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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Franzosen in Madagaskar.

ührend die Kolonialpolitik des Ministeriums Ferry in Tonkin nach
den neuesten Nachrichten Frankreich einem bedenklichen Kriege mit
China nahe gebracht zu haben scheint, hat sie an den Küsten von
Madagaskar bis jetzt entschiedene Erfolge auszuweisen. Nachdem
Admiral. Pierre, der Oberbefehlshaber des dort zusammengezogenen
französischen Geschwaders, Madschonga, den Haupthafen und die wichtigste Zoll¬
stätte der Hovas an der nordwestlichen Seite der Insel, genommen und alle Posten
der Eingebornen aus der Stadt und ihrer Umgebung vertrieben hatte, richtete er
an die Königin Ranovalo ein Ultimatum, in welchem folgende Punkte die wich¬
tigsten waren: 1. Anerkennung der Verträge von 1840 und 1841, welche Frank¬
reich die Schutzherrschaft über die Stämme der Nordwestküste zusprechen;
L.Zahlung einer Kriegskoutribution von anderthalb Millionen Franken; 3. Ab¬
änderung der gegen bleibenden Landerwerb gerichteten Gesetze zu Gunsten der fran¬
zösischen Ansiedler. Die Königin lehnte diese Forderungen ab, und der Admiral
setzte sich darauf in den Besitz der Hafenstadt Tamatave und der wie diese auf der
Ostseite Madagaskars gelegenen befestigten Punkte Tulepo, Mahambo und Tene-
rive. Die letztern wurden zerstört, und in Tamatave wurde der Belagerungs¬
zustand proklamirt. Die Franzosen hatten bei der Einnahme von Tamatave und
den zuletzt genannten kleinen Ortschaften keine Verluste. Auch die Hovatruppen
scheinen bei der Beschießung keine oder nur geringe erlitten zu haben. In
Tamatave waren auf Befehl der Königin nur 200 Mann zurückgeblieben,
und diese zogen sich bei den ersten Schüssen der französischen Schiffe zurück,
da die Stadt nur von einem kleinen Erdwerke mit drei oder vier Geschützen
veralteter Konstruktion verteidigt wird. Weitere Operationen der Franzosen,
z. B. nach der Hauptstadt Antananarivo, werden vermutlich unterbleiben: denn
diese Hauptstadt Madagaskars liegt über 40 deutsche Meilen von Tamatave
im Innern der Insel, der Weg dahin führt über steile Berge, tiefe, steilabfallende
Schluchten und dichte Wälder, und bei der Stadt stehen in Schanzen und Eng¬
pässen gegen 6000 Hovakrieger, die zum Teil mit Remingtongewehrcn bewaffnet
und tapfer zu kämpfen gewohnt sind. Es wird aber mich nicht nötig sein,
sich nach der Residenz der Königin auf den Weg zu machen; denn mit der
Besitznahme von Madschonga und Tamatave durch die Franzosen ist jenen alle
Zufuhr aus Europa abgeschnitten, und überdies bezieht die Hovaregierung den
größten Teil ihrer Einnahmen aus den Zöllen, die in jener Hafenstadt zu ent¬
richten und die jetzt von Admiral Pierre mit Beschlag belegt sind. Werden somit
die Hovas wahrscheinlich bald genötigt sein, auf die angeführten Forderungen


Grenzboten III. 1833. Is
Die Franzosen in Madagaskar.

ührend die Kolonialpolitik des Ministeriums Ferry in Tonkin nach
den neuesten Nachrichten Frankreich einem bedenklichen Kriege mit
China nahe gebracht zu haben scheint, hat sie an den Küsten von
Madagaskar bis jetzt entschiedene Erfolge auszuweisen. Nachdem
Admiral. Pierre, der Oberbefehlshaber des dort zusammengezogenen
französischen Geschwaders, Madschonga, den Haupthafen und die wichtigste Zoll¬
stätte der Hovas an der nordwestlichen Seite der Insel, genommen und alle Posten
der Eingebornen aus der Stadt und ihrer Umgebung vertrieben hatte, richtete er
an die Königin Ranovalo ein Ultimatum, in welchem folgende Punkte die wich¬
tigsten waren: 1. Anerkennung der Verträge von 1840 und 1841, welche Frank¬
reich die Schutzherrschaft über die Stämme der Nordwestküste zusprechen;
L.Zahlung einer Kriegskoutribution von anderthalb Millionen Franken; 3. Ab¬
änderung der gegen bleibenden Landerwerb gerichteten Gesetze zu Gunsten der fran¬
zösischen Ansiedler. Die Königin lehnte diese Forderungen ab, und der Admiral
setzte sich darauf in den Besitz der Hafenstadt Tamatave und der wie diese auf der
Ostseite Madagaskars gelegenen befestigten Punkte Tulepo, Mahambo und Tene-
rive. Die letztern wurden zerstört, und in Tamatave wurde der Belagerungs¬
zustand proklamirt. Die Franzosen hatten bei der Einnahme von Tamatave und
den zuletzt genannten kleinen Ortschaften keine Verluste. Auch die Hovatruppen
scheinen bei der Beschießung keine oder nur geringe erlitten zu haben. In
Tamatave waren auf Befehl der Königin nur 200 Mann zurückgeblieben,
und diese zogen sich bei den ersten Schüssen der französischen Schiffe zurück,
da die Stadt nur von einem kleinen Erdwerke mit drei oder vier Geschützen
veralteter Konstruktion verteidigt wird. Weitere Operationen der Franzosen,
z. B. nach der Hauptstadt Antananarivo, werden vermutlich unterbleiben: denn
diese Hauptstadt Madagaskars liegt über 40 deutsche Meilen von Tamatave
im Innern der Insel, der Weg dahin führt über steile Berge, tiefe, steilabfallende
Schluchten und dichte Wälder, und bei der Stadt stehen in Schanzen und Eng¬
pässen gegen 6000 Hovakrieger, die zum Teil mit Remingtongewehrcn bewaffnet
und tapfer zu kämpfen gewohnt sind. Es wird aber mich nicht nötig sein,
sich nach der Residenz der Königin auf den Weg zu machen; denn mit der
Besitznahme von Madschonga und Tamatave durch die Franzosen ist jenen alle
Zufuhr aus Europa abgeschnitten, und überdies bezieht die Hovaregierung den
größten Teil ihrer Einnahmen aus den Zöllen, die in jener Hafenstadt zu ent¬
richten und die jetzt von Admiral Pierre mit Beschlag belegt sind. Werden somit
die Hovas wahrscheinlich bald genötigt sein, auf die angeführten Forderungen


Grenzboten III. 1833. Is
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[0153] Die Franzosen in Madagaskar. ührend die Kolonialpolitik des Ministeriums Ferry in Tonkin nach den neuesten Nachrichten Frankreich einem bedenklichen Kriege mit China nahe gebracht zu haben scheint, hat sie an den Küsten von Madagaskar bis jetzt entschiedene Erfolge auszuweisen. Nachdem Admiral. Pierre, der Oberbefehlshaber des dort zusammengezogenen französischen Geschwaders, Madschonga, den Haupthafen und die wichtigste Zoll¬ stätte der Hovas an der nordwestlichen Seite der Insel, genommen und alle Posten der Eingebornen aus der Stadt und ihrer Umgebung vertrieben hatte, richtete er an die Königin Ranovalo ein Ultimatum, in welchem folgende Punkte die wich¬ tigsten waren: 1. Anerkennung der Verträge von 1840 und 1841, welche Frank¬ reich die Schutzherrschaft über die Stämme der Nordwestküste zusprechen; L.Zahlung einer Kriegskoutribution von anderthalb Millionen Franken; 3. Ab¬ änderung der gegen bleibenden Landerwerb gerichteten Gesetze zu Gunsten der fran¬ zösischen Ansiedler. Die Königin lehnte diese Forderungen ab, und der Admiral setzte sich darauf in den Besitz der Hafenstadt Tamatave und der wie diese auf der Ostseite Madagaskars gelegenen befestigten Punkte Tulepo, Mahambo und Tene- rive. Die letztern wurden zerstört, und in Tamatave wurde der Belagerungs¬ zustand proklamirt. Die Franzosen hatten bei der Einnahme von Tamatave und den zuletzt genannten kleinen Ortschaften keine Verluste. Auch die Hovatruppen scheinen bei der Beschießung keine oder nur geringe erlitten zu haben. In Tamatave waren auf Befehl der Königin nur 200 Mann zurückgeblieben, und diese zogen sich bei den ersten Schüssen der französischen Schiffe zurück, da die Stadt nur von einem kleinen Erdwerke mit drei oder vier Geschützen veralteter Konstruktion verteidigt wird. Weitere Operationen der Franzosen, z. B. nach der Hauptstadt Antananarivo, werden vermutlich unterbleiben: denn diese Hauptstadt Madagaskars liegt über 40 deutsche Meilen von Tamatave im Innern der Insel, der Weg dahin führt über steile Berge, tiefe, steilabfallende Schluchten und dichte Wälder, und bei der Stadt stehen in Schanzen und Eng¬ pässen gegen 6000 Hovakrieger, die zum Teil mit Remingtongewehrcn bewaffnet und tapfer zu kämpfen gewohnt sind. Es wird aber mich nicht nötig sein, sich nach der Residenz der Königin auf den Weg zu machen; denn mit der Besitznahme von Madschonga und Tamatave durch die Franzosen ist jenen alle Zufuhr aus Europa abgeschnitten, und überdies bezieht die Hovaregierung den größten Teil ihrer Einnahmen aus den Zöllen, die in jener Hafenstadt zu ent¬ richten und die jetzt von Admiral Pierre mit Beschlag belegt sind. Werden somit die Hovas wahrscheinlich bald genötigt sein, auf die angeführten Forderungen Grenzboten III. 1833. Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/153>, abgerufen am 08.09.2024.