerade dieser Periode
gewidmet worden ist und noch beständig gewidmet wird, eine
Forschung, die es nicht verschmäht, gelegentlich zum Nichtigen oder doch ganz
Unwesentlichen herabzusteigen, hat kaum eine Existenz, die jemals in Berührung
mit der Goethes oder Schillers gekommen ist, unberücksichtigt gelassen, und selbst
Karl Ruckstuhl und Anton Fürnsteiu der Naturdichter von Falkenau haben ihre
Monographien und Abhandlungen erhalten. Menschen, Verhältnisse, Sitten,
Lokale und Kostüme der klassischen Periode haben so eingehende Berücksichtigung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154237"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den Tagen der Klassiker,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_208" prev="#ID_207"> Es ist nichts weniger als unwahrscheinlich, daß ein englischer, italienischer oder<lb/>
deutscher Militär, Seemann oder Geschäftsträger es gerade jetzt schwieriger<lb/>
finden würde, französischer Herausforderung gegenüber seine Selbstbeherrschung<lb/>
zu bewahren, als vor einiger Zeit,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_209"> Es ist natürlich unnötig, zu sagen, daß die französische Regierung für diese<lb/>
Überhebung nicht verantwortlich ist, oder gar sich gegen die Meinung zu ver¬<lb/>
wahren, man glaube, dieselbe teile im stillen dieses Gefühl. Einzelne Minister<lb/>
mögen, nach Erfahrungen zu urteilen, denselben nicht fern stehen, und zwar<lb/>
könnte man dies gerade vom Leiter des auswärtigen Departements annehmen.<lb/>
Indeß zweifeln wir nicht, daß der Einfluß Ferrhs genügen wird, in dieser Be¬<lb/>
ziehung Maßlosigkeit zu verhüten. Andrerseits aber ist und bleibt am Ende<lb/>
die französische Negierung eine Negierung des &#x201E;Volkes," eine solche, wo dieses<lb/>
zuletzt den Ausschlag giebt, und wer das &#x201E;Volk" ist, weiß man ja: es ist immer<lb/>
die stärkste Partei und die, welche am besten organisirt und am lautesten und<lb/>
thatkräftigsten ist. Die Chauvinisten aber sind auf alle Fälle die lauteste und<lb/>
rührigste unter allen Parteien des heutigen Frankreichs und &#x2014; wenigstens in<lb/>
Paris und andern Großstädten &#x2014; die stärkste, da ihr Leute aller übrigen<lb/>
Parteien angehören, und das ist zwar keine große Gefahr für die Nachbarn,<lb/>
wohl aber für Frankreich selbst.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aus den Tagen der Klassiker.<lb/>
i.<lb/>
Karl von Dcilberg, der Roadjutor und Fürstxrimas.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_210" next="#ID_211"> nichst den Gestalten und Lebensbeziehungen unsrer eignen Zeit<lb/>
sind der Mehrzahl der gebildeten Deutschen keine Menschen und<lb/>
Zustände so vertraut wie die unsrer klassischen Literaturperiode.<lb/>
Die ausgebreitete Detailforschung, welche gerade dieser Periode<lb/>
gewidmet worden ist und noch beständig gewidmet wird, eine<lb/>
Forschung, die es nicht verschmäht, gelegentlich zum Nichtigen oder doch ganz<lb/>
Unwesentlichen herabzusteigen, hat kaum eine Existenz, die jemals in Berührung<lb/>
mit der Goethes oder Schillers gekommen ist, unberücksichtigt gelassen, und selbst<lb/>
Karl Ruckstuhl und Anton Fürnsteiu der Naturdichter von Falkenau haben ihre<lb/>
Monographien und Abhandlungen erhalten. Menschen, Verhältnisse, Sitten,<lb/>
Lokale und Kostüme der klassischen Periode haben so eingehende Berücksichtigung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] Aus den Tagen der Klassiker, Es ist nichts weniger als unwahrscheinlich, daß ein englischer, italienischer oder deutscher Militär, Seemann oder Geschäftsträger es gerade jetzt schwieriger finden würde, französischer Herausforderung gegenüber seine Selbstbeherrschung zu bewahren, als vor einiger Zeit, Es ist natürlich unnötig, zu sagen, daß die französische Regierung für diese Überhebung nicht verantwortlich ist, oder gar sich gegen die Meinung zu ver¬ wahren, man glaube, dieselbe teile im stillen dieses Gefühl. Einzelne Minister mögen, nach Erfahrungen zu urteilen, denselben nicht fern stehen, und zwar könnte man dies gerade vom Leiter des auswärtigen Departements annehmen. Indeß zweifeln wir nicht, daß der Einfluß Ferrhs genügen wird, in dieser Be¬ ziehung Maßlosigkeit zu verhüten. Andrerseits aber ist und bleibt am Ende die französische Negierung eine Negierung des „Volkes," eine solche, wo dieses zuletzt den Ausschlag giebt, und wer das „Volk" ist, weiß man ja: es ist immer die stärkste Partei und die, welche am besten organisirt und am lautesten und thatkräftigsten ist. Die Chauvinisten aber sind auf alle Fälle die lauteste und rührigste unter allen Parteien des heutigen Frankreichs und — wenigstens in Paris und andern Großstädten — die stärkste, da ihr Leute aller übrigen Parteien angehören, und das ist zwar keine große Gefahr für die Nachbarn, wohl aber für Frankreich selbst. Aus den Tagen der Klassiker. i. Karl von Dcilberg, der Roadjutor und Fürstxrimas. nichst den Gestalten und Lebensbeziehungen unsrer eignen Zeit sind der Mehrzahl der gebildeten Deutschen keine Menschen und Zustände so vertraut wie die unsrer klassischen Literaturperiode. Die ausgebreitete Detailforschung, welche gerade dieser Periode gewidmet worden ist und noch beständig gewidmet wird, eine Forschung, die es nicht verschmäht, gelegentlich zum Nichtigen oder doch ganz Unwesentlichen herabzusteigen, hat kaum eine Existenz, die jemals in Berührung mit der Goethes oder Schillers gekommen ist, unberücksichtigt gelassen, und selbst Karl Ruckstuhl und Anton Fürnsteiu der Naturdichter von Falkenau haben ihre Monographien und Abhandlungen erhalten. Menschen, Verhältnisse, Sitten, Lokale und Kostüme der klassischen Periode haben so eingehende Berücksichtigung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/72
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/72>, abgerufen am 27.07.2024.