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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

Beratungen oft mehr als einmal täglich sah, war ein heiterer und ungezwun¬
gener. Es war zwischen den Beiden wie in einem Kinderspiel, jeder kannte
das Geheimnis des andern und verriet es nicht. Oswald selbst hatte sich
anfangs keine Rolle in den Schaustellungen zugedacht, da ihm die Leitung des
Ganzen oblag; auch nutzte Margarethe seine Stellung als Regisseur aufs
gründlichste aus, er mußte fortwährend an ihrer Seite sein, ihr bald auf diese,
bald auf jene Frage Antwort geben, ihr bald diese, bald jene Pose darstellen
helfen und wie alle jene Künste waren, die kokette Liebe erfindet, um sich selbst
und dem Geliebten ein Genüge zu thun. Später änderte Oswald das Schlu߬
tableau, in welchem die Genien des Hauses ihre Wünsche darstellen sollten. In
dem Bilde hatte er den Kindern des Hauses und sich selbst eine Rolle zugedacht.
Frau Gensve meinte jedoch, daß dieses Bild nur von Verwandten gestellt werden
dürfte und daß, da ja Oswald vorläufig nur der beste Freund des Hanfes
sei, seine Stelle im Bild von Großheim eingenommen werden müßte. Trotz der
verbindlichen Worte und jenes zweideutigen Lächelns, welches ebensogut die
bittere Medizin versüßen oder eine schöne Hoffnung erwecken konnte, fühlte sich
Oswald tief verletzt. Er war aber zu loyal, um am Vorabende des Festes die
Leitung im Stich zu lassen; allein diese Rede lastete auf seiner Seele, und um
sich von dem Druck zu befreien, schrieb er an Margarethen einen Brief, worin
er ihr eröffnete, was sie schon längst wisse, daß er sie tief und innig liebe. Er
erklärte ihr, daß ihm die Gesinnungen der Eltern immer wieder zweifelhaft
geworden wären, daß aber, wenn sie selbst in der ihm geoffenbarten Liebe stand¬
haft bliebe, ihm die Erfüllung ihrer und seiner Wünsche gewiß sei. Er wußte
am Abend der Vorstellung den Brief Margarethen heimlich zuzustecken; sie hatte
ihn noch vor dem Souper gelesen, und als sie und Oswald bei Tische zusammen¬
saßen, noch die Möglichkeit gefunden, mit ihm darüber zu sprechen. Ihre Sprache
war eine andre, als Oswald erwartete. Sie machte ihm Vorwürfe, daß er
ihr hinter dem Rücken der Eltern geschrieben habe, denen sie als gehorsames
Kind den Brief eigentlich zeigen müßte. Auch bat sie ihn, sein stürmisches
Drängen zu zügeln und ihr die nötige Zeit zu einem Schritt zu gönnen, der
über ihr ganzes Lebensschicksal entscheide. Oswald war es unmöglich, etwas
zu erwiedern; Frau Geuöve hatte ihrem Sohne den Auftrag gegeben, das Paar
zu überwachen und jede intime Unterredung zu verhindern, und Martin hatte
als zukünftiger Diplomat seine Mission zur vollen Zufriedenheit der Mutter
erfüllt. Mit schwerem Herzen hatte Oswald das Fest verlassen; Großheim, der
ihn, wie gewöhnlich begleitete, versprach, ihn in einigen Tagen aufzusuchen, nach¬
dem er vorher bei Gensves weitere Forschungen angestellt hätte.

5.

Am nächsten Tage nach dem Feste verließ die Familie die Stadt, um ihre
Villa bei Potsdam zu beziehen, ohne Oswald hiervon in Kenntnis zu setzen.


Francesca von Rimini.

Beratungen oft mehr als einmal täglich sah, war ein heiterer und ungezwun¬
gener. Es war zwischen den Beiden wie in einem Kinderspiel, jeder kannte
das Geheimnis des andern und verriet es nicht. Oswald selbst hatte sich
anfangs keine Rolle in den Schaustellungen zugedacht, da ihm die Leitung des
Ganzen oblag; auch nutzte Margarethe seine Stellung als Regisseur aufs
gründlichste aus, er mußte fortwährend an ihrer Seite sein, ihr bald auf diese,
bald auf jene Frage Antwort geben, ihr bald diese, bald jene Pose darstellen
helfen und wie alle jene Künste waren, die kokette Liebe erfindet, um sich selbst
und dem Geliebten ein Genüge zu thun. Später änderte Oswald das Schlu߬
tableau, in welchem die Genien des Hauses ihre Wünsche darstellen sollten. In
dem Bilde hatte er den Kindern des Hauses und sich selbst eine Rolle zugedacht.
Frau Gensve meinte jedoch, daß dieses Bild nur von Verwandten gestellt werden
dürfte und daß, da ja Oswald vorläufig nur der beste Freund des Hanfes
sei, seine Stelle im Bild von Großheim eingenommen werden müßte. Trotz der
verbindlichen Worte und jenes zweideutigen Lächelns, welches ebensogut die
bittere Medizin versüßen oder eine schöne Hoffnung erwecken konnte, fühlte sich
Oswald tief verletzt. Er war aber zu loyal, um am Vorabende des Festes die
Leitung im Stich zu lassen; allein diese Rede lastete auf seiner Seele, und um
sich von dem Druck zu befreien, schrieb er an Margarethen einen Brief, worin
er ihr eröffnete, was sie schon längst wisse, daß er sie tief und innig liebe. Er
erklärte ihr, daß ihm die Gesinnungen der Eltern immer wieder zweifelhaft
geworden wären, daß aber, wenn sie selbst in der ihm geoffenbarten Liebe stand¬
haft bliebe, ihm die Erfüllung ihrer und seiner Wünsche gewiß sei. Er wußte
am Abend der Vorstellung den Brief Margarethen heimlich zuzustecken; sie hatte
ihn noch vor dem Souper gelesen, und als sie und Oswald bei Tische zusammen¬
saßen, noch die Möglichkeit gefunden, mit ihm darüber zu sprechen. Ihre Sprache
war eine andre, als Oswald erwartete. Sie machte ihm Vorwürfe, daß er
ihr hinter dem Rücken der Eltern geschrieben habe, denen sie als gehorsames
Kind den Brief eigentlich zeigen müßte. Auch bat sie ihn, sein stürmisches
Drängen zu zügeln und ihr die nötige Zeit zu einem Schritt zu gönnen, der
über ihr ganzes Lebensschicksal entscheide. Oswald war es unmöglich, etwas
zu erwiedern; Frau Geuöve hatte ihrem Sohne den Auftrag gegeben, das Paar
zu überwachen und jede intime Unterredung zu verhindern, und Martin hatte
als zukünftiger Diplomat seine Mission zur vollen Zufriedenheit der Mutter
erfüllt. Mit schwerem Herzen hatte Oswald das Fest verlassen; Großheim, der
ihn, wie gewöhnlich begleitete, versprach, ihn in einigen Tagen aufzusuchen, nach¬
dem er vorher bei Gensves weitere Forschungen angestellt hätte.

5.

Am nächsten Tage nach dem Feste verließ die Familie die Stadt, um ihre
Villa bei Potsdam zu beziehen, ohne Oswald hiervon in Kenntnis zu setzen.


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[0216] Francesca von Rimini. Beratungen oft mehr als einmal täglich sah, war ein heiterer und ungezwun¬ gener. Es war zwischen den Beiden wie in einem Kinderspiel, jeder kannte das Geheimnis des andern und verriet es nicht. Oswald selbst hatte sich anfangs keine Rolle in den Schaustellungen zugedacht, da ihm die Leitung des Ganzen oblag; auch nutzte Margarethe seine Stellung als Regisseur aufs gründlichste aus, er mußte fortwährend an ihrer Seite sein, ihr bald auf diese, bald auf jene Frage Antwort geben, ihr bald diese, bald jene Pose darstellen helfen und wie alle jene Künste waren, die kokette Liebe erfindet, um sich selbst und dem Geliebten ein Genüge zu thun. Später änderte Oswald das Schlu߬ tableau, in welchem die Genien des Hauses ihre Wünsche darstellen sollten. In dem Bilde hatte er den Kindern des Hauses und sich selbst eine Rolle zugedacht. Frau Gensve meinte jedoch, daß dieses Bild nur von Verwandten gestellt werden dürfte und daß, da ja Oswald vorläufig nur der beste Freund des Hanfes sei, seine Stelle im Bild von Großheim eingenommen werden müßte. Trotz der verbindlichen Worte und jenes zweideutigen Lächelns, welches ebensogut die bittere Medizin versüßen oder eine schöne Hoffnung erwecken konnte, fühlte sich Oswald tief verletzt. Er war aber zu loyal, um am Vorabende des Festes die Leitung im Stich zu lassen; allein diese Rede lastete auf seiner Seele, und um sich von dem Druck zu befreien, schrieb er an Margarethen einen Brief, worin er ihr eröffnete, was sie schon längst wisse, daß er sie tief und innig liebe. Er erklärte ihr, daß ihm die Gesinnungen der Eltern immer wieder zweifelhaft geworden wären, daß aber, wenn sie selbst in der ihm geoffenbarten Liebe stand¬ haft bliebe, ihm die Erfüllung ihrer und seiner Wünsche gewiß sei. Er wußte am Abend der Vorstellung den Brief Margarethen heimlich zuzustecken; sie hatte ihn noch vor dem Souper gelesen, und als sie und Oswald bei Tische zusammen¬ saßen, noch die Möglichkeit gefunden, mit ihm darüber zu sprechen. Ihre Sprache war eine andre, als Oswald erwartete. Sie machte ihm Vorwürfe, daß er ihr hinter dem Rücken der Eltern geschrieben habe, denen sie als gehorsames Kind den Brief eigentlich zeigen müßte. Auch bat sie ihn, sein stürmisches Drängen zu zügeln und ihr die nötige Zeit zu einem Schritt zu gönnen, der über ihr ganzes Lebensschicksal entscheide. Oswald war es unmöglich, etwas zu erwiedern; Frau Geuöve hatte ihrem Sohne den Auftrag gegeben, das Paar zu überwachen und jede intime Unterredung zu verhindern, und Martin hatte als zukünftiger Diplomat seine Mission zur vollen Zufriedenheit der Mutter erfüllt. Mit schwerem Herzen hatte Oswald das Fest verlassen; Großheim, der ihn, wie gewöhnlich begleitete, versprach, ihn in einigen Tagen aufzusuchen, nach¬ dem er vorher bei Gensves weitere Forschungen angestellt hätte. 5. Am nächsten Tage nach dem Feste verließ die Familie die Stadt, um ihre Villa bei Potsdam zu beziehen, ohne Oswald hiervon in Kenntnis zu setzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/216>, abgerufen am 13.11.2024.