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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Wirklich, lind ich denke hier einige Zeit zu bleiben. Wo wäre ich wohl besser
aufgehoben, als in deiner Nähe, meine alte Liebe?




Vierzigstes Kapitel.

Gräfin Sibylle blieb, als der Freiherr sie verlassen hatte, noch eine Zeit
lang wie betäubt in der Sophaecke sitzen und starrte vor sich hiu, während
einzelne abgerissene Worte sich über ihre Lippen drängten.

Es ist ein Verhängnis, murmelte sie, ein Verhängnis! Es verfolgt mich!
Kein Glück! Dieser Mann! O, welche Qual, dies elende Herz nicht befreien
zu können!

Endlich raffte sie sich auf und schellte. Ihre Kammerjungfer erschien, und
me Gräfin sandte sie zum Inspektor Schmidt hinüber, um ihn zu sich zu ent¬
bieten.

Schloß Eichhausen hatte sich in den letzten Tagen an das befehlende Wort
der Gräfin gewöhnt, und es währte nicht lange, bis der stattliche, weißhaarige
Mann über ihre Schwelle trat. Die Gräfin saß vor ihrem Schreibtisch und
hatte Papiere vor sich liegen.

Lieber Herr Inspektor, sagte sie, Sie müssen mir einen Gefallen thun.

Ich stehe ganz zu Ihren Befehlen, gnädigste Gräfin, erwiederte er.

Ihr Neffe, der Bankdirektor in Hvlzfurt, sagte sie, hat eine Summe Geldes
von mir erhalten, die er anlegen wollte. Ich gebrauche den größten Teil davon
auf der Stelle. Ich bin nicht imstande, selbst nach Holzfurt zu fahren, was
ich am liebsten thäte, denn gesellige Pflichten halten mich hier zurück. Wollen
Sie die Freundlichkeit haben, das Geschäft für mich zu besorgen?

Der Inspektor runzelte die Stirn, da er mit großem Mißtrauen von der
Anlage einer Geldsumme in den ihm zweifelhaft erscheinenden Geschäften seines
Neffen Rudolf hörte, aber er verneigte sich schweigend.

Ich bedarf noch heute fünfzigtausend Mark, sagte die Gräfin. Ihr Neffe
wufz sie Ihnen sofort auszahlen, und Sie bringen mir das Geld gleich mit.
Wenn es Schwierigkeiten bereiten sollte, eine so große Summe auf der Stelle
flüssig zu machen, so soll er mir den Schaden, den er dadurch erleidet, berechnen.
Ich kann die zwischen uns ausgemachte Kündigungszeit von sechs Wochen, durch
besondre Umstände gezwungen, nicht einhalten. Hören Sie, lieber Herr In¬
spektor, Sie bringen mir auf alle Fälle das Geld gleich mit. Es handelt sich
um eine wichtige Angelegenheit. Und ich darf wohl auf Ihre Diskretion zählen.

Denk Inspektor schwebte eine Entgegnung auf den Lippen. Mit großer
Sorge überlegte er den Auftrag, und die Entdeckung, daß die Gräfin mit seinem
Neffen in Geschäftsverbindung stehe, verminderte seinen Respekt vor ihr ganz
erheblich. Er hatte allerhand böse Nachrichten über den Stand der Geschäfte
seines Neffen gehört. Er wußte, daß dessen beabsichtigte Terracottafabrik in
Wasser zerronnen war, da sich der Thon als unbrauchbar herausgestellt und
der Werkführer das Unternehmen aufgegeben hatte. Doch fühlte er sich nicht
berufen, davon zu sprechen, da er keine bestimmten Anhaltspunkte hatte, um
behaupten zu könne", es werde seinem Neffen unmöglich sein, das Geld aus¬
zuzahlen.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Wirklich, lind ich denke hier einige Zeit zu bleiben. Wo wäre ich wohl besser
aufgehoben, als in deiner Nähe, meine alte Liebe?




Vierzigstes Kapitel.

Gräfin Sibylle blieb, als der Freiherr sie verlassen hatte, noch eine Zeit
lang wie betäubt in der Sophaecke sitzen und starrte vor sich hiu, während
einzelne abgerissene Worte sich über ihre Lippen drängten.

Es ist ein Verhängnis, murmelte sie, ein Verhängnis! Es verfolgt mich!
Kein Glück! Dieser Mann! O, welche Qual, dies elende Herz nicht befreien
zu können!

Endlich raffte sie sich auf und schellte. Ihre Kammerjungfer erschien, und
me Gräfin sandte sie zum Inspektor Schmidt hinüber, um ihn zu sich zu ent¬
bieten.

Schloß Eichhausen hatte sich in den letzten Tagen an das befehlende Wort
der Gräfin gewöhnt, und es währte nicht lange, bis der stattliche, weißhaarige
Mann über ihre Schwelle trat. Die Gräfin saß vor ihrem Schreibtisch und
hatte Papiere vor sich liegen.

Lieber Herr Inspektor, sagte sie, Sie müssen mir einen Gefallen thun.

Ich stehe ganz zu Ihren Befehlen, gnädigste Gräfin, erwiederte er.

Ihr Neffe, der Bankdirektor in Hvlzfurt, sagte sie, hat eine Summe Geldes
von mir erhalten, die er anlegen wollte. Ich gebrauche den größten Teil davon
auf der Stelle. Ich bin nicht imstande, selbst nach Holzfurt zu fahren, was
ich am liebsten thäte, denn gesellige Pflichten halten mich hier zurück. Wollen
Sie die Freundlichkeit haben, das Geschäft für mich zu besorgen?

Der Inspektor runzelte die Stirn, da er mit großem Mißtrauen von der
Anlage einer Geldsumme in den ihm zweifelhaft erscheinenden Geschäften seines
Neffen Rudolf hörte, aber er verneigte sich schweigend.

Ich bedarf noch heute fünfzigtausend Mark, sagte die Gräfin. Ihr Neffe
wufz sie Ihnen sofort auszahlen, und Sie bringen mir das Geld gleich mit.
Wenn es Schwierigkeiten bereiten sollte, eine so große Summe auf der Stelle
flüssig zu machen, so soll er mir den Schaden, den er dadurch erleidet, berechnen.
Ich kann die zwischen uns ausgemachte Kündigungszeit von sechs Wochen, durch
besondre Umstände gezwungen, nicht einhalten. Hören Sie, lieber Herr In¬
spektor, Sie bringen mir auf alle Fälle das Geld gleich mit. Es handelt sich
um eine wichtige Angelegenheit. Und ich darf wohl auf Ihre Diskretion zählen.

Denk Inspektor schwebte eine Entgegnung auf den Lippen. Mit großer
Sorge überlegte er den Auftrag, und die Entdeckung, daß die Gräfin mit seinem
Neffen in Geschäftsverbindung stehe, verminderte seinen Respekt vor ihr ganz
erheblich. Er hatte allerhand böse Nachrichten über den Stand der Geschäfte
seines Neffen gehört. Er wußte, daß dessen beabsichtigte Terracottafabrik in
Wasser zerronnen war, da sich der Thon als unbrauchbar herausgestellt und
der Werkführer das Unternehmen aufgegeben hatte. Doch fühlte er sich nicht
berufen, davon zu sprechen, da er keine bestimmten Anhaltspunkte hatte, um
behaupten zu könne», es werde seinem Neffen unmöglich sein, das Geld aus¬
zuzahlen.


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[0315] Die Grafen von Altenschwerdt. Wirklich, lind ich denke hier einige Zeit zu bleiben. Wo wäre ich wohl besser aufgehoben, als in deiner Nähe, meine alte Liebe? Vierzigstes Kapitel. Gräfin Sibylle blieb, als der Freiherr sie verlassen hatte, noch eine Zeit lang wie betäubt in der Sophaecke sitzen und starrte vor sich hiu, während einzelne abgerissene Worte sich über ihre Lippen drängten. Es ist ein Verhängnis, murmelte sie, ein Verhängnis! Es verfolgt mich! Kein Glück! Dieser Mann! O, welche Qual, dies elende Herz nicht befreien zu können! Endlich raffte sie sich auf und schellte. Ihre Kammerjungfer erschien, und me Gräfin sandte sie zum Inspektor Schmidt hinüber, um ihn zu sich zu ent¬ bieten. Schloß Eichhausen hatte sich in den letzten Tagen an das befehlende Wort der Gräfin gewöhnt, und es währte nicht lange, bis der stattliche, weißhaarige Mann über ihre Schwelle trat. Die Gräfin saß vor ihrem Schreibtisch und hatte Papiere vor sich liegen. Lieber Herr Inspektor, sagte sie, Sie müssen mir einen Gefallen thun. Ich stehe ganz zu Ihren Befehlen, gnädigste Gräfin, erwiederte er. Ihr Neffe, der Bankdirektor in Hvlzfurt, sagte sie, hat eine Summe Geldes von mir erhalten, die er anlegen wollte. Ich gebrauche den größten Teil davon auf der Stelle. Ich bin nicht imstande, selbst nach Holzfurt zu fahren, was ich am liebsten thäte, denn gesellige Pflichten halten mich hier zurück. Wollen Sie die Freundlichkeit haben, das Geschäft für mich zu besorgen? Der Inspektor runzelte die Stirn, da er mit großem Mißtrauen von der Anlage einer Geldsumme in den ihm zweifelhaft erscheinenden Geschäften seines Neffen Rudolf hörte, aber er verneigte sich schweigend. Ich bedarf noch heute fünfzigtausend Mark, sagte die Gräfin. Ihr Neffe wufz sie Ihnen sofort auszahlen, und Sie bringen mir das Geld gleich mit. Wenn es Schwierigkeiten bereiten sollte, eine so große Summe auf der Stelle flüssig zu machen, so soll er mir den Schaden, den er dadurch erleidet, berechnen. Ich kann die zwischen uns ausgemachte Kündigungszeit von sechs Wochen, durch besondre Umstände gezwungen, nicht einhalten. Hören Sie, lieber Herr In¬ spektor, Sie bringen mir auf alle Fälle das Geld gleich mit. Es handelt sich um eine wichtige Angelegenheit. Und ich darf wohl auf Ihre Diskretion zählen. Denk Inspektor schwebte eine Entgegnung auf den Lippen. Mit großer Sorge überlegte er den Auftrag, und die Entdeckung, daß die Gräfin mit seinem Neffen in Geschäftsverbindung stehe, verminderte seinen Respekt vor ihr ganz erheblich. Er hatte allerhand böse Nachrichten über den Stand der Geschäfte seines Neffen gehört. Er wußte, daß dessen beabsichtigte Terracottafabrik in Wasser zerronnen war, da sich der Thon als unbrauchbar herausgestellt und der Werkführer das Unternehmen aufgegeben hatte. Doch fühlte er sich nicht berufen, davon zu sprechen, da er keine bestimmten Anhaltspunkte hatte, um behaupten zu könne», es werde seinem Neffen unmöglich sein, das Geld aus¬ zuzahlen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/315>, abgerufen am 08.09.2024.