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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.
Adolf Stern. Novelle von
(Fortsetzung,)

ignor Felice blickte sinnend über den Wasserspiegel hin und ver¬
stummte für einen Augenblick. Vor ihm tauchten offenbar
andre Bilder ans als die farbigen Wolken, die in der Flut
wicderglnnzten, und er kämpfte sichtlich mit sich, ob er sich
der weichen, mitteilenden Stimmung, die ihn ergriffen hatte,
überlassen solle. Feinfühlig wollte der junge Gelehrte diesen Kampf beenden
und sich mit einen: herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit, die Signor Con-
stantini seinen Landsleuten erwiesen, auf sein Zimmer zurückziehen. Aber mit
einer raschen Bewegung wandte sich der Hausherr wieder zu ihm:

Nicht doch, nicht doch! rief er. Ich will Ihnen nicht Rätsel aufgeben --
und ich fühle, daß Sie ein Recht haben, mehr zu hören, nachdem ich Ihnen
soviel gesagt! Ich war längst geneigt, den Umstand, daß mir durch Ihre Ver¬
mittlung ein längst ersehntes, drei Jahrzehnte lang vermißtes Bild meiner un¬
vergeßlichen Gabriella zu dauerndem Besitz verschafft ward, als eine Fügung
anzusehen! Es scheint dem Menschen eingeboren, daß er auch ein freigcwähltes
Loos nicht still bis ans Ende zu tragen vermag, er muß das Siegel seiner
Lippen brechen und sich mindestens einem erschließen. Wer weiß, ob ich es,
trotz allem, einem meiner Landsleute gegenüber vermöchte. Aber Ihr Gesicht
hat mir vom ersten Tage an Vertrauen eingeflößt, und jede Stunde, die ich
mit Ihnen verbracht, hat meine Zuversicht gesteigert, daß Sie mein Schicksal
ehren und mein Geheimnis wahren werden, soweit es gewahrt werden muß!
Kommen Sie, kommen Sie, Signor Fedcrigv, setzen Sie sich noch einmal nieder,
wo vorhin die Dame Ihres Herzens weilte, und lassen Sie mich von Tagen
reden, an welche ich seit vier Jahrzehnten jede Stunde gedacht und von denen
ich doch zu niemand gesprochen habe, seit mein würdiger Freund Bartolomeo
nicht mehr unter den Lebenden wandelt.




Der neue Merlin.
Adolf Stern. Novelle von
(Fortsetzung,)

ignor Felice blickte sinnend über den Wasserspiegel hin und ver¬
stummte für einen Augenblick. Vor ihm tauchten offenbar
andre Bilder ans als die farbigen Wolken, die in der Flut
wicderglnnzten, und er kämpfte sichtlich mit sich, ob er sich
der weichen, mitteilenden Stimmung, die ihn ergriffen hatte,
überlassen solle. Feinfühlig wollte der junge Gelehrte diesen Kampf beenden
und sich mit einen: herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit, die Signor Con-
stantini seinen Landsleuten erwiesen, auf sein Zimmer zurückziehen. Aber mit
einer raschen Bewegung wandte sich der Hausherr wieder zu ihm:

Nicht doch, nicht doch! rief er. Ich will Ihnen nicht Rätsel aufgeben —
und ich fühle, daß Sie ein Recht haben, mehr zu hören, nachdem ich Ihnen
soviel gesagt! Ich war längst geneigt, den Umstand, daß mir durch Ihre Ver¬
mittlung ein längst ersehntes, drei Jahrzehnte lang vermißtes Bild meiner un¬
vergeßlichen Gabriella zu dauerndem Besitz verschafft ward, als eine Fügung
anzusehen! Es scheint dem Menschen eingeboren, daß er auch ein freigcwähltes
Loos nicht still bis ans Ende zu tragen vermag, er muß das Siegel seiner
Lippen brechen und sich mindestens einem erschließen. Wer weiß, ob ich es,
trotz allem, einem meiner Landsleute gegenüber vermöchte. Aber Ihr Gesicht
hat mir vom ersten Tage an Vertrauen eingeflößt, und jede Stunde, die ich
mit Ihnen verbracht, hat meine Zuversicht gesteigert, daß Sie mein Schicksal
ehren und mein Geheimnis wahren werden, soweit es gewahrt werden muß!
Kommen Sie, kommen Sie, Signor Fedcrigv, setzen Sie sich noch einmal nieder,
wo vorhin die Dame Ihres Herzens weilte, und lassen Sie mich von Tagen
reden, an welche ich seit vier Jahrzehnten jede Stunde gedacht und von denen
ich doch zu niemand gesprochen habe, seit mein würdiger Freund Bartolomeo
nicht mehr unter den Lebenden wandelt.


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[0640] [Abbildung] Der neue Merlin. Adolf Stern. Novelle von (Fortsetzung,) ignor Felice blickte sinnend über den Wasserspiegel hin und ver¬ stummte für einen Augenblick. Vor ihm tauchten offenbar andre Bilder ans als die farbigen Wolken, die in der Flut wicderglnnzten, und er kämpfte sichtlich mit sich, ob er sich der weichen, mitteilenden Stimmung, die ihn ergriffen hatte, überlassen solle. Feinfühlig wollte der junge Gelehrte diesen Kampf beenden und sich mit einen: herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit, die Signor Con- stantini seinen Landsleuten erwiesen, auf sein Zimmer zurückziehen. Aber mit einer raschen Bewegung wandte sich der Hausherr wieder zu ihm: Nicht doch, nicht doch! rief er. Ich will Ihnen nicht Rätsel aufgeben — und ich fühle, daß Sie ein Recht haben, mehr zu hören, nachdem ich Ihnen soviel gesagt! Ich war längst geneigt, den Umstand, daß mir durch Ihre Ver¬ mittlung ein längst ersehntes, drei Jahrzehnte lang vermißtes Bild meiner un¬ vergeßlichen Gabriella zu dauerndem Besitz verschafft ward, als eine Fügung anzusehen! Es scheint dem Menschen eingeboren, daß er auch ein freigcwähltes Loos nicht still bis ans Ende zu tragen vermag, er muß das Siegel seiner Lippen brechen und sich mindestens einem erschließen. Wer weiß, ob ich es, trotz allem, einem meiner Landsleute gegenüber vermöchte. Aber Ihr Gesicht hat mir vom ersten Tage an Vertrauen eingeflößt, und jede Stunde, die ich mit Ihnen verbracht, hat meine Zuversicht gesteigert, daß Sie mein Schicksal ehren und mein Geheimnis wahren werden, soweit es gewahrt werden muß! Kommen Sie, kommen Sie, Signor Fedcrigv, setzen Sie sich noch einmal nieder, wo vorhin die Dame Ihres Herzens weilte, und lassen Sie mich von Tagen reden, an welche ich seit vier Jahrzehnten jede Stunde gedacht und von denen ich doch zu niemand gesprochen habe, seit mein würdiger Freund Bartolomeo nicht mehr unter den Lebenden wandelt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/640>, abgerufen am 13.11.2024.