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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters.

zu der ich außerdem nicht die geringste Veranlassung habe. Möglich, ja wahr¬
scheinlich, daß man ihm, wie jedem Lenker eines großen und schwierigen Orga¬
nismus, manches Verschen, manchen Fehltritt wird nachweisen können. Dies
ist die Aufgabe des Historikers. Er mag richten, und wenn es sein muß un¬
barmherzig verdammen, denn auch das Theater hat nach meinen Begriffen eine
große Aufgabe in der Entwicklung der Menschheit zu erfülle", über deren Lö¬
sung die Geschichte der Kulturbestrebungen Rechenschaft verlangen darf. Ten¬
denziöse Angriffe ans dem Gewühl der von der Parteien Haß und Gunst beirrten
Tagesbewegung heraus sind indessen keine Geschichte und nützen umsoweniger,
je deutlicher sie rücksichtslose Absichtlichkeit zu Tage treten lassen. Deshalb wird
diese Schrift nur Ärger, Indignation und boshafte Schadenfreude, aber keine
sittliche Genugthuung bereiten, geschweige denn etwas bessern.

Zum Schluß noch ein Wort. Herr Schlenther hat durch die Form seiner
Broschüre bekundet, daß ihm Geist, Bildung und vor allem die Gabe, Gedanken
in einer pointirter Fassung und in geistvoller Vortragsweise zum Ausdruck zu
bringen, eigen ist. Leidet sein Stil auch zuweilen noch an Gesuchtheit und Ori¬
ginalitätshascherei, so verdient die Klarheit und der Geschmack seiner Schreib¬
weise im übrigen die Anerkennung eines nicht gewöhnlichen schriftstellerischen
Talentes. Was ihm aber auch hier noch mangelt, ist Bescheidenheit und Selbst¬
kritik. Ehe er andre vor seinen Richterstuhl zieht, mag er daher vor allem das
/^ZFt ?at)roy üben. Das ist der aufrichtige Rat eines ehrlichen Mannes, der
ihm wohlwill und der es deshalb bedauert, daß el" so begabter Geist von
seiner Kraft keinen weisern und edlern Gebrauch gemacht hat.


Lügen Sierke.


Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters.

ben sind es vierzig Jahre, daß mehrere Familienväter in Dresden
sehr verstimmt von einer gemeinschaftlichen Umschau unter der
neuesten Jugcndliteratur zurückkehrten. Sie hatten nichts gefunden,
was sie ihren Kindern hätten darbieten mögen, und vor allem
traurig schien es ihnen um den Bilderschmuck zu stehen, der doch
in Büchern für die kleinen Leute mindestens eben so wichtig ist wie der Text. Der
beliebteste Zeichner war damals Theodor Hosemann, der talentvolle und routinirte
Berliner Genremaler, welchen die Brotarbeit längst zum Manieristen gemacht
hatte, und dessen Bilder dem kindlichen Gemüte keinerlei Nahrung gewährten;


Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters.

zu der ich außerdem nicht die geringste Veranlassung habe. Möglich, ja wahr¬
scheinlich, daß man ihm, wie jedem Lenker eines großen und schwierigen Orga¬
nismus, manches Verschen, manchen Fehltritt wird nachweisen können. Dies
ist die Aufgabe des Historikers. Er mag richten, und wenn es sein muß un¬
barmherzig verdammen, denn auch das Theater hat nach meinen Begriffen eine
große Aufgabe in der Entwicklung der Menschheit zu erfülle», über deren Lö¬
sung die Geschichte der Kulturbestrebungen Rechenschaft verlangen darf. Ten¬
denziöse Angriffe ans dem Gewühl der von der Parteien Haß und Gunst beirrten
Tagesbewegung heraus sind indessen keine Geschichte und nützen umsoweniger,
je deutlicher sie rücksichtslose Absichtlichkeit zu Tage treten lassen. Deshalb wird
diese Schrift nur Ärger, Indignation und boshafte Schadenfreude, aber keine
sittliche Genugthuung bereiten, geschweige denn etwas bessern.

Zum Schluß noch ein Wort. Herr Schlenther hat durch die Form seiner
Broschüre bekundet, daß ihm Geist, Bildung und vor allem die Gabe, Gedanken
in einer pointirter Fassung und in geistvoller Vortragsweise zum Ausdruck zu
bringen, eigen ist. Leidet sein Stil auch zuweilen noch an Gesuchtheit und Ori¬
ginalitätshascherei, so verdient die Klarheit und der Geschmack seiner Schreib¬
weise im übrigen die Anerkennung eines nicht gewöhnlichen schriftstellerischen
Talentes. Was ihm aber auch hier noch mangelt, ist Bescheidenheit und Selbst¬
kritik. Ehe er andre vor seinen Richterstuhl zieht, mag er daher vor allem das
/^ZFt ?at)roy üben. Das ist der aufrichtige Rat eines ehrlichen Mannes, der
ihm wohlwill und der es deshalb bedauert, daß el» so begabter Geist von
seiner Kraft keinen weisern und edlern Gebrauch gemacht hat.


Lügen Sierke.


Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters.

ben sind es vierzig Jahre, daß mehrere Familienväter in Dresden
sehr verstimmt von einer gemeinschaftlichen Umschau unter der
neuesten Jugcndliteratur zurückkehrten. Sie hatten nichts gefunden,
was sie ihren Kindern hätten darbieten mögen, und vor allem
traurig schien es ihnen um den Bilderschmuck zu stehen, der doch
in Büchern für die kleinen Leute mindestens eben so wichtig ist wie der Text. Der
beliebteste Zeichner war damals Theodor Hosemann, der talentvolle und routinirte
Berliner Genremaler, welchen die Brotarbeit längst zum Manieristen gemacht
hatte, und dessen Bilder dem kindlichen Gemüte keinerlei Nahrung gewährten;


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[0046] Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters. zu der ich außerdem nicht die geringste Veranlassung habe. Möglich, ja wahr¬ scheinlich, daß man ihm, wie jedem Lenker eines großen und schwierigen Orga¬ nismus, manches Verschen, manchen Fehltritt wird nachweisen können. Dies ist die Aufgabe des Historikers. Er mag richten, und wenn es sein muß un¬ barmherzig verdammen, denn auch das Theater hat nach meinen Begriffen eine große Aufgabe in der Entwicklung der Menschheit zu erfülle», über deren Lö¬ sung die Geschichte der Kulturbestrebungen Rechenschaft verlangen darf. Ten¬ denziöse Angriffe ans dem Gewühl der von der Parteien Haß und Gunst beirrten Tagesbewegung heraus sind indessen keine Geschichte und nützen umsoweniger, je deutlicher sie rücksichtslose Absichtlichkeit zu Tage treten lassen. Deshalb wird diese Schrift nur Ärger, Indignation und boshafte Schadenfreude, aber keine sittliche Genugthuung bereiten, geschweige denn etwas bessern. Zum Schluß noch ein Wort. Herr Schlenther hat durch die Form seiner Broschüre bekundet, daß ihm Geist, Bildung und vor allem die Gabe, Gedanken in einer pointirter Fassung und in geistvoller Vortragsweise zum Ausdruck zu bringen, eigen ist. Leidet sein Stil auch zuweilen noch an Gesuchtheit und Ori¬ ginalitätshascherei, so verdient die Klarheit und der Geschmack seiner Schreib¬ weise im übrigen die Anerkennung eines nicht gewöhnlichen schriftstellerischen Talentes. Was ihm aber auch hier noch mangelt, ist Bescheidenheit und Selbst¬ kritik. Ehe er andre vor seinen Richterstuhl zieht, mag er daher vor allem das /^ZFt ?at)roy üben. Das ist der aufrichtige Rat eines ehrlichen Mannes, der ihm wohlwill und der es deshalb bedauert, daß el» so begabter Geist von seiner Kraft keinen weisern und edlern Gebrauch gemacht hat. Lügen Sierke. Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters. ben sind es vierzig Jahre, daß mehrere Familienväter in Dresden sehr verstimmt von einer gemeinschaftlichen Umschau unter der neuesten Jugcndliteratur zurückkehrten. Sie hatten nichts gefunden, was sie ihren Kindern hätten darbieten mögen, und vor allem traurig schien es ihnen um den Bilderschmuck zu stehen, der doch in Büchern für die kleinen Leute mindestens eben so wichtig ist wie der Text. Der beliebteste Zeichner war damals Theodor Hosemann, der talentvolle und routinirte Berliner Genremaler, welchen die Brotarbeit längst zum Manieristen gemacht hatte, und dessen Bilder dem kindlichen Gemüte keinerlei Nahrung gewährten;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/46>, abgerufen am 13.11.2024.