Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.Die Grafen von Altenschwerdt. August Niemann Roman von(Gotha). (Fortsetzung,) Mestatteu mir Eure Excellenz eine Frage, sagte Graf Dietrich. Wäre der Pitaval eine Dichtung und namentlich eine dramatische Dichtung, Die Grafen von Altenschwerdt. August Niemann Roman von(Gotha). (Fortsetzung,) Mestatteu mir Eure Excellenz eine Frage, sagte Graf Dietrich. Wäre der Pitaval eine Dichtung und namentlich eine dramatische Dichtung, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152853"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341837_152756/figures/grenzboten_341837_152756_152853_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Die Grafen von Altenschwerdt.<lb/><note type="byline"> August Niemann </note> Roman von(Gotha).<lb/> (Fortsetzung,)</head><lb/> <p xml:id="ID_327"> Mestatteu mir Eure Excellenz eine Frage, sagte Graf Dietrich.<lb/> Wenn Sie den Pitaval lesen, der nur Verbrechen erzählt und<lb/> genane Darstellungen der Vorgänge in Verbrecherseelen, werden<lb/> Sie da schließen, daß der Darsteller und Erzähler selbst eine<lb/> verbrecherische Seele habe?</p><lb/> <p xml:id="ID_328" next="#ID_329"> Wäre der Pitaval eine Dichtung und namentlich eine dramatische Dichtung,<lb/> so würde ich das allerdings. So aber enthält er nur aktenmüßige Erzählungen.<lb/> Unterscheiden wir wohl! Auch in den Dichtungen selbst! Es giebt erstlich solche<lb/> Dichtungen, in denen der Dichter zu uns spricht ohne sich in das Gewand einer<lb/> andern Person zu hüllen. Das sind die lyrischen Gedichte und die reinen Er¬<lb/> zählungen. Hier erkennen wir den Wert des Dichters unmittelbar aus der<lb/> Reinheit und Stärke der Empfindungen und daraus, daß er den Sieg des<lb/> Guten als Abbild der göttlichen Gerechtigkeit zur Anschauung bringt. Denn<lb/> er kann hierin die größten Schlechtigkeiten erzählen, ohne daß man ihn selbst<lb/> sür schlecht halten darf, sobald er nur merken läßt, daß er das Schlechte wirk¬<lb/> lich für schlecht hält. Dann giebt es solche Dichtungen, in welcher der Dichter<lb/> garnicht selber spricht, sondern nur andern Personen nachahmt. Das sind die<lb/> Trauerspiele, Lustspiele und Schauspiele, von denen wir schon gesprochen haben.<lb/> Endlich giebt es die gemischten Gattungen, das Epos, den Roman und die<lb/> Novelle, in denen teils der Dichter spricht, teils wie im Drama Nachahmung<lb/> stattfindet. Und in diesen wird wohl ein Dichter von edler Gesinnung vor¬<lb/> züglich edle Personen vorführen und diese gern im Dialog ausführlich reden<lb/> lassen, den schlechten aber nur wenig Worte in den Mund legen und lieber das,<lb/> was sie thun, einfach erzählen, weil es ihm widersteht, sich in elende Seelen<lb/> hineinzudenken. Wo er sich aber genötigt sieht, sich viel mit Schlechten zu be¬<lb/> schäftigen und sie in ihrer Bosheit genau zu schildern, da wird er zur Satire</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0096]
[Abbildung]
Die Grafen von Altenschwerdt.
August Niemann Roman von(Gotha).
(Fortsetzung,)
Mestatteu mir Eure Excellenz eine Frage, sagte Graf Dietrich.
Wenn Sie den Pitaval lesen, der nur Verbrechen erzählt und
genane Darstellungen der Vorgänge in Verbrecherseelen, werden
Sie da schließen, daß der Darsteller und Erzähler selbst eine
verbrecherische Seele habe?
Wäre der Pitaval eine Dichtung und namentlich eine dramatische Dichtung,
so würde ich das allerdings. So aber enthält er nur aktenmüßige Erzählungen.
Unterscheiden wir wohl! Auch in den Dichtungen selbst! Es giebt erstlich solche
Dichtungen, in denen der Dichter zu uns spricht ohne sich in das Gewand einer
andern Person zu hüllen. Das sind die lyrischen Gedichte und die reinen Er¬
zählungen. Hier erkennen wir den Wert des Dichters unmittelbar aus der
Reinheit und Stärke der Empfindungen und daraus, daß er den Sieg des
Guten als Abbild der göttlichen Gerechtigkeit zur Anschauung bringt. Denn
er kann hierin die größten Schlechtigkeiten erzählen, ohne daß man ihn selbst
sür schlecht halten darf, sobald er nur merken läßt, daß er das Schlechte wirk¬
lich für schlecht hält. Dann giebt es solche Dichtungen, in welcher der Dichter
garnicht selber spricht, sondern nur andern Personen nachahmt. Das sind die
Trauerspiele, Lustspiele und Schauspiele, von denen wir schon gesprochen haben.
Endlich giebt es die gemischten Gattungen, das Epos, den Roman und die
Novelle, in denen teils der Dichter spricht, teils wie im Drama Nachahmung
stattfindet. Und in diesen wird wohl ein Dichter von edler Gesinnung vor¬
züglich edle Personen vorführen und diese gern im Dialog ausführlich reden
lassen, den schlechten aber nur wenig Worte in den Mund legen und lieber das,
was sie thun, einfach erzählen, weil es ihm widersteht, sich in elende Seelen
hineinzudenken. Wo er sich aber genötigt sieht, sich viel mit Schlechten zu be¬
schäftigen und sie in ihrer Bosheit genau zu schildern, da wird er zur Satire
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