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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Literatur.

Genöve, mit dessen wichtigsten Mitgliedern der geneigte Leser die Bekanntschaft
machte. Es würde freilich noch erübrigen, auch von dem weiblichen Verkehr des
Hauses zu sprechen; allein dieser ist ohne Einfluß auf dasselbe gewesen. Zu
einer weiblichen Freundschaft konnte Frau Bertha Gcnöve nicht gelangen; die
Geschäftsverbindung, welche die Männer zusammengebracht hatte, führte wohl
auch zuweilen eine Annäherung der weiblichen Familiengenossen herbei, aber
doch mir rein äußerlich. Frau Gerson hatte lieber Männer um sich, die ihr
Schmeicheleien sagten, als Frauen, denen sie etwa den Vorrang in den Gesell¬
schaften abringen mußte. Auch ihre Tochter Margarethe war zu sehr in Selbst¬
sucht und Dünkel erzogen worden, um des echten Gefühles des Freundschaft
fähig zu sein. Ihr Verhältnis zu Elfe Müller war ebenfalls Schein, diese, die
Tochter eines bekannten Schriftstellers -- zur Unterscheidung von den vielen
gleichen Namens nannte er sich Müller von Jüterbogk -- war schon mit fünf¬
zehn Jahren in alle gesellschaftlichen Genüsse eingeweiht worden. Ihr Vater,
dem Literatur die melkende Kuh war, machte ein großes Hans, indem er seine
reichen Einnahmen gänzlich verbrauchte und sich um die Zukunft keine Sorge
machte. Mit achtzehn Jahren hatte Elfe bereits ihre dreihundertste Abendgesell¬
schaft mitgemacht, mit neunzehn Jahren begann sie zu verblühen. Ihre im Absteigen
begriffene Schönheit gab einen passenden Hintergrund zu der in voller Blüte
stehenden Margarethe, und namentlich aus diesem Grunde hatte letztere sür sie
eine besondre Zuneigung. Beide Mädchen waren unzertrennlich und strömten
äußerlich in Freundschaftsbezeugungen über, wofür sie sich innerlich umsomehr
haßten. (Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Das Reichsgesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom Is. Juni
1883, mit Einleitung und Erläuterungen. Von E. von Woedtkc, Regieningsrat. Berlin
und Leipzig, I. Gnttcntag (D. Collin), 1833. 233 S.

?ost tot äiserumiiÄ rorum ist der erste Teil des großen sozial-politischen Ge¬
bäudes aufgerichtet und unter Dach gebracht. Die Kämpfe um das Gesetz spiegeln
sich noch in dessen Inhalt wieder, der nach vielen Richtungen, um richtig verstanden
SU werden, der Erläuterung bedarf. Für eine solche giebt weder die Wissenschaft
genügende Hilfsmittel, noch die ausländische Gesetzgebung ein Beispiel, denn das
deutsche Volk, unter Führung seines großen Kanzlers, hat es übernommen, zum
erstenmale und selbständig an die Lösung der schwierigsten Fragen heranzutreten.
Dus Auslegungsmaterial läßt sich nur aus den verschiednen Stadien schöpfen, welche
das Gesetz zu durchlaufen hatte. Bei den Beratungen, bevor der Entwurf an den


Literatur.

Genöve, mit dessen wichtigsten Mitgliedern der geneigte Leser die Bekanntschaft
machte. Es würde freilich noch erübrigen, auch von dem weiblichen Verkehr des
Hauses zu sprechen; allein dieser ist ohne Einfluß auf dasselbe gewesen. Zu
einer weiblichen Freundschaft konnte Frau Bertha Gcnöve nicht gelangen; die
Geschäftsverbindung, welche die Männer zusammengebracht hatte, führte wohl
auch zuweilen eine Annäherung der weiblichen Familiengenossen herbei, aber
doch mir rein äußerlich. Frau Gerson hatte lieber Männer um sich, die ihr
Schmeicheleien sagten, als Frauen, denen sie etwa den Vorrang in den Gesell¬
schaften abringen mußte. Auch ihre Tochter Margarethe war zu sehr in Selbst¬
sucht und Dünkel erzogen worden, um des echten Gefühles des Freundschaft
fähig zu sein. Ihr Verhältnis zu Elfe Müller war ebenfalls Schein, diese, die
Tochter eines bekannten Schriftstellers — zur Unterscheidung von den vielen
gleichen Namens nannte er sich Müller von Jüterbogk — war schon mit fünf¬
zehn Jahren in alle gesellschaftlichen Genüsse eingeweiht worden. Ihr Vater,
dem Literatur die melkende Kuh war, machte ein großes Hans, indem er seine
reichen Einnahmen gänzlich verbrauchte und sich um die Zukunft keine Sorge
machte. Mit achtzehn Jahren hatte Elfe bereits ihre dreihundertste Abendgesell¬
schaft mitgemacht, mit neunzehn Jahren begann sie zu verblühen. Ihre im Absteigen
begriffene Schönheit gab einen passenden Hintergrund zu der in voller Blüte
stehenden Margarethe, und namentlich aus diesem Grunde hatte letztere sür sie
eine besondre Zuneigung. Beide Mädchen waren unzertrennlich und strömten
äußerlich in Freundschaftsbezeugungen über, wofür sie sich innerlich umsomehr
haßten. (Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Das Reichsgesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom Is. Juni
1883, mit Einleitung und Erläuterungen. Von E. von Woedtkc, Regieningsrat. Berlin
und Leipzig, I. Gnttcntag (D. Collin), 1833. 233 S.

?ost tot äiserumiiÄ rorum ist der erste Teil des großen sozial-politischen Ge¬
bäudes aufgerichtet und unter Dach gebracht. Die Kämpfe um das Gesetz spiegeln
sich noch in dessen Inhalt wieder, der nach vielen Richtungen, um richtig verstanden
SU werden, der Erläuterung bedarf. Für eine solche giebt weder die Wissenschaft
genügende Hilfsmittel, noch die ausländische Gesetzgebung ein Beispiel, denn das
deutsche Volk, unter Führung seines großen Kanzlers, hat es übernommen, zum
erstenmale und selbständig an die Lösung der schwierigsten Fragen heranzutreten.
Dus Auslegungsmaterial läßt sich nur aus den verschiednen Stadien schöpfen, welche
das Gesetz zu durchlaufen hatte. Bei den Beratungen, bevor der Entwurf an den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/121>, abgerufen am 01.09.2024.