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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Georg lVaitz.

n stiller Zurückgezogenheit begeht Georg Waitz heilte die siebzig¬
jährige Wiederkehr seines Geburtstages, Jede öffentliche Feier,
die seine Schüler plänkelt, hat er mit der tiefen Bescheidenheit,
die ihm stets in Bezug auf die eigne Person innegewohnt, ab¬
gelehnt. Und wohl begreifen wir es, daß man an einem solchen
Tage ruhige Einkehr in sich selbst hält, an solchem Tage, wo man zurückschaut
auf ein langes, gesegnetes Leben, das nach dem Bibelworte köstlich gewesen, weil
es Mühe und Arbeit gewesen. Dem alten Schüler aber sei es vergönnt, zu
diesem Tage auch öffentlich Zeugnis abzulegen von des Meisters Lehren und
Wirken.

In den Nordmarkcn dentschen Landes, in Flensburg, ist Waitz geboren.
Schon auf der Schule empfing der Knabe dauernde Anregung für sein späteres
Studium; die Schulbibliothek, an deren Neuordnung er teilnehmen durste, war
nicht arm an historischen Büchern, der Lehrer, der den Geschichtsunterricht in
der Prima gab und selbständige Forschungen in der römischen und nordischen
Geschichte angestellt hatte, hat entschieden bedeutenden Einfluß geübt. "Am meisten
-- so gesteht Waitz selbst -- hat Niebuhrs Römische Geschichte schon damals
auf mich gewirkt: sie hat mich wohl vorzugsweise zu dem Entschuß gebracht,
mich auf der Universität historischen Studien mit Vorliebe zu widmen, während
die Jurisprudenz, deren hohe Wichtigkeit zunächst für die Erkenntnis der rö¬
mischen Geschichte mir gerade auch in Niebuhrs Arbeiten entgegentrat, das
Hauptfach sein sollte." Diese tiefe Bewunderung von Niebuhrs römischer Ge¬
schichte hat dann Waitz anch seinen Schülern einzuflößen gewußt, in einer seiner
Vorlesungen, Einleitung in die deutsche Geschichte, führte er das Buch mit warmen
Worten an; wenn es auch unmittelbar nicht die Forschung auf dem Gebiete
deutscher Geschichte beeinflußt habe, so habe man hier doch zum erstenmal ge¬
sehen, wie ein Meister der Kritik erstanden, der schonungslos mit dem Schutt
der Jahrhunderte aufgeräumt, aber zugleich in schöpferischer Kühnheit, indem
er sich ganz in seine Aufgabe versenkt und in seinem Geist sich die Verhält¬
nisse aller entschwundenen Zeiten wiedcrgebären läßt, neu aufgebaut habe: das
römische Volksleben in seiner Totalität. Waitz äußerte wohl einmal zu seinen
Schülern: "Ein ordentlicher Historiker muß wenigstens aller halben Jahre
Niebuhrs römische Geschichte von neuem durchlesen."

Und doch war es nicht das Studium der Jurisprudenz und, wie man vielleicht
erwarten sollte, das des römischen Rechts, das den jungen Mann, der sich 1832


Georg lVaitz.

n stiller Zurückgezogenheit begeht Georg Waitz heilte die siebzig¬
jährige Wiederkehr seines Geburtstages, Jede öffentliche Feier,
die seine Schüler plänkelt, hat er mit der tiefen Bescheidenheit,
die ihm stets in Bezug auf die eigne Person innegewohnt, ab¬
gelehnt. Und wohl begreifen wir es, daß man an einem solchen
Tage ruhige Einkehr in sich selbst hält, an solchem Tage, wo man zurückschaut
auf ein langes, gesegnetes Leben, das nach dem Bibelworte köstlich gewesen, weil
es Mühe und Arbeit gewesen. Dem alten Schüler aber sei es vergönnt, zu
diesem Tage auch öffentlich Zeugnis abzulegen von des Meisters Lehren und
Wirken.

In den Nordmarkcn dentschen Landes, in Flensburg, ist Waitz geboren.
Schon auf der Schule empfing der Knabe dauernde Anregung für sein späteres
Studium; die Schulbibliothek, an deren Neuordnung er teilnehmen durste, war
nicht arm an historischen Büchern, der Lehrer, der den Geschichtsunterricht in
der Prima gab und selbständige Forschungen in der römischen und nordischen
Geschichte angestellt hatte, hat entschieden bedeutenden Einfluß geübt. „Am meisten
— so gesteht Waitz selbst — hat Niebuhrs Römische Geschichte schon damals
auf mich gewirkt: sie hat mich wohl vorzugsweise zu dem Entschuß gebracht,
mich auf der Universität historischen Studien mit Vorliebe zu widmen, während
die Jurisprudenz, deren hohe Wichtigkeit zunächst für die Erkenntnis der rö¬
mischen Geschichte mir gerade auch in Niebuhrs Arbeiten entgegentrat, das
Hauptfach sein sollte." Diese tiefe Bewunderung von Niebuhrs römischer Ge¬
schichte hat dann Waitz anch seinen Schülern einzuflößen gewußt, in einer seiner
Vorlesungen, Einleitung in die deutsche Geschichte, führte er das Buch mit warmen
Worten an; wenn es auch unmittelbar nicht die Forschung auf dem Gebiete
deutscher Geschichte beeinflußt habe, so habe man hier doch zum erstenmal ge¬
sehen, wie ein Meister der Kritik erstanden, der schonungslos mit dem Schutt
der Jahrhunderte aufgeräumt, aber zugleich in schöpferischer Kühnheit, indem
er sich ganz in seine Aufgabe versenkt und in seinem Geist sich die Verhält¬
nisse aller entschwundenen Zeiten wiedcrgebären läßt, neu aufgebaut habe: das
römische Volksleben in seiner Totalität. Waitz äußerte wohl einmal zu seinen
Schülern: „Ein ordentlicher Historiker muß wenigstens aller halben Jahre
Niebuhrs römische Geschichte von neuem durchlesen."

Und doch war es nicht das Studium der Jurisprudenz und, wie man vielleicht
erwarten sollte, das des römischen Rechts, das den jungen Mann, der sich 1832


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[0128] Georg lVaitz. n stiller Zurückgezogenheit begeht Georg Waitz heilte die siebzig¬ jährige Wiederkehr seines Geburtstages, Jede öffentliche Feier, die seine Schüler plänkelt, hat er mit der tiefen Bescheidenheit, die ihm stets in Bezug auf die eigne Person innegewohnt, ab¬ gelehnt. Und wohl begreifen wir es, daß man an einem solchen Tage ruhige Einkehr in sich selbst hält, an solchem Tage, wo man zurückschaut auf ein langes, gesegnetes Leben, das nach dem Bibelworte köstlich gewesen, weil es Mühe und Arbeit gewesen. Dem alten Schüler aber sei es vergönnt, zu diesem Tage auch öffentlich Zeugnis abzulegen von des Meisters Lehren und Wirken. In den Nordmarkcn dentschen Landes, in Flensburg, ist Waitz geboren. Schon auf der Schule empfing der Knabe dauernde Anregung für sein späteres Studium; die Schulbibliothek, an deren Neuordnung er teilnehmen durste, war nicht arm an historischen Büchern, der Lehrer, der den Geschichtsunterricht in der Prima gab und selbständige Forschungen in der römischen und nordischen Geschichte angestellt hatte, hat entschieden bedeutenden Einfluß geübt. „Am meisten — so gesteht Waitz selbst — hat Niebuhrs Römische Geschichte schon damals auf mich gewirkt: sie hat mich wohl vorzugsweise zu dem Entschuß gebracht, mich auf der Universität historischen Studien mit Vorliebe zu widmen, während die Jurisprudenz, deren hohe Wichtigkeit zunächst für die Erkenntnis der rö¬ mischen Geschichte mir gerade auch in Niebuhrs Arbeiten entgegentrat, das Hauptfach sein sollte." Diese tiefe Bewunderung von Niebuhrs römischer Ge¬ schichte hat dann Waitz anch seinen Schülern einzuflößen gewußt, in einer seiner Vorlesungen, Einleitung in die deutsche Geschichte, führte er das Buch mit warmen Worten an; wenn es auch unmittelbar nicht die Forschung auf dem Gebiete deutscher Geschichte beeinflußt habe, so habe man hier doch zum erstenmal ge¬ sehen, wie ein Meister der Kritik erstanden, der schonungslos mit dem Schutt der Jahrhunderte aufgeräumt, aber zugleich in schöpferischer Kühnheit, indem er sich ganz in seine Aufgabe versenkt und in seinem Geist sich die Verhält¬ nisse aller entschwundenen Zeiten wiedcrgebären läßt, neu aufgebaut habe: das römische Volksleben in seiner Totalität. Waitz äußerte wohl einmal zu seinen Schülern: „Ein ordentlicher Historiker muß wenigstens aller halben Jahre Niebuhrs römische Geschichte von neuem durchlesen." Und doch war es nicht das Studium der Jurisprudenz und, wie man vielleicht erwarten sollte, das des römischen Rechts, das den jungen Mann, der sich 1832

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/128>, abgerufen am 13.11.2024.