Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.Galle Zola. von August Niemann. le Romane Zolas einer öffentlichen Besprechung zu unterziehen, Die große Verbreitung, welche Zolas Werke gefunden haben, führt mich Galle Zola. von August Niemann. le Romane Zolas einer öffentlichen Besprechung zu unterziehen, Die große Verbreitung, welche Zolas Werke gefunden haben, führt mich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0624" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154789"/> </div> <div n="1"> <head> Galle Zola.<lb/><note type="byline"> von August Niemann.</note></head><lb/> <p xml:id="ID_1851"> le Romane Zolas einer öffentlichen Besprechung zu unterziehen,<lb/> ist mir früher als ein undankbares Unternehmen erschienen, weil<lb/> ich mir sagte: niemand bei uns kennt sie, sie sind zum Teil von<lb/> der Polizei konfiszirt, von den Gerichten verboten worden, und<lb/> obwohl sie in Frankreich viel gelesen werden, können sie doch den<lb/> reineren Sitten des deutschen Reiches nur zuwider sein; sie müssen ans das<lb/> deutsche Gemüt wirken wie Lab auf süße Milch, sie müssen es zum Gerinnen<lb/> bringen. Doch war es mir auffallend, wie oft ich im Laufe der letzten Jahre<lb/> vernichtende Urteile über Zola bei uns hörte, wie ungemein viele Herren der<lb/> gebildeten Welt ihre Entrüstung über jene Bücher knndgaben, und wie groß<lb/> selbst die Zahl der Damen war, welche erklärten, man könne solche Romane<lb/> nicht lesen. Auch hatten diese Äußerungen eine wesentlich andre'Form, als sie<lb/> den literarischen Urteilen in der Regel eigen ist. Denn auch mit Charles Darwin<lb/> z. B. oder Arthur Schopenhauer oder gar dem teuern Gottesmann Dr. Martin<lb/> Luther sind gar viele gebildete Leute gut bekannt, nur pflegt es sich in der<lb/> Unterhaltung über die Werke dieser Männer herauszustellen, daß man sie nicht<lb/> eigentlich selbst gelesen hat, sondern mir Besprechungen oder Schriften über sie,<lb/> oder gar bloß Rezensionen von Besprechungen von Schriften über die Orgiuale<lb/> kennt. Aber mit Zola scheint das anders zu sein. Ich möchte darauf schwören,<lb/> daß die Leute ihn selber gelesen haben, und wenn auch sein Leserkreis natürlich<lb/> bei uns lange nicht so groß ist wie in Frankreich, so darf ich doch wohl an¬<lb/> nehmen, daß ihn genug Leute keimen, um eine Betrachtung seines Wirkens nicht<lb/> überflüssig erscheinen zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1852" next="#ID_1853"> Die große Verbreitung, welche Zolas Werke gefunden haben, führt mich<lb/> zunächst auf die alte und für Schriftsteller und Buchhändler immer wieder neue<lb/> Frage, was denn wohl eigentlich der Grund sein mag, warum dies oder jenes<lb/> Buch viel gelesen wird. Manche Leute sagen, ein Buch würde dann viel gelesen,<lb/> wenn es gut sei. Das sind die sogenannten Optimisten. Andre Leute sagen<lb/> wieder, ein Buch müsse schlecht sein, um allgemeinen Beifall zu finden. Das<lb/> sind die sogenannten Pessimisten. Aber ich denke, daß keines von beiden ganz<lb/> richtig ist, obwohl beide Ansichten sich vertreten lassen. Es wird sich Wohl mit<lb/> der geistigen Nahrung ähnlich verhalten wie mit der leiblichen, und wie die Leute<lb/> in den verschiedenen Provinzen unsers Vaterlandes ihre bestimmte Vorliebe für<lb/> gewisse Getränke und Gerichte haben, so hat anch dieser Kreis des Publikums<lb/> eine Vorliebe für Paul Heyse, jener für Fritz Reuter, ein dritter wieder für<lb/> Konrad von Bolanden. Ganz allgemein kann man wohl nur sagen, daß jeder</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0624]
Galle Zola.
von August Niemann.
le Romane Zolas einer öffentlichen Besprechung zu unterziehen,
ist mir früher als ein undankbares Unternehmen erschienen, weil
ich mir sagte: niemand bei uns kennt sie, sie sind zum Teil von
der Polizei konfiszirt, von den Gerichten verboten worden, und
obwohl sie in Frankreich viel gelesen werden, können sie doch den
reineren Sitten des deutschen Reiches nur zuwider sein; sie müssen ans das
deutsche Gemüt wirken wie Lab auf süße Milch, sie müssen es zum Gerinnen
bringen. Doch war es mir auffallend, wie oft ich im Laufe der letzten Jahre
vernichtende Urteile über Zola bei uns hörte, wie ungemein viele Herren der
gebildeten Welt ihre Entrüstung über jene Bücher knndgaben, und wie groß
selbst die Zahl der Damen war, welche erklärten, man könne solche Romane
nicht lesen. Auch hatten diese Äußerungen eine wesentlich andre'Form, als sie
den literarischen Urteilen in der Regel eigen ist. Denn auch mit Charles Darwin
z. B. oder Arthur Schopenhauer oder gar dem teuern Gottesmann Dr. Martin
Luther sind gar viele gebildete Leute gut bekannt, nur pflegt es sich in der
Unterhaltung über die Werke dieser Männer herauszustellen, daß man sie nicht
eigentlich selbst gelesen hat, sondern mir Besprechungen oder Schriften über sie,
oder gar bloß Rezensionen von Besprechungen von Schriften über die Orgiuale
kennt. Aber mit Zola scheint das anders zu sein. Ich möchte darauf schwören,
daß die Leute ihn selber gelesen haben, und wenn auch sein Leserkreis natürlich
bei uns lange nicht so groß ist wie in Frankreich, so darf ich doch wohl an¬
nehmen, daß ihn genug Leute keimen, um eine Betrachtung seines Wirkens nicht
überflüssig erscheinen zu lassen.
Die große Verbreitung, welche Zolas Werke gefunden haben, führt mich
zunächst auf die alte und für Schriftsteller und Buchhändler immer wieder neue
Frage, was denn wohl eigentlich der Grund sein mag, warum dies oder jenes
Buch viel gelesen wird. Manche Leute sagen, ein Buch würde dann viel gelesen,
wenn es gut sei. Das sind die sogenannten Optimisten. Andre Leute sagen
wieder, ein Buch müsse schlecht sein, um allgemeinen Beifall zu finden. Das
sind die sogenannten Pessimisten. Aber ich denke, daß keines von beiden ganz
richtig ist, obwohl beide Ansichten sich vertreten lassen. Es wird sich Wohl mit
der geistigen Nahrung ähnlich verhalten wie mit der leiblichen, und wie die Leute
in den verschiedenen Provinzen unsers Vaterlandes ihre bestimmte Vorliebe für
gewisse Getränke und Gerichte haben, so hat anch dieser Kreis des Publikums
eine Vorliebe für Paul Heyse, jener für Fritz Reuter, ein dritter wieder für
Konrad von Bolanden. Ganz allgemein kann man wohl nur sagen, daß jeder
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