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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der Verfassungsbruch der Fortschrittspartei.

lZ im vergangenen August der spanische Handelsvertrag von dem
Reichstage beraten wurde, da erhob sich der Reichstagsabgeord¬
nete Professor or, Hamel mit der ihm eignen sittlichen Entrüstung,
um den Reichskanzler des Verfassungsbruchcs vor dem Reiche
und ganz Europa anzuklagen, weil er die Verordnung über das
Provisorische Inkrafttreten des von allen beteiligten Kreisen dringend herbei¬
gewünschten spanischen Handelsvertrages ohne Mitwirkung des in den Ferien
weilenden Reichstages erlassen hatte. Der fortschrittliche Demosthenes bean¬
tragte nicht nur, die von der Reichsrcgierung erbetene Indemnität zu verwerfen,
sondern er fügte noch hinzu, daß er bei dem Vorhandensein eines Minister-
vcrantwortlichkeitsgesetzes den schuldigen Minister nicht nur unter Anklage stellen,
sondern auch eines öffentlichen Amtes für unfähig erklären würde. Letzteres
wahrscheinlich, um sich selbst als ein verfassungstreuerer und würdigerer Nach¬
folger zu erweisen. Herr Hänel ist zwar Professor des Staatsrechts, allein
seine übergroße und segensreiche parlamentarische Thätigkeit läßt ihm -- wie
seine Kollegen auf den Lehrstühlen des öffentlichen Rechts bezeugen werden --
zu eingehenden staatsrechtlichen Studien keine Zeit, sonst würde er wissen, daß
das Recht und die Pflicht der Staatsregierung, bei dringlichen Umständen die
notwendigen Vorkehrungen durch allgemeine landesherrliche Verordnungen zu
treffen, von alters her so allgemein anerkannt wurden, daß mehrere Verfasfungs-
urkunden aus der Zeit vor 1848, z. B. die bairische, es garnicht für nötig er¬
achteten, diese Befugnis der Krone ausdrücklich zu erwähnen (vergl. das Staats¬
recht von Zöpfl, 5. Aufl.. II. S. 526 ff.), daß in den ausländischen Verfassungen
und selbst in dem fortschrittlich unbekannten Ideal des parlamentarisch re¬
gierten Englands eine Inäsmnit^-Lili nicht zu den Seltenheiten gehört.


Grenzboten IV. 1383. 42


Der Verfassungsbruch der Fortschrittspartei.

lZ im vergangenen August der spanische Handelsvertrag von dem
Reichstage beraten wurde, da erhob sich der Reichstagsabgeord¬
nete Professor or, Hamel mit der ihm eignen sittlichen Entrüstung,
um den Reichskanzler des Verfassungsbruchcs vor dem Reiche
und ganz Europa anzuklagen, weil er die Verordnung über das
Provisorische Inkrafttreten des von allen beteiligten Kreisen dringend herbei¬
gewünschten spanischen Handelsvertrages ohne Mitwirkung des in den Ferien
weilenden Reichstages erlassen hatte. Der fortschrittliche Demosthenes bean¬
tragte nicht nur, die von der Reichsrcgierung erbetene Indemnität zu verwerfen,
sondern er fügte noch hinzu, daß er bei dem Vorhandensein eines Minister-
vcrantwortlichkeitsgesetzes den schuldigen Minister nicht nur unter Anklage stellen,
sondern auch eines öffentlichen Amtes für unfähig erklären würde. Letzteres
wahrscheinlich, um sich selbst als ein verfassungstreuerer und würdigerer Nach¬
folger zu erweisen. Herr Hänel ist zwar Professor des Staatsrechts, allein
seine übergroße und segensreiche parlamentarische Thätigkeit läßt ihm — wie
seine Kollegen auf den Lehrstühlen des öffentlichen Rechts bezeugen werden —
zu eingehenden staatsrechtlichen Studien keine Zeit, sonst würde er wissen, daß
das Recht und die Pflicht der Staatsregierung, bei dringlichen Umständen die
notwendigen Vorkehrungen durch allgemeine landesherrliche Verordnungen zu
treffen, von alters her so allgemein anerkannt wurden, daß mehrere Verfasfungs-
urkunden aus der Zeit vor 1848, z. B. die bairische, es garnicht für nötig er¬
achteten, diese Befugnis der Krone ausdrücklich zu erwähnen (vergl. das Staats¬
recht von Zöpfl, 5. Aufl.. II. S. 526 ff.), daß in den ausländischen Verfassungen
und selbst in dem fortschrittlich unbekannten Ideal des parlamentarisch re¬
gierten Englands eine Inäsmnit^-Lili nicht zu den Seltenheiten gehört.


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[0339] [Abbildung] Der Verfassungsbruch der Fortschrittspartei. lZ im vergangenen August der spanische Handelsvertrag von dem Reichstage beraten wurde, da erhob sich der Reichstagsabgeord¬ nete Professor or, Hamel mit der ihm eignen sittlichen Entrüstung, um den Reichskanzler des Verfassungsbruchcs vor dem Reiche und ganz Europa anzuklagen, weil er die Verordnung über das Provisorische Inkrafttreten des von allen beteiligten Kreisen dringend herbei¬ gewünschten spanischen Handelsvertrages ohne Mitwirkung des in den Ferien weilenden Reichstages erlassen hatte. Der fortschrittliche Demosthenes bean¬ tragte nicht nur, die von der Reichsrcgierung erbetene Indemnität zu verwerfen, sondern er fügte noch hinzu, daß er bei dem Vorhandensein eines Minister- vcrantwortlichkeitsgesetzes den schuldigen Minister nicht nur unter Anklage stellen, sondern auch eines öffentlichen Amtes für unfähig erklären würde. Letzteres wahrscheinlich, um sich selbst als ein verfassungstreuerer und würdigerer Nach¬ folger zu erweisen. Herr Hänel ist zwar Professor des Staatsrechts, allein seine übergroße und segensreiche parlamentarische Thätigkeit läßt ihm — wie seine Kollegen auf den Lehrstühlen des öffentlichen Rechts bezeugen werden — zu eingehenden staatsrechtlichen Studien keine Zeit, sonst würde er wissen, daß das Recht und die Pflicht der Staatsregierung, bei dringlichen Umständen die notwendigen Vorkehrungen durch allgemeine landesherrliche Verordnungen zu treffen, von alters her so allgemein anerkannt wurden, daß mehrere Verfasfungs- urkunden aus der Zeit vor 1848, z. B. die bairische, es garnicht für nötig er¬ achteten, diese Befugnis der Krone ausdrücklich zu erwähnen (vergl. das Staats¬ recht von Zöpfl, 5. Aufl.. II. S. 526 ff.), daß in den ausländischen Verfassungen und selbst in dem fortschrittlich unbekannten Ideal des parlamentarisch re¬ gierten Englands eine Inäsmnit^-Lili nicht zu den Seltenheiten gehört. Grenzboten IV. 1383. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/339>, abgerufen am 27.07.2024.