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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Glossen eines Deutschen im Auslande.

er Aufsatz über das "Kurze Parlament" im 38. Hefte der Grenz-
boten läßt doch wohl den Thatsachen nicht volle Gerechtigkeit
widerfahren, so wenig das Urteil über die Personen anzufechten
sein dürfte. Im Verhältnis zu ihrer Dauer hat die Augustsession
des deutschen Reichstages außergewöhnliche Bedeutung und An¬
spruch auf eine" hervorragenden Platz in der Geschichte der politischen
Aufklärung. Und hätte niemand sonst gesprochen als der gewaltige Dazwischenrufer
im Streit, Herr Eugen Richter, so wären die Sitzungen keine verlorenen gewesen.
Es ist zu begreifen, daß im ersten Augenblicke Freund und Feind starr waren
liber den Grad von Verwilderung, welchen der Fortschrittshänptliug diesmal
enthüllte; selbst den politischen Gegner muß es schmerzlich berühren, einen
Mann von Begabung und Kenntnissen so völlig auf das Niveau der journa¬
listischen Gassenjungen sinken zu sehen. "Schnapspolitik!" Sein guter Genius
war es nicht, der ihn dieses Wort erfinden ließ. Denn es giebt auch Schnaps,
der nicht aus Brennereien hervorgeht, gesprochenen und gedruckten Alkohol, der
ebenso verheerend wirkt, ebenso abstumpft und verroht wie der Kartoffelfusel.
Vor mehreren Jahren zitiren der ebenfalls sehr große Bamberger irgend einen
mythischen Amerikaner oder Australier, welcher sein Staunen darüber ausgedrückt
habe" sollte, daß Richter noch nicht Minister war (er wird wohl von einem
Ministerium Richter-Bamberger gesprochen haben, was zu wiederholen die Be¬
scheidenheit des Rednern nicht zuließ); heute würden Herr Bamberger und sein
Amerikaner ihr Staunen wahrscheinlich für sich behalten, nur noch das entzückte
Gejohle in den untersten Regionen der Berliner Tagesliteratur und gelegentlich
die Billigung des Herrn Windhorst begleiten Richter bei seinen Ausbrüchen.
Die akademischen Republikaner und Preußenfresser im Auslande gehen schon
lange dem Gespräch über ihren frühern Liebling verlegen aus dem Wege, was
bösen Menschen viel Vergnügen bereitet.

Über jener "geistreichen" Wendung des Allredners scheint aber deren wich¬
tige Motivirung überhört worden zu sein. Er bekannte, die deutsche Handels¬
politik beschimpfen zu wollen, weil sie keine doktrinäre, keine Traditionspolitik
sei, sondern sich jedesmal nach dem einzelnen Falle, nach den in Frage kommenden
Interessen richte. Eine solche Anerkennung aus solchem Munde -- kann Fürst
Bismarck besseres wünschen? Denn was Richter in seiner Verranntheit nicht
merkte, das muß doch seinem sonstigen besten Kunden, dem "gebildeten" gemeinen
Mann einleuchten, der, welches Geschäft er auch betreiben möge, weiß, daß das
Wetter sich nicht nach seinem Anzüge richtet, daß Weizen einen andern Boden
verlangt als Hafer, Holz nicht geschweißt und Eisen nicht geleimt werden kann.
Ein solches Verschuappcu des bornirten Parteimenschen ist mehr wert als hun¬
dert Zeitungsartikel (vorliegenden natürlich mit eingerechnet).

Und nun der gute Professor Hänel, der auch einmal den verfluchten Kerl
spielen und vom Galeriepublikum beklatscht sein wollte. Die Erfahrungen älterer
Kollegen hätten ihm doch lehren können, daß die Herren vom Katheder im
Wettlauf mit Advokaten und Vereinsrednern von Profession gewöhnlich stolpern
und sich überschlagen, nud richtig schlenderte er den Hanpttrumpf sich und den


Gr.mzbow, IV. 188-Z, 6
Glossen eines Deutschen im Auslande.

er Aufsatz über das „Kurze Parlament" im 38. Hefte der Grenz-
boten läßt doch wohl den Thatsachen nicht volle Gerechtigkeit
widerfahren, so wenig das Urteil über die Personen anzufechten
sein dürfte. Im Verhältnis zu ihrer Dauer hat die Augustsession
des deutschen Reichstages außergewöhnliche Bedeutung und An¬
spruch auf eine» hervorragenden Platz in der Geschichte der politischen
Aufklärung. Und hätte niemand sonst gesprochen als der gewaltige Dazwischenrufer
im Streit, Herr Eugen Richter, so wären die Sitzungen keine verlorenen gewesen.
Es ist zu begreifen, daß im ersten Augenblicke Freund und Feind starr waren
liber den Grad von Verwilderung, welchen der Fortschrittshänptliug diesmal
enthüllte; selbst den politischen Gegner muß es schmerzlich berühren, einen
Mann von Begabung und Kenntnissen so völlig auf das Niveau der journa¬
listischen Gassenjungen sinken zu sehen. „Schnapspolitik!" Sein guter Genius
war es nicht, der ihn dieses Wort erfinden ließ. Denn es giebt auch Schnaps,
der nicht aus Brennereien hervorgeht, gesprochenen und gedruckten Alkohol, der
ebenso verheerend wirkt, ebenso abstumpft und verroht wie der Kartoffelfusel.
Vor mehreren Jahren zitiren der ebenfalls sehr große Bamberger irgend einen
mythischen Amerikaner oder Australier, welcher sein Staunen darüber ausgedrückt
habe» sollte, daß Richter noch nicht Minister war (er wird wohl von einem
Ministerium Richter-Bamberger gesprochen haben, was zu wiederholen die Be¬
scheidenheit des Rednern nicht zuließ); heute würden Herr Bamberger und sein
Amerikaner ihr Staunen wahrscheinlich für sich behalten, nur noch das entzückte
Gejohle in den untersten Regionen der Berliner Tagesliteratur und gelegentlich
die Billigung des Herrn Windhorst begleiten Richter bei seinen Ausbrüchen.
Die akademischen Republikaner und Preußenfresser im Auslande gehen schon
lange dem Gespräch über ihren frühern Liebling verlegen aus dem Wege, was
bösen Menschen viel Vergnügen bereitet.

Über jener „geistreichen" Wendung des Allredners scheint aber deren wich¬
tige Motivirung überhört worden zu sein. Er bekannte, die deutsche Handels¬
politik beschimpfen zu wollen, weil sie keine doktrinäre, keine Traditionspolitik
sei, sondern sich jedesmal nach dem einzelnen Falle, nach den in Frage kommenden
Interessen richte. Eine solche Anerkennung aus solchem Munde — kann Fürst
Bismarck besseres wünschen? Denn was Richter in seiner Verranntheit nicht
merkte, das muß doch seinem sonstigen besten Kunden, dem „gebildeten" gemeinen
Mann einleuchten, der, welches Geschäft er auch betreiben möge, weiß, daß das
Wetter sich nicht nach seinem Anzüge richtet, daß Weizen einen andern Boden
verlangt als Hafer, Holz nicht geschweißt und Eisen nicht geleimt werden kann.
Ein solches Verschuappcu des bornirten Parteimenschen ist mehr wert als hun¬
dert Zeitungsartikel (vorliegenden natürlich mit eingerechnet).

Und nun der gute Professor Hänel, der auch einmal den verfluchten Kerl
spielen und vom Galeriepublikum beklatscht sein wollte. Die Erfahrungen älterer
Kollegen hätten ihm doch lehren können, daß die Herren vom Katheder im
Wettlauf mit Advokaten und Vereinsrednern von Profession gewöhnlich stolpern
und sich überschlagen, nud richtig schlenderte er den Hanpttrumpf sich und den


Gr.mzbow, IV. 188-Z, 6
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/51>, abgerufen am 13.11.2024.