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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Ich war soeben bei ihm und bin nicht unzufrieden. Er ist ohne Fieber,
und der Blutsturz, den er gestern Abend hatte, ist vielleicht eine Erleichte-
rung gewesen, welche Hoffnung giebt. Ich sage: vielleicht.

Gräfin Sibylle antwortete nicht. Sie legte sich in die Kissen zurück.




Vierundvierzigstes Uapitel.

Baron von Sextus hatte eine qualvolle Nacht zugebracht. Die Erlebnisse
des vergangnen Tages wurden in der Stille und Dunkelheit immer lebhafter
in ihm, während er zu schlafen versuchte, und die unruhigen Gedanken, welche
ihn verfolgten, nahmen eine so peinigende Form an, daß er endlich Licht an¬
zündete und im preußischen Landrecht las, um sich müde zu machen. Aber er
fing gar bald an, sich über einige Punkte darin zu ärgern und gab das Lesen
auf, um nachzudenken.

Die Lage der Dinge um ihn herum war ihm verdächtig und unbehaglich.
Er hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Mochte der Freiherr von Val-
deghem nun die Wahrheit gesagt oder gelogen haben, immer blieb die Gräfin
Sibylle nicht ohne den Schein eines zweideutigen Benehmens. Baron Sextus
beschloß, um Klarheit zu erhalten, der Sache näher auf den Leib zu rücken.
Er wollte am andern Morgen nach Scholldorf reiten, Eberhardt besuchen und
ihn geradezu fragen, wessen Sohn er sei und wie es mit seiner Vergangenheit
stehe. Mann gegen Mann stellt sich das am leichtesten heraus, sagte sich der alte
Herr. Wenn dieser junge Mann mir ins Auge sieht, so bringt er es nicht
fertig, zu lügen. Das weitere wird sich schon finden, eins folgt dann aus dein
andern. Aber bei diesem Herrn Eschenburg liegt der Schwerpunkt der ganzen
Geschichte, und ich werde es so machen, wie ich es bei der Schwadron gemacht
habe: ich knie demjenigen auf die Brust, der am tiefsten drin steckt, und dann
muß der Fuchs zum Loche heraus.

Es wurde Morgen, und Baron Sextus stand früher als gewöhnlich auf,
fuhr in seine Stiefel, wie er stets gleich beim Aufstehen zu thun pflegte, zog
die gewohnte Jnterimsuuiform an, von der er behauptete, sie sei der einzige
Schlafrock, den ein Mann anständiger Weise tragen könne, und ließ sich den
Kaffee in das Arbeitszimmer bringen.

Da meldete ihm der Kammerdiener, indem er das Frühstück brachte, daß
der Herr Pfarrer Sengstack ans Scholldvrf ihn in einer dringenden Angelegen¬
heit zu sprechen wünsche.

Verwundert über einen so frühen Besuch ließ der Baron den Pfarrer zu
sich bitten.

Pfarrer Sengstack war in einer ganz ungewöhnlichen Aufregung, sodaß
seine sonstige Schüchternheit und Verlegenheit in Gegenwart vornehmer Per¬
sonen ihn ganz verlassen hatte. Er war erhitzt von eiligem Gehen, lehnte die
ihm angebotene Cigarre ab, und ging ohne Umschweife auf den Zweck seiner
Anwesenheit ein.

Herr Baron, sagte er, es ist in unserm Dorfe diese Nacht ein großes Un¬
glück geschehen, und nur die Fügung Gottes hat verhindert, daß das Unglück
noch größer geworden ist. Das Wirtshaus, welches den Eheleuten Zeysing ge¬
hört, ist ein Raub der Flammen geworden, und es ist als ein Wunder zu be-


Die Grafen von Altenschwerdt.

Ich war soeben bei ihm und bin nicht unzufrieden. Er ist ohne Fieber,
und der Blutsturz, den er gestern Abend hatte, ist vielleicht eine Erleichte-
rung gewesen, welche Hoffnung giebt. Ich sage: vielleicht.

Gräfin Sibylle antwortete nicht. Sie legte sich in die Kissen zurück.




Vierundvierzigstes Uapitel.

Baron von Sextus hatte eine qualvolle Nacht zugebracht. Die Erlebnisse
des vergangnen Tages wurden in der Stille und Dunkelheit immer lebhafter
in ihm, während er zu schlafen versuchte, und die unruhigen Gedanken, welche
ihn verfolgten, nahmen eine so peinigende Form an, daß er endlich Licht an¬
zündete und im preußischen Landrecht las, um sich müde zu machen. Aber er
fing gar bald an, sich über einige Punkte darin zu ärgern und gab das Lesen
auf, um nachzudenken.

Die Lage der Dinge um ihn herum war ihm verdächtig und unbehaglich.
Er hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Mochte der Freiherr von Val-
deghem nun die Wahrheit gesagt oder gelogen haben, immer blieb die Gräfin
Sibylle nicht ohne den Schein eines zweideutigen Benehmens. Baron Sextus
beschloß, um Klarheit zu erhalten, der Sache näher auf den Leib zu rücken.
Er wollte am andern Morgen nach Scholldorf reiten, Eberhardt besuchen und
ihn geradezu fragen, wessen Sohn er sei und wie es mit seiner Vergangenheit
stehe. Mann gegen Mann stellt sich das am leichtesten heraus, sagte sich der alte
Herr. Wenn dieser junge Mann mir ins Auge sieht, so bringt er es nicht
fertig, zu lügen. Das weitere wird sich schon finden, eins folgt dann aus dein
andern. Aber bei diesem Herrn Eschenburg liegt der Schwerpunkt der ganzen
Geschichte, und ich werde es so machen, wie ich es bei der Schwadron gemacht
habe: ich knie demjenigen auf die Brust, der am tiefsten drin steckt, und dann
muß der Fuchs zum Loche heraus.

Es wurde Morgen, und Baron Sextus stand früher als gewöhnlich auf,
fuhr in seine Stiefel, wie er stets gleich beim Aufstehen zu thun pflegte, zog
die gewohnte Jnterimsuuiform an, von der er behauptete, sie sei der einzige
Schlafrock, den ein Mann anständiger Weise tragen könne, und ließ sich den
Kaffee in das Arbeitszimmer bringen.

Da meldete ihm der Kammerdiener, indem er das Frühstück brachte, daß
der Herr Pfarrer Sengstack ans Scholldvrf ihn in einer dringenden Angelegen¬
heit zu sprechen wünsche.

Verwundert über einen so frühen Besuch ließ der Baron den Pfarrer zu
sich bitten.

Pfarrer Sengstack war in einer ganz ungewöhnlichen Aufregung, sodaß
seine sonstige Schüchternheit und Verlegenheit in Gegenwart vornehmer Per¬
sonen ihn ganz verlassen hatte. Er war erhitzt von eiligem Gehen, lehnte die
ihm angebotene Cigarre ab, und ging ohne Umschweife auf den Zweck seiner
Anwesenheit ein.

Herr Baron, sagte er, es ist in unserm Dorfe diese Nacht ein großes Un¬
glück geschehen, und nur die Fügung Gottes hat verhindert, daß das Unglück
noch größer geworden ist. Das Wirtshaus, welches den Eheleuten Zeysing ge¬
hört, ist ein Raub der Flammen geworden, und es ist als ein Wunder zu be-


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[0423] Die Grafen von Altenschwerdt. Ich war soeben bei ihm und bin nicht unzufrieden. Er ist ohne Fieber, und der Blutsturz, den er gestern Abend hatte, ist vielleicht eine Erleichte- rung gewesen, welche Hoffnung giebt. Ich sage: vielleicht. Gräfin Sibylle antwortete nicht. Sie legte sich in die Kissen zurück. Vierundvierzigstes Uapitel. Baron von Sextus hatte eine qualvolle Nacht zugebracht. Die Erlebnisse des vergangnen Tages wurden in der Stille und Dunkelheit immer lebhafter in ihm, während er zu schlafen versuchte, und die unruhigen Gedanken, welche ihn verfolgten, nahmen eine so peinigende Form an, daß er endlich Licht an¬ zündete und im preußischen Landrecht las, um sich müde zu machen. Aber er fing gar bald an, sich über einige Punkte darin zu ärgern und gab das Lesen auf, um nachzudenken. Die Lage der Dinge um ihn herum war ihm verdächtig und unbehaglich. Er hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Mochte der Freiherr von Val- deghem nun die Wahrheit gesagt oder gelogen haben, immer blieb die Gräfin Sibylle nicht ohne den Schein eines zweideutigen Benehmens. Baron Sextus beschloß, um Klarheit zu erhalten, der Sache näher auf den Leib zu rücken. Er wollte am andern Morgen nach Scholldorf reiten, Eberhardt besuchen und ihn geradezu fragen, wessen Sohn er sei und wie es mit seiner Vergangenheit stehe. Mann gegen Mann stellt sich das am leichtesten heraus, sagte sich der alte Herr. Wenn dieser junge Mann mir ins Auge sieht, so bringt er es nicht fertig, zu lügen. Das weitere wird sich schon finden, eins folgt dann aus dein andern. Aber bei diesem Herrn Eschenburg liegt der Schwerpunkt der ganzen Geschichte, und ich werde es so machen, wie ich es bei der Schwadron gemacht habe: ich knie demjenigen auf die Brust, der am tiefsten drin steckt, und dann muß der Fuchs zum Loche heraus. Es wurde Morgen, und Baron Sextus stand früher als gewöhnlich auf, fuhr in seine Stiefel, wie er stets gleich beim Aufstehen zu thun pflegte, zog die gewohnte Jnterimsuuiform an, von der er behauptete, sie sei der einzige Schlafrock, den ein Mann anständiger Weise tragen könne, und ließ sich den Kaffee in das Arbeitszimmer bringen. Da meldete ihm der Kammerdiener, indem er das Frühstück brachte, daß der Herr Pfarrer Sengstack ans Scholldvrf ihn in einer dringenden Angelegen¬ heit zu sprechen wünsche. Verwundert über einen so frühen Besuch ließ der Baron den Pfarrer zu sich bitten. Pfarrer Sengstack war in einer ganz ungewöhnlichen Aufregung, sodaß seine sonstige Schüchternheit und Verlegenheit in Gegenwart vornehmer Per¬ sonen ihn ganz verlassen hatte. Er war erhitzt von eiligem Gehen, lehnte die ihm angebotene Cigarre ab, und ging ohne Umschweife auf den Zweck seiner Anwesenheit ein. Herr Baron, sagte er, es ist in unserm Dorfe diese Nacht ein großes Un¬ glück geschehen, und nur die Fügung Gottes hat verhindert, daß das Unglück noch größer geworden ist. Das Wirtshaus, welches den Eheleuten Zeysing ge¬ hört, ist ein Raub der Flammen geworden, und es ist als ein Wunder zu be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/423>, abgerufen am 08.09.2024.