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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

So vergingen acht Tage, da ward er eines Morgens sehr unangenehm
berührt, als der Kellner ita mit der Botschaft weckte, es sei ein Telegramm
für ihn gekommen. Er sah nach der Uhr. Es war kurz vor elf. Er las das
Telegramm. Es lautete kurz und bündig: Komm zurück, es ist alles geordnet.
Gräfin Altenschwerdt.

Dietrich lächelte bitter, indem er das Papier aus der Hand fallen ließ.

Alles geordnet! sagte er seufzend. Jawohl, es ist alles bereit zur Hin¬
richtung dreier edeln Menschen!

Er kleidete sich an, trank eine Tasse Kaffee und machte dann eine Spazier¬
fahrt, da er Kopfschmerzen hatte.

Mama kaun nicht verlangen, daß ich auf der Stelle dort bin, sagte er sich.
Dieses Telegramm ist mir in alle Glieder gefahren. Heute bin ich nicht fähig,
eine wohlgesetzte Erklärung von mir zu geben, heute kann ich die Bräutigams¬
miene nicht fertig bringen. Gütiger Himmel! Wenn ich an Anna denke -- alle
meine Nerven beben von deinen Küssen, armes, geliebtes, verratenes Mädchen!

Er kehrte zum Mittagessen in das Hotel zurück, aß mit leidlichem Appetit,
da das Diner recht gut war, und begab sich dann in das Lesezimmer.

Als er sich aber in die Lektüre vertieft hatte und mit Spannung einem
Bericht aus Paris über die neueste Wendung in der Angelegenheit der Rollen¬
besetzung von Sardous letztem Stück folgte, trat ein Herr auf ihn zu, der ihm
schon bei Tische durch sein interessantes aber fahles Gesicht und die graziösen
Bewegungen seiner schönen Hände aufgefallen war.

Dieser Herr stellte sich als Freiherr Oskar von Valdeghem vor und sagte,
er habe im Fremdenbuch mit Interesse den Namen Altenschwerdt gelesen. Er
erlaube sich zu fragen, ob er die Ehre habe, den Sohn des Grafen Eberhcirdt
zu sehen.

Dietrich bejahte.

Er komme von Breslau, erzählte der Herr, und habe die Frau Gräfin
Sibylle in alter Freundschaft besuchen wollen, sie aber nicht gefunden und auch
ihren Aufenthaltsort nicht erfahren können.

Meine Mutter ist zum Besuch beim Baron Sextus in Schloß Eichhauseu,
sagte Dietrich.

Sollten Sie sie sehen, so bitte ich mich ihr angelegentlichst empfehlen zu
wollen, sagte der Freiherr von Valdeghem.

Ich werde sie morgen scheu, erwiederte Dietrich, ich bin im Begriffe,
ebenfalls nach Eichhausen zu fahren.

Der Freiherr von Valdeghem verneigte sich und zog sich zurück. Dietrich
las den Theaterbericht zu Ende, ging in die Oper und reiste am andern Morgen
nach Holzfurt zurück, wo ihn ein 'Wagen des Barons Sextus am Bahnhof
erwartete.




Achtunddreißigstes Aapitel.

Graf Dietrich sah das Schloß, in welchem er seine Braut finden sollte,
mit einiger Herzbeklemmung vor sich auftauchen, als der Wagen aus dem Walde
hervorkam, und er begrüßte seine Mutter, die ihm an das Thor entgegen¬
gekommen war, mit einer stummen Umarmung. Sie führte ihn ans sein Zimmer,
wo ein kleiner Teil seines Gepäcks und der größte seiner Bücher noch in der


Grenzboten III. 1383. 32
Die Grafen von Altenschwerdt,

So vergingen acht Tage, da ward er eines Morgens sehr unangenehm
berührt, als der Kellner ita mit der Botschaft weckte, es sei ein Telegramm
für ihn gekommen. Er sah nach der Uhr. Es war kurz vor elf. Er las das
Telegramm. Es lautete kurz und bündig: Komm zurück, es ist alles geordnet.
Gräfin Altenschwerdt.

Dietrich lächelte bitter, indem er das Papier aus der Hand fallen ließ.

Alles geordnet! sagte er seufzend. Jawohl, es ist alles bereit zur Hin¬
richtung dreier edeln Menschen!

Er kleidete sich an, trank eine Tasse Kaffee und machte dann eine Spazier¬
fahrt, da er Kopfschmerzen hatte.

Mama kaun nicht verlangen, daß ich auf der Stelle dort bin, sagte er sich.
Dieses Telegramm ist mir in alle Glieder gefahren. Heute bin ich nicht fähig,
eine wohlgesetzte Erklärung von mir zu geben, heute kann ich die Bräutigams¬
miene nicht fertig bringen. Gütiger Himmel! Wenn ich an Anna denke — alle
meine Nerven beben von deinen Küssen, armes, geliebtes, verratenes Mädchen!

Er kehrte zum Mittagessen in das Hotel zurück, aß mit leidlichem Appetit,
da das Diner recht gut war, und begab sich dann in das Lesezimmer.

Als er sich aber in die Lektüre vertieft hatte und mit Spannung einem
Bericht aus Paris über die neueste Wendung in der Angelegenheit der Rollen¬
besetzung von Sardous letztem Stück folgte, trat ein Herr auf ihn zu, der ihm
schon bei Tische durch sein interessantes aber fahles Gesicht und die graziösen
Bewegungen seiner schönen Hände aufgefallen war.

Dieser Herr stellte sich als Freiherr Oskar von Valdeghem vor und sagte,
er habe im Fremdenbuch mit Interesse den Namen Altenschwerdt gelesen. Er
erlaube sich zu fragen, ob er die Ehre habe, den Sohn des Grafen Eberhcirdt
zu sehen.

Dietrich bejahte.

Er komme von Breslau, erzählte der Herr, und habe die Frau Gräfin
Sibylle in alter Freundschaft besuchen wollen, sie aber nicht gefunden und auch
ihren Aufenthaltsort nicht erfahren können.

Meine Mutter ist zum Besuch beim Baron Sextus in Schloß Eichhauseu,
sagte Dietrich.

Sollten Sie sie sehen, so bitte ich mich ihr angelegentlichst empfehlen zu
wollen, sagte der Freiherr von Valdeghem.

Ich werde sie morgen scheu, erwiederte Dietrich, ich bin im Begriffe,
ebenfalls nach Eichhausen zu fahren.

Der Freiherr von Valdeghem verneigte sich und zog sich zurück. Dietrich
las den Theaterbericht zu Ende, ging in die Oper und reiste am andern Morgen
nach Holzfurt zurück, wo ihn ein 'Wagen des Barons Sextus am Bahnhof
erwartete.




Achtunddreißigstes Aapitel.

Graf Dietrich sah das Schloß, in welchem er seine Braut finden sollte,
mit einiger Herzbeklemmung vor sich auftauchen, als der Wagen aus dem Walde
hervorkam, und er begrüßte seine Mutter, die ihm an das Thor entgegen¬
gekommen war, mit einer stummen Umarmung. Sie führte ihn ans sein Zimmer,
wo ein kleiner Teil seines Gepäcks und der größte seiner Bücher noch in der


Grenzboten III. 1383. 32
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[0257] Die Grafen von Altenschwerdt, So vergingen acht Tage, da ward er eines Morgens sehr unangenehm berührt, als der Kellner ita mit der Botschaft weckte, es sei ein Telegramm für ihn gekommen. Er sah nach der Uhr. Es war kurz vor elf. Er las das Telegramm. Es lautete kurz und bündig: Komm zurück, es ist alles geordnet. Gräfin Altenschwerdt. Dietrich lächelte bitter, indem er das Papier aus der Hand fallen ließ. Alles geordnet! sagte er seufzend. Jawohl, es ist alles bereit zur Hin¬ richtung dreier edeln Menschen! Er kleidete sich an, trank eine Tasse Kaffee und machte dann eine Spazier¬ fahrt, da er Kopfschmerzen hatte. Mama kaun nicht verlangen, daß ich auf der Stelle dort bin, sagte er sich. Dieses Telegramm ist mir in alle Glieder gefahren. Heute bin ich nicht fähig, eine wohlgesetzte Erklärung von mir zu geben, heute kann ich die Bräutigams¬ miene nicht fertig bringen. Gütiger Himmel! Wenn ich an Anna denke — alle meine Nerven beben von deinen Küssen, armes, geliebtes, verratenes Mädchen! Er kehrte zum Mittagessen in das Hotel zurück, aß mit leidlichem Appetit, da das Diner recht gut war, und begab sich dann in das Lesezimmer. Als er sich aber in die Lektüre vertieft hatte und mit Spannung einem Bericht aus Paris über die neueste Wendung in der Angelegenheit der Rollen¬ besetzung von Sardous letztem Stück folgte, trat ein Herr auf ihn zu, der ihm schon bei Tische durch sein interessantes aber fahles Gesicht und die graziösen Bewegungen seiner schönen Hände aufgefallen war. Dieser Herr stellte sich als Freiherr Oskar von Valdeghem vor und sagte, er habe im Fremdenbuch mit Interesse den Namen Altenschwerdt gelesen. Er erlaube sich zu fragen, ob er die Ehre habe, den Sohn des Grafen Eberhcirdt zu sehen. Dietrich bejahte. Er komme von Breslau, erzählte der Herr, und habe die Frau Gräfin Sibylle in alter Freundschaft besuchen wollen, sie aber nicht gefunden und auch ihren Aufenthaltsort nicht erfahren können. Meine Mutter ist zum Besuch beim Baron Sextus in Schloß Eichhauseu, sagte Dietrich. Sollten Sie sie sehen, so bitte ich mich ihr angelegentlichst empfehlen zu wollen, sagte der Freiherr von Valdeghem. Ich werde sie morgen scheu, erwiederte Dietrich, ich bin im Begriffe, ebenfalls nach Eichhausen zu fahren. Der Freiherr von Valdeghem verneigte sich und zog sich zurück. Dietrich las den Theaterbericht zu Ende, ging in die Oper und reiste am andern Morgen nach Holzfurt zurück, wo ihn ein 'Wagen des Barons Sextus am Bahnhof erwartete. Achtunddreißigstes Aapitel. Graf Dietrich sah das Schloß, in welchem er seine Braut finden sollte, mit einiger Herzbeklemmung vor sich auftauchen, als der Wagen aus dem Walde hervorkam, und er begrüßte seine Mutter, die ihm an das Thor entgegen¬ gekommen war, mit einer stummen Umarmung. Sie führte ihn ans sein Zimmer, wo ein kleiner Teil seines Gepäcks und der größte seiner Bücher noch in der Grenzboten III. 1383. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/257>, abgerufen am 08.09.2024.